"Ein Wahnsinn" "Scheiß Umfrage" macht Nagelsmann mächtig wütend
02.06.2024, 18:15 Uhr
Ein Fünftel der Deutschen wünsche sich eine "weißere" deutsche Fußball-Nationalmannschaft. Das ergibt eine Umfrage im Vorfeld der Heim-EM. Bundestrainer Julian Nagelsmann ist empört.
Eigentlich geht es ja um etwas ganz anderes. Für die deutsche Fußball-Nationalmannschaft stehen in der kommenden Woche die letzten Generalproben vor der Europameisterschaft im eigenen Lande an. Erst gegen die Ukraine (Montag, 20.45 Uhr/ARD und im ntv.de-Liveticker), dann gegen Griechenland (Freitag, 20.45 Uhr/RTL und im ntv.de-Liveticker). Es sind einige Fragen offen: Kann sie die berauschenden Leistungen aus den März-Länderspielen bestätigen? Oder bricht sie, wie in der jüngeren Vergangenheit so häufig, wieder wie ein Kartenhaus zusammen? Und was bedeuten diese Spiele für das Turnier?
Doch zuvor liegt der Fokus auf einer anderen Sache. Bei seinem ersten Auftritt im großen Pressesaal im EM-Quartier in Herzogenaurach muss Nagelsmann deshalb etwas klarstellen. Er spricht über den Rückkehrer Manuel Neuer ("hat immer noch Spieltrieb"), die Vorbereitung in Thüringen ("sehr guter Eindruck"), die Aufstellung vor dem Länderspiel gegen die Ukraine (ein wenig Belastungssteuerung) - und vor allem eine die brisante Umfrage.
"Alleine die Fragestellung war Wahnsinn", sagt Nagelsmann. Eine repräsentative Umfrage der WDR-Sendung "Sport Inside" hatte ergeben, dass sich jeder Fünfte eine "weißere" Nationalelf wünsche. Nicht nur das: Der Aussage "Ich fände es besser, wenn wieder mehr weiße Spieler in der deutschen Nationalmannschaft spielen" stimmten vor allem Anhänger der AfD (47 Prozent) und des Bündnis Sahra Wagenknecht (38) zu.
"Will keinen Spieler missen"
Die Frage, die Ergebnisse: Der Bundestrainer ist merklich entrüstet. "Ich hoffe, nie wieder von solchen scheiß Umfragen lesen zu müssen", erklärt er. Nagelsmann sei schockiert gewesen, dass überhaupt solche Fragen gestellt würden - und dass Menschen sie auch noch beantworten. Das ist in dem großen Saal, der mit den Klettersprossen an der Wand wie eine überdimensionierte Turnhalle wirkt, deutlich spürbar. Der Bundestrainer wird im Anschluss noch deutlicher - und grundsätzlicher.
"Ich habe schon das Gefühl, dass wir mal ein bisschen aufwachen müssen", sagt Nagelsmann. Es gebe unzählige Menschen in Europa, die flüchten müssten und ein sicheres Land suchten. "Aufgrund von Krieg, wirtschaftlichen Faktoren oder Umweltkatastrophen", sagt er. "Uns in Deutschland geht es uns sehr, sehr gut und wenn wir so etwas äußern, finde ich das einen Wahnsinn, wie verblendet wir da sind und solche Dinge ausblenden."
Am Vortag war schon Rechtsverteidiger Joshua Kimmich auf die Umfrage angesprochen worden. Er reagierte ähnlich irritiert. "Gerade, wer im Fußball aufgewachsen ist, weiß, dass das absoluter Quatsch ist", sagte Kimmich. Nagelsmann schloss sich seinem Vizekapitän an: "Ich will keinen Spieler missen, den wir nominiert haben und keinen, den wir nicht nominiert haben."
Er halte das Ganze für skurril, sagt Nagelsmann. Man fahre in den Urlaub, um andere Kulturen kennenzulernen. "Und dann kommen andere Kulturen hier rein und wir beschweren uns dann darüber", erklärt er. "Da muss ich nicht in den Urlaub fahren, da kann ich immer bleiben, wo ich bin." Im Gegenteil: Es sei schön, andere Kulturen kennenzulernen und gemeinschaftlich an etwas zu arbeiten. "Wie jetzt beim Fußball: etwa gemeinsam Europameister zu werden, das ist doch eine tolle Sache."
"Joshua hat es richtig gesagt, und das habe ich auch schon oft betont", führt Nagelsmann weiter aus. "Eine Fußball-Mannschaft kann da ein großes Vorbild sein, wie man verschiedene Kulturen, religiöse Hintergründe, auch Hautfarben vereint in eine Gruppe, um gemeinschaftlich an einem großen Ziel zu arbeiten. Das betrifft die einzelnen Länder auf der Welt." Schließlich spiele das DFB-Team eine EM "für jeden in diesem Land".
Unterdessen hatte sich auch WDR-Sportchef Karl Valks zu der Kritik geäußert: "Unser Reporter Philipp Awounou wurde in Interviews bei den Dreharbeiten zu der Dokumentation 'Einigkeit und Recht und Vielfalt' mit der Aussage konfrontiert, dass zu wenige 'echte', hellhäutige Deutsche auf dem Fußballplatz stehen. Das wollten wir bewusst nicht anekdotisch wiedergeben, sondern auf fundierte Daten stützen."
Daher habe der TV-Sender die Umfrage in Auftrag gegeben. "Wir selber sind bestürzt, dass die Ergebnisse sind, wie sie sind, aber sie sind auch Ausdruck der gesellschaftlichen Lage im heutigen Deutschland. Der Sport spielt in unserer Gesellschaft eine wichtige Rolle, die Nationalmannschaft ist ein starkes Vorbild für Integration", sagte Valks.
Quelle: ntv.de, mit dpa