Vor Deutschland gegen England Worauf Sie beim Elfmeterschießen achten müssen
25.06.2021, 14:50 Uhr
Andreas Möller verwandelt im 1996er EM-Halbfinale den entscheidenden Elfmeter gegen England.
(Foto: imago/Horstmüller)
Jetzt beginnt wieder das große Zittern. K.-o.-Phase der Europameisterschaft. Irgendwie ins Elfmeterschießen retten. Gerade gegen England klappt das immer. Eine Studie verrät, wer der entscheidende Mann beim Elfmeterschießen ist - und worauf dieser achten muss.
Endlich geht die Europameisterschaft so richtig los. Die Gruppenphase ist absolviert, 8 von 24 Teams sind eliminiert und die K.-o-Phase beginnt. Ein Fehler in der Abwehr, eine mangelhafte Restverteidigung kann den Favoriten das Turnier kosten, ein klug vorgetragener Angriff, ein brachialer Weitschuss oder ein Abstauber den Außenseiter in die nächste Runde spülen. Manchmal passiert nichts. Dann kommt es zum Elfmeterschießen. Ein Drama. Jedes Mal. Als Zuschauer kaum zu ertragen, für die Spieler auch nicht. Sie stehen unter riesigem Druck. Wie aber werden Elfmeterschießen entschieden? Wer hat die besseren Chancen zu gewinnen und worauf muss der Zuschauer achten? Über diese Fragen zerbrechen sich Forscher seit langer Zeit den Kopf.
Die Schlüsselfrage war bislang immer: Gibt es einen psychologischen Vorteil für das Team, das zuerst an den Punkt gehen darf oder ist das ein Nachteil? Rund 75 Prozent aller Elfmeter werden verwandelt - zerbricht man also an dem großen Druck, als zweites Team immer wieder auf einen Rückstand reagieren zu müssen? Könnte man denken. Dachte sich auch das Forscher-Trio Dominik Schreyer, Sascha L. Schmidt (beide von der WHU, der Otto Beisheim School of Management) und Matthias Sutter (Max-Planck-Institut zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern). Sie schauten sich das an und stiegen in die Archive. Das Resultat liegt nun in Form einer Studie vor.
Nur 56 Prozent wollen zuerst schießen
Bei ihren Forschungen stießen sie jedoch auf etwas ganz anderes: Es ist nicht entscheidend, wer den ersten Elfmeter schießen darf. "Der Münzwurf spielt trotzdem eine entscheidende Rolle", sagt Dominik Schreyer von der WHU in Düsseldorf. "Der Sieger kann entscheiden, wie er den Gegner unter Druck setzt! Da gilt es, eine gute Entscheidung zu treffen. Wir sehen: Sechs von zehn Mal geht das tatsächlich gut." Zu diesem Ergebnis kommt die Studie des Trios.
Und wir zu den Zahlen: Untersucht wurden 207 Elfmeterschießen zwischen 2003 und 2017. Warum 2003? Damals änderte sich die Regel. Vorher musste der Gewinner des Münzwurfs den ersten Schützen stellen. Seither kann er entscheiden. Die untersuchten Elfmeterschießen fanden in allen Wettbewerben statt. Bei Weltmeisterschaften, Europameisterschaften, in der Champions League, aber auch bei Turnieren der Frauen- und Jugendmannschaften. Von diesen 207 Spielen ließ sich nur bei 96 Spielen überhaupt ermitteln, wer den Münzwurf gewonnen hat. Bei den anderen Spielen gab das Videomaterial darüber keine Auskunft. Für Schiedsrichter besteht keine Dokumentationspflicht. Bei diesen 96 Spielen jubelten bei 60 Prozent der Spiele die Teams, die vorher den Münzwurf gewonnen hatten.
Anders als zu erwarten, entschieden sich nur 56 Prozent aller Kapitäne für den ersten Elfmeter und 44 Prozent stellten ihren Torwart zuerst ins Tor. Wie auch bei der Europameisterschaft 2016. Dort reichten die beim Münzwurf siegreichen Kapitäne den Druck des ersten Schützen an das gegnerische Team weiter. Zwei der drei Versuche waren erfolgreich, auch die Deutschen entschieden sich beim Elfmeterschießen gegen Italien für diese Variante.
Die Ressourcen sinnvoll einsetzen
Aber nicht immer ist das erfolgreich. Das 2021er Europa-League-Finale zwischen Manchester United und Villarreal. Der Ersatzkapitän der Red Devils, Bruno Fernandes, gewann den Münzwurf und ließ den Spaniern den Vortritt. Nach einem epischen Elfmeterschießen mit 21 erfolgreichen Versuchen scheiterte Uniteds Torhüter David De Gea an Villarreals Gerónimo Rulli. Die Sensation war perfekt, die Aufregung bei den United-Fans groß.
"Sie hatten auch jeden Grund, verstimmt zu sein", sagt Schreyer. "Aber nicht pauschal, weil Fernandes Villarreal den ersten Elfer überlassen hat, sondern weil er die Ressourcen des Teams nicht richtig einsetzte. De Gea hält kaum Elfmeter. Hier hätte United beginnen und mit einem Treffer versuchen sollen, den Druck auf Villarreal zu erhöhen. Das ist das eigentliche Ergebnis: Die Kapitäne müssen ihre Ressourcen sinnvoll einsetzen. Sie müssen ihr Team kennen."
Englands Trauma
Dramatisch war es auch 1990 und 1996 bei den Spielen Deutschland gegen England. Beides Mal ging es ins Elfmeterschießen. England ist immer noch traumatisiert. Bei der WM in Italien und der EM in England werden die Halbfinal-Partien jeweils im Elfmeterschießen entschieden. England scheitert erst durch Stuart Pearce und sechs Jahre später vergibt auch Gareth Southgate, der heutige Trainer der Three Lions, den entscheidenden Elfmeter. Andreas Möller nimmt Anlauf, trifft und stemmt vor der englischen Kurve die Arme in die Hüften. Ein ikonisches Bild.
Am Dienstag kommt es im Wembley-Stadion zum Klassiker England gegen Deutschland. Beide Nationen haben sich oft und gerne bei großen Turnieren duelliert. Es ging 1966 los. Das legendäre und so umstrittene Tor von Geoff Hurst zum 3:2 für England. Heute würde es nicht mehr fallen. Die Torlinientechnologie sorgt dafür. Die hätte vielleicht sogar den deutschen WM-Sieg 2014 verhindert. Wir erinnern uns: Im Jahr 2010 entwickelt Joachim Löw eine junge, aufregende Mannschaft. Im Achtelfinale spaziert sie mit einem 4:1 gegen England in die nächste Runde.
Kurz vor der Pause erzielte Frank Lampard einen glasklaren Treffer. Sein Schuss prallte von der Unterkante der Latte hinter die Torlinie. Schiedsrichter Jorge Larrionda aus Uruguay und sein Assistent Mauricio Espinosa sehen das anders. Kein Tor, kein 2:2 Ausgleich. Deutschland gewinnt und Joachim Löws Projekt lebt weiter. Bis zum Spiel Deutschland gegen England im Wembley. Mindestens. Dann kommen die Elfmeter und Sie wissen nun, worauf Sie achten müssen.
Quelle: ntv.de