Die verrückten zwei WMs in Katar Frankreich zaubert den Fluch einfach kurz und klein
23.11.2022, 05:41 UhrEigentlich kann der amtierende Weltmeister gar nicht über die Gruppenphase hinauskommen, dieser Flucht ist eine Regel. Doch Frankreich bricht fulminant mit dieser Hexerei - und Zauberer Mbappé zeigt, dass in Katar zwei Turniere auf einmal stattfinden.
Ein Fluch ist schon so eine Sache. So richtig will niemand dran glauben. Aber wenn dann wieder alles in die "verfluchte" Richtung geht, reden auf einmal alle von Hexerei. Im Fußball gibt es bekanntermaßen so einige berühmte und überaus mächtige Abakadabras. Fluch der Karibik quasi nix dagegen. Ein "Hex Hex" von Bibi Blocksberg oder ein Imperius-Fluch Professor Moodys (der vermeintliche, bevor die bösen Harry-Potter-Fanmails in die Redaktion regnen wie ins Haus der Dursleys) erst recht nicht.
Da ist zum Beispiel der (Ironie an) völlig gerechtfertigte Fluch vom Wembley, wo 1966 die fiesen Engländer den armen Deutschen den Sieg wegmogelten und daraufhin völlig zurecht mindestens 56 Jahre Fußballleid erfahren mussten (Ironie aus). Bis 2014 hatten die Fußball-Götter außerdem jeglichen Europäer verhext, der während einer Weltmeisterschaft südamerikanischen Boden betreten hatte. Welches Elixier Joachim Löw dann seinen Männern eingeflößt hat, um ihnen den Geist auszutreiben? Fragen Sie ruhig mal bei ihm nach.
Und dann ist da natürlich dieser verflixte Weltmeister-Hex. Irgendwann ist er in den WM-Pokal hineingekrochen und treibt seitdem sein Unwesen. Er ist zwar noch ziemlich jung, haut aber bei dem, der ihn ereilt, umso heftiger rein. Ein echter Fiesling-Fluch, wirkt direkt vier Jahre. Aber irgendwie auch eine nette Fairness-Verwünschung. Je nach Perspektive.
Er geht so: Bei der Pokal-Entgegennahme nach Gewinn der Weltmeisterschaft wird die Siegernation derart verhext, dass maximal noch die Qualifikation fürs nächste interkontinentale Turnier drin ist, dann reicht es aber und in der Gruppenphase ist Schluss. Dieser böse Zauber schickte vier der letzten fünf Weltmeister vor der K.o.-Phase nach Hause. Fragen Sie gerne erneut bei Löw nach, wie sich dieser Fluch am eigenen Leib anfühlt. Möglicherweise handelt es sich auch um einen Faust'schen Pakt und die WM-Sieger haben für den Titel ihre nächste Turnier-Seele verkauft? Frankreich jedenfalls scheiterte bereits 2002 nach dem WM-Titel 1998 in der Vorrunde. Ein böses Omen?
Die Vorzeichen sind düster
Nun, wie genau der Fluch auch wirken mag, mögen die Franzosen auch jeden Vodoomaster in der République kontaktiert und an Tee-, Kaktus- und verschiedensten Drogen-Zeremonien teilgenommen haben - das alles, so scheint es vor der WM, hat nichts geholfen. Erst fallen die wichtigen Mittelfeld-Motoren N'Golo Kanté und Paul Pogba aus, dann mit Presnel Kimpembe ein Anker in der Abwehr. Und weil der Weltmeister-Geist ein Spaßvogel ist, zwickt er kurz vor dem ersten Spiel von Les Bleus auch noch Ballon d'Or-Gewinner Karim Benzema in die Hüfte.
Gegen Australien muss Frankreich also nicht nur die unangenehm bespielbaren Socceroos, sondern auch diese verdammte Verwünschung besiegen. "Damit beschäftige ich mich nicht", sagte Chefcoach Didier Deschamps vor der Partie. Vorsicht, sowas hat schon manchen Geist, Hexer oder schwarzen Zauberer so richtig auf die Palme gebracht.
Frankreich läuft im Al-Janoub Stadium in der Hafenstadt Al-Wakrah offensiv ausgerichtet mit Antoine Griezmann und Olivier Giroud auf und beginnt sofort mit einem Sturmlauf à la: Wir überrennen den Fluch einfach. Ousmane Dembelé und Kylian Mbappé machen auf den Flügeln mächtig Wirbel. Doof nur, dass selbst die einfachste Waldhexe nicht auf diesen billigen Trick reinfällt. Und so rächt sich der Fluch schon in der 9. Minute. Und zwar doppelt: Zuerst verdreht sich Bayerns Lucas Hernández im Zweikampf das Knie und kann dadurch nicht eine scharfe Hereingabe von rechts verhindern, die Craig Goodwin eiskalt zur Führung ins Netz haut. "Down Under" von Men at Work lässt die "Aussies" tanzen, "quel malheur" grummeln die Franzosen.
