Tage der Angst am Geißbockheim Steffen Baumgart zerschellt am Kölner Planungschaos
21.12.2023, 19:50 Uhr
Steffen Baumgart muss den 1. FC Köln verlassen.
(Foto: IMAGO/Beautiful Sports)
Nach einer wilden Liebesbeziehung trennen sich Steffen Baumgart und der 1. FC Köln. Verantwortung hat der Trainer nur zum Teil: Das Präsidium schwelgt in großen Plänen, Sportdirektor Keller holte die nötigen Spieler nicht. Nun ist auch die Transfersperre bestätigt. Die Zukunft des FC sieht düster aus.
In seinem wohl letzten Interview als Trainer des 1. FC Köln klangen die Worte Steffen Baumgarts wie immer. Aber ihr Inhalt verriet einiges über das Innenleben des Mannes, der einer schon totgesagten Mannschaft in den ersten beiden Jahren furioses Leben eingehaucht hatte und die nun zurück in den tristen, fast schon üblichen Abstiegskampf gefallen ist. "Köln ist mein Verein", sagte Baumgart. Eine möglicherweise finale Liebeserklärung des knurrigen früheren Stürmers, der sonst immer nur betonte, wie sehr ihm der Hamburger SV und Union Berlin am Herzen liegen.
Nun hat der Abstiegskonkurrent aus der Hauptstadt ihm den finalen Stich verpasst. Viel versuchte sein Team in der ersten Halbzeit an der Alten Försterei, aber selbst gegen eine desolate Heimmannschaft war der FC zu harmlos. Ein erfolgreicher Konter der Berliner genügte, und die Kölner Mannschaft fiel in sich zusammen. So etwas passierte in dieser Saison nicht nur einmal. Schon an den ersten Spieltagen der Saison war die Mannschaft wackliger: Ohne einen der besten 6er der Liga, Ellyes Skhiri, der nun wie ein Dynamo das Frankfurter Mittelfeld am Laufen hält, und ohne den besten Linksverteidiger alias geheimer Spielmacher Jonas Hector, der sich selbst frühverrentete.
Der Trainer ist auch ein Bauernopfer. Für Ex-Geschäftsführer Alex Wehrle, der nicht mehr da ist. Für dessen Nachfolger Christian Keller. Und für das von zwei außergewöhnlichen Jahren verblendete Präsidium. Das nächste Jahr wird ein wilder Ritt: Der Internationale Sportgerichtshof hat zudem die Transfersperre der FIFA über zwei Wechselperioden bestätigt. Damit sind Verstärkungen im Winter vom Tisch. Baumgarts Nachfolger wird mit dem identischen Kader ein Jahr lang durchhalten müssen. Nur Jugendspieler dürfen zu den Profis hochgezogen werden.
Müngersdorf im Sturm erobert
Baumgart und der FC, das war in diesen beiden Jahren eine wilde Liebesbeziehung. Weil sie gemeinsam Spektakel auf dem Platz und an der Seitenlinie versprachen, mit grenzenlosem Einsatz, Geschwindigkeit, Toren und immer viel "Hätz", garniert mit klaren Worten. So eroberte Baumgart Müngersdorf im Sturm. Nach der Conference League Qualifikation schwelgten die Fans in vorsichtigen Träumereien von regelmäßigen internationalen Auftritten und einer Ära Baumgart wie die Christian Streichs in Freiburg. Baumgart sinnierte in Pressekonferenzen von möglichen Titeln und streichelte die geschundene Kölner Fußballseele mit Brüllansprachen in der Kabine, die sogar Ergebnisse brachten.
Das hat sich geändert. Die Mannschaft hat ihre Achse, ihren Hunger und Balance verloren. Die Qualität des Kaders reicht derzeit nicht mehr aus, um Baumgarts Spielprinzip umzusetzen: Wir spielen immer nach vorne; wenn die gegnerische Mannschaft trifft, können wir immer noch ein Tor mehr schießen.
Am Ende war der Aderlass der vergangenen beiden Jahre offensichtlich zu groß: Kopfballmonster Anthony Modeste und Wadenbeißer Salih Özcan gingen aus finanziellen Gründen bereits nach Baumgarts erster Saison nach Dortmund. Die Abgänge der beiden wurden im zweiten Jahr noch kaschiert; durch die Torgefahr und den formstarken Skhiri sowie Florian Kainz und Dejan Ljubicic im Mittelfeld. Nach dem zweiten Jahr gingen Skhiri und Hector. Die Kontrolle über das Mittelfeld war in Baumgarts ersten beiden Spielzeiten der Trumpf