Fußball

Nachruf auf Hans Tilkowski Der feine Herr, der so streitbar war

Hans Tilkowski war ein Idol - und blickte zufrieden auf sein Leben zurück.

Hans Tilkowski war ein Idol - und blickte zufrieden auf sein Leben zurück.

(Foto: imago images/Sven Simon)

Der legendäre Keeper der deutschen Nationalmannschaft, Hans Tilkowski, ist am Sonntag im Alter von 84 Jahren im Beisein seiner Familie gestorben. Sein Name ist auf ewig mit dem Begriff "Wembley" verwoben. Doch sein ereignisreiches Leben hatte noch so viel mehr zu bieten. Ein Nachruf.

Unter Journalisten-Kollegen war Hans Tilkowski durchaus gefürchtet. Wenn es um die Herausgabe seiner Telefonnummer ging, erhielt man schon einmal als Antwort: "Bitte meinen Namen auf keinen Fall, um Gottes Willen nicht, erwähnen. Tilkowski ist immer problematisch." Dabei stand die Nummer des legendären Nationalkeepers im öffentlichen Telefonbuch der Stadt Herne. Aber Tilkowski wusste selbst nur zu gut, dass seine Außenwirkung häufig etwas schwierig war. Er bezeichnete sich als "unruhigen und streitbaren Geist" – der "Ungerechtigkeit. Hochmut. Um den heißen Brei reden. Und Nichtstun" nicht leiden konnte.

In seiner Zeit als Trainer des 1. FC Nürnberg vermeldetet der "Kicker" einmal einen spektakulären Zwischenfall mit der Überschrift "Tilkowski schlug zu!". In der Unterzeile stand auch gleich der Grund: "Ihm gingen die Zuschauer auf die Nerven". Das Sportmagazin schrieb: "Ein in Reutlingen arbeitender Italiener Donato Ruggiere vermochte sein südländisches Fußballtemperament nicht zu zügeln und beschimpfte lautstark beim Abgang die Nürnberger Mannschaft". Das passte dem Club-Coach offensichtlich gar nicht: "Hans Tilkowski, der schon zur Pause im Tribünen-Gang den Zuschauern den Vogel gezeigt hatte, verlor die Beherrschung und schlug den Italiener ins Gesicht. Blutend rannte dieser zur Polizei, die ein Protokoll aufnahm."

"Streitbarer Geist" und "feiner Herr"

Seit 1959 war Hans Tilkowski der "feine Herr".

Seit 1959 war Hans Tilkowski der "feine Herr".

Vielleicht waren es Geschichten wie diese, die man sich über Tilkowski immer wieder erzählte und die seinen Ruf als "streitbaren Geist" untermauerten. Andere kannten den adretten Tilkowski nur als den "feinen Herrn", wie man den eleganten Torhüter in Herne gerne nannte, seit er mit seinem Team (Overdieck, Kellermann, Losch, Pyka, Benthaus, Wandolek, Kraskewitz, Clement, Burkhardt, Sopart) Westdeutscher Meister des Jahres 1959 geworden war.

Sieben Jahre später sollte eine einzige Szene sein ganzes weiteres Leben auf den Kopf stellen. Es hat einige Zeit gebraucht, bis Hans Tilkowski begriffen hatte, dass die berühmte Geschichte des Sommers 1966 mehr Segen denn Fluch war: "Ohne dieses exklusive Pech des Wembley-Tores würden sich wohl nur die eingefleischten Fußballfans und die professionellen Fußballexperten noch an den Nationaltorhüter Hans Tilkowski erinnern." Er musste lernen, mit der Story umzugehen – und schaffte dies auf eine vortreffliche Art und Weise. Unzählige Menschen können davon berichten, wie sie den WM-Endspiel-Keeper persönlich trafen und er, ohne vorherige Begrüßung oder Frage, sofort sagte: "Der war nicht drin!" Wenn das einmal geklärt war, das wusste Tilkowski, konnte ein ‚normales’ Gespräch über alles Weitere beginnen. Und auf den Mund gefallen war der BVB-Europapokalsieger von 1966 keinesfalls – wie zwei Geschichten mit ehemaligen Kameraden von früher zeigen.

"War nicht drin!" - Hans Tilkowski muss es wissen!

"War nicht drin!" - Hans Tilkowski muss es wissen!

(Foto: imago/United Archives International)

Mitte der sechziger Jahre regnete es in Dortmund tagelang Sturzbäche vom Himmel. In Zeiten, in denen man das Wort "Greenkeeper" noch für eine ansteckende Krankheit hielt, war das natürlich eine mittlere Katastrophe. Im Torraum stand das Wasser zentimeterhoch. Hans Tilkowski war entsprechend bedient. Mit mürrischem Gesicht schaute er flehend zum Himmel und wartete sehnsüchtig auf das Ende der Einheit.