Als Mitchell Duke nach einem katastrophalen Fehlpass des eingewechselten Hernández-Bruders Theo in der 22. Minute abzieht, bahnt sich weiteres Unheil für Deschamps Männer an. Aber der Strahl von einem Schuss rauscht Zentimeter am rechten Pfosten vorbei. Keeper Hugo Lloris wäre wohl nicht mehr herangekommen. Und so tanzt sich Superstar Mbappé auf der linken Seite weiter fleißig am ersten Gegenspieler vorbei, scheitert aber meist am zweiten oder dritten.
Das Gegenmittel heißt Mbappé
Bis in der 27. Minute plötzlich der Ausgleich fällt. Und natürlich sind es eine ordinäre Halbfeldflanke und ein einfacher Kopfball des Mittelfeldrackerers Adrien Rabiot, die das Tor bringen. Gegen diese Fußballsimplizitäten, die auch im heutigen Hochgeschwindigkeitsspiel oft Wunder wirken, hilft auch der beste Hokuspokus nichts.
Gegen grobe Schnitzer der Gegenspieler genauso wenig. Und so machen Les Bleus in der 32. Minute dem Hexenwerk einen Strich durch die Rechnung, als die Australier den Ball im eigenen Aufbau verlieren und Mbappé wunderschön (zauberhaft wäre trotz des passenden Tropus doch zu viel) per Hacke auf Rabiot legt. Dessen Pass muss Giroud am Fünfmeterraum nur noch einschieben. Eine La Ola schwappt durchs Stadion. Hat Deschamps wirklich das Gegenmittel gegen den Titelverteidiger-Fluch gefunden?
Ja - und es heißt Kylian Mbappé. Zunächst wird der Superstürmer zwar noch ein wenig von der schwarzen Magie im Bann gehalten und verpasst nach starker Griezmann-Vorarbeit mit einer eingesprungenen Grätsche aus drei Metern zwar nicht den Ball aber dafür das Tor. Er muss selber grinsen und weiß wohl, dass er den Fluch bald vollständig abschütteln wird. Auf der Gegenseite trifft Jackson Irvine den Pfosten.
Verflucht, es gibt tatsächlich zwei Weltmeisterschaften bei diesem Turnier in Katar: Die der Gastgeber und der FIFA, die so lauten und ekelhaften Lärm erzeugen, dass er die Schreie derer, die für dieses Mega-Event gelitten haben, übertönt. Und dann diese spannenden und teilweise wunderschön anzuschauenden Spiele. Frankreich beweist nach England, wie erfolgreicher und attraktiver Offensivfußball geht. Ob die deutsche Nationalmannschaft im Team-Quartier zugeschaut hat, bevor es am Nachmittag (14 Uhr/ ARD und im Liveticker auf ntv.de) im ersten Spiel gegen Japan geht?
Frankreich wird Favoritenrolle gerecht
Die zweite Hälfte startet mit der nächsten französischen Großchance: Traumhaft liegt Giroud quer in der Luft, aber sein zauberhafter (bei dieser Akrobatik durchaus erlaubter) Seitfallzieher verfehlt das Tor knapp. Und die Équipe Tricolore macht weiter mächtig Druck und kombiniert sich mit ihren enormen Offensivkräften teilweise in einen Rausch. Erst retten die Australier noch auf der Linie und dann sind es tatsächlich die Dribbelkünstler von den Außenbahnen, die das verdiente 3:1 machen. Wieder ist es ein simpler Chipball, diesmal von Dembélé, der punktgenau den Kopf des im perfekten Moment hochsteigenden Mbappés findet. Der Superstar hat mit seinen 23 Jahren nun bereits fünf WM-Tore auf dem Konto.
Danach beginnt der Megastar von PSG mit seiner ganz eigenen Hexerei-Einlage und spielt wie im Rausch. Auf der linken Seite lässt Mbappé unnachahmlich seinen ersten Gegenspieler mit einer Körpertäuschung stehen, vernascht anschließend zwei Abwehrspieler mit einem Tempowechsel, um abschließend perfekt in die Mitte des Strafraums zu flanken, wo nun auch Giroud per Kopf trifft. Und Mabppé hört nicht auf. Beinschuss folgt auf Beinschuss, Übersteiger folgt auf Übersteiger. Der Angreifer weiß genau, dass diese WM seine werden kann, da Ronaldo und Messi altern und menscheln und ein gewisser Haaland gar nicht mitspielt.
Nun müsste der Fluch in den restlichen beiden Gruppenspielen schon mächtig herumspuken, wenn er diesen starken Franzosen die Post-Weltmeister-WM noch versauen will. Im Gegenteil: Frankreich wird in Katar - bei der zweiten Weltmeisterschaft, der sportlichen - neben England als zweiter Favorit seiner Rolle gerecht. Schon mit einem weiteren Sieg können Les Bleus den Fluch endgültig besiegen - solang sie nicht doch einen noch teuflerischen Pakt eingegangen sind, um diesen Hexer Mbappé zu erschaffen.
Quelle: ntv.de