TV-Experte mit Ecken und Kanten Alle lieben "Chris" Kramer - aber warum eigentlich?

Arm in Arm: Christoph Kramer (l,) und sein Adjutant Per Mertesacker.

Arm in Arm: Christoph Kramer (l,) und sein Adjutant Per Mertesacker.

(Foto: dpa)

Stollenwechsel bei Regen, "Spielermaterial" und taktische Analysen: Der Gladbach-Profi Christoph Kramer diskutiert als TV-Experte an der Seite von Per Mertesacker in allen Bereichen gerne. Bei Publikum und Presse kommt er an - wenn das nicht so wäre, würde er den Job auch nicht weitermachen.

Er schreibt Schlagzeilen, indem er sich über zugespitzte Schlagzeilen der deutschen Medienlandschaft zur Fußball-EM aufregt. "Jetzt heißt es wieder: Kramer ledert über deutschen Journalismus", sagte Christoph Kramer im ZDF-EM-Studio und der "Spiegel" antwortete prompt mit exakt dieser Überschrift. Das mag die humorvolle und passende Antwort auf einen noch aktiven Fußball-Profi als Experten sein, der sagen will, "wat denn nu is" und der für Scheindebatten, wie bei dem ihm vom öffentlich-rechtlichen Sender nahegelegten Verzicht auf den Begriff "Spielermaterial", wenig Verständnis zeigt. Und es ist auch die doofe Antwort auf doofe Fragen, die der 33-Jährige selbst gerne mal gibt. Doch nicht nur "Chris" Kramers direkte Art kommt gut an, er weiß auch fachlich zu überzeugen - und liegt in der Regel mit seinen Einschätzungen richtig.

Während großer Turniere ist Kramer präsent, nicht mehr als Nationalspieler, aber seit Jahren als TV-Experte. Dabei ist er auch weiterhin Spieler bei Borussia Mönchengladbach - angesichts seiner verletzungsbedingten 239 Spielminuten in der abgelaufenen Saison jedoch dort nicht sonderlich aufgefallen.

Im TV ist das anders: Beim Eröffnungsspiel der Deutschen gegen Schottland prognostizierte Kramer 15 Sekunden nach Anpfiff eine 3:0-Pausenführung, die dann auch so eintrat. Zum Teil sei das Glück gewesen, meinte Kramer, der dann tiefer in die Analyse ging. "Bei uns wird es in dieser Europameisterschaft nur darauf ankommen, ob uns ein Gegner spielen lässt oder nicht. Läuft uns ein Gegner hoch eins gegen eins an, haben wir Probleme. Tut er das nicht - und das kannst du nach zwölf, 15 Sekunden oder einer Minute erkennen - dann haben wir keine Probleme." Die Schotten ließen Deutschland gewähren, am Ende stand ein 5:1-Euphoriesieg.

Kramer'sche Analyse oft treffsicher

Die Kramer'sche Analyse zieht sich wie ein roter Faden durchs Turnier. Auch Ungarn ließ die DFB-Elf gewähren, ein ungefährdeter 2:0-Erfolg sicherte das Achtelfinale. Im Duell um den Gruppensieg mit der Schweiz offenbarten sich dann bereits Schwächen angesichts des Anlaufverhaltens und auch die taktisch gut geschulten Dänen bereiteten der Nagelsmann-Elf mit dieser Formel Probleme.

Angesichts der von ihm angesprochenen Dramatik in der Presse, angesichts der Höhen und Tiefen im Fußball, fühlt sich Kramer offenbar berufen gegenzusteuern, wenn es angebracht ist. Nachdem die fulminanten Spanier das - zu Recht gelobte - Georgien im Achtelfinale deklassiert hatten, schlotterten der deutschen Medienlandschaft schon die Knie vor der "Furia Roja". Stark im Ballbesitz, sauberes Positionsspiel und 1A-Gegenpressing - das wollte Kramer nicht von der Hand weisen, erklärte im Podcast "Copa TS" aber auch die dadurch entstehenden Chancen.

Deutschland werde mehr Räume haben, die man mit hohem Tempo in der Offensive geschickt bespielen könne. Dazu habe Spanien bereits eine "brutale Schwachstelle" offenbart. Die etatmäßigen Innenverteidiger hätten Probleme beim Rausrücken, was unter anderem die Georgier ausnutzen konnten. Kramer erwarte gegen Deutschland aber ein anderes Spanien, weniger konteranfällig, mit tieferem Positionsspiel.

"Wer sich bei 'Spielermaterial' angegriffen fühlt ..."

Ob auch diese Kramer-These zutrifft, muss sich noch zeigen. Es vergeht aber eigentlich kein EM-Tag, an dem Kramer nicht mit einer seiner Aussagen in den Schlagzeilen steht. Auch wenn sie mal durch seine Art das sportliche Geschehen in den Hintergrund rücken. Auf die Frage von ZDF-Moderatorin Katrin-Müller Hohenstein, ob es am Rasen liege, dass die Nationalspieler bei strömendem Regen in Dortmund gegen Dänemark die Schuhe wechselten, reagiert Kramer angenervt. "Mit was soll es sonst zusammenhängen, wenn nicht mit dem Rasen?", entgegnete er.

Plumpe Fragen lösen beim 33-Jährigen Unverständnis aus, ebenso wie Debatten über Themen, die der Gladbacher vielleicht nicht so auf dem Schirm hat. Von ZDF-Mann Jochen Breyer darauf hingewiesen, dass er das Wort "Spielermaterial" nicht mehr nutzen solle, reagierte Kramer mit Unverständnis. "Ich wusste gar nicht, dass es darüber eine Diskussion gibt, und dachte, Jochen will einen Witz vorbereiten", sagte Kramer im "Bild"-Podcast. "Wer sich bei 'Spielermaterial' angegriffen fühlt: Dem kann ich auch nicht mehr helfen", entgegnete er der Meinung, der Begriff könne entmenschlichend wirken. Diese Art, nicht alles zu dramatisieren, wird vom Publikum geschätzt, aber auch von der Presse, die natürlich seine Aussagen gerne zu Schlagzeilen verarbeitet. Die "Sport Bild" gab dem Duo Mertesacker/Kramer jüngst die Note 1, im "Spiegel"-Ranking der 16 derzeitigen TV-Experten landet er hinter Almuth Schult auf dem zweiten Platz.

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Die Rolle im TV scheint ihm locker von der Hand zu gehen. "Wir sitzen da nur und machen einfach ein bisschen Fernsehen. Das hört sich so einfach an, ist aber ehrlich gesagt auch nicht so schwer", sagte er im "Bild"-Podcast. Trotzdem sei es schön, wenn ein Lob kommen würde. Das bestärke ihn, weiterzumachen. "Ich mache das auch nur, weil ich merke, dass es ganz vernünftig ankommt."

Sportlich ist Kramers Zukunft ungewiss. Zwar hat er noch ein Jahr Vertrag bei den Fohlen, im Verein ist man vom Top-Verdiener aber nicht mehr gänzlich überzeugt. Zu schwankend waren seine Leistungen in der letzten Saison. Entsprechend dürfte ihm der Job des TV-Experten aber dauerhaft sicher sein - hier waren und sind seine Leistungen bei den letzten vier großen Turnieren konstant gut. Der 33-Jährige würde sich sicher wünschen, dass die deutsche Nationalmannschaft nun sportlich auch mal mitziehen würde.

Quelle: ntv.de

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