Sein Mannschaftskollege Friedhelm "Timo" Konietzka grinste unterdessen mit der nicht vorhandenen Sonne um die Wette. Er freute sich diebisch auf das abschließende Torschusstraining. Mit kindlicher Begeisterung versuchte er die Schüsse so zu platzieren, dass Tilkowski sich genau an der Stelle werfen musste, wo das Rasen-Asche-Gemisch am ekligsten war. Doch der Torhüter ließ sich nicht locken. Völlig ruhig pflückte Tilkowski die Bälle mit ein, zwei schnellen Schritten herunter, genau so, wie Bundestrainer Herberger es ihm einst mit auf den Weg gegeben hatte ("Wer sich auf der Linie schmeißen muss, hat vorher was verpasst"). Als Konietzka ihn schließlich frustriert anmaulte, entgegnete der Nationalkeeper schelmisch grinsend: "Du kannst dich ja selbst in die Matsche schmeißen, wenn du da so viel Spaß dran hast!"

Um einen guten Spruch war Tilkowski also nie verlegen – das sollte auch der ehemalige Nationalmannschaftskollege Horst Szymaniak erfahren. Als dieser Tilkowski an seinem 70. Geburtstag gestand, dass er nach einer Operation mittlerweile ein paar Probleme beim Laufen habe ("Die ersten 300 Meter sind die schlimmsten"), erwiderte Tilkowski schlagfertig: "Mensch, Horst, dann fang doch erst nach 400 Metern an."

"Ich würde nichts anders machen"

Hans Tilkowski 1973 als Trainer von Werder Bremen.

Hans Tilkowski 1973 als Trainer von Werder Bremen.

(Foto: imago sportfotodienst)

Nach seiner Laufbahn als Spieler wusste Tilkowski schon früh, wohin die berufliche Reise gehen sollte. In den ersten Jahren der Bundesliga war es selbstverständlich, dass die Profis zusätzlich zu ihrem Engagement in den Vereinen einem zweiten Beruf nachgingen. Und so standen einige der Lizenzspieler beim Kölner Präsidenten Franz Kremer in Lohn und Brot. Hans Tilkowski war im Jahr 1964 gar in dreifacher Mission unterwegs: als Lizenzspieler bei Borussia Dortmund, als Versicherungsvertreter und schließlich auch noch als Vertreter für Geschenkartikel. Den letztgenannten Job übte er bei Franz Kremer aus. Tilkowski war sehr zufrieden mit der Erweiterung seiner Einnahmequellen: "Ich habe viele Freunde. Versicherungsmäßig können sie nicht immer was für mich tun. Mit Geschenkartikeln schon eher."

Doch im Jahr 1970, als die letzten Monate als Spieler der Frankfurter Eintracht anstanden, ließ Tilkowski diese Geschäfte ruhen. Er hatte sich dazu entschieden, "so nah wie möglich am Fußball" zu bleiben. Und so kam es, dass im März 1970, als er noch bei Frankfurt als Spieler unter Vertrag stand, Werder Bremen bei ihm anklopfte, ob er nicht sofort Trainer der Hanseaten werden wolle. Und Tilkowski wollte. Er erinnerte sich an seine ehemaligen Übungsleiter Sepp Herberger, Dettmar Cramer, Willi Multhaup und Fritz Langner und ahmte diesen, wie er sie selbst nannte, "Trainer-Koryphäen" nach. Es folgten zwölf aufregende Jahre an der Seitenlinie – u.a. musste der gebürtige Dortmunder im Jahr 1977 aus nächster Nähe mitansehen, wie der Kölner Dieter Müller seinen Torrekord für die Ewigkeit mit sechs Treffern in einem Spiel aufstellte – bei Vereinen wie 1860 München, 1.FC Saarbrücken und abschließend beim griechischen Klub AEK Athen. Als 1982 endgültig Schluss mit dem Fußball war, betätigte sich Tilkowski wieder in seinem erlernten Beruf als Kaufmann mit angeschlossenem Geschenkartikel-Vertrieb.

Hans Tilkowski, der Generationen von Fußballfans begeistert hat, hat einmal über sein Leben gesagt: "Ich würde nichts anders machen. Ich möchte nur alles noch einmal erleben ...!" Am Sonntag ist Tilkowski im Beisein seiner Familie verstorben.

Quelle: ntv.de

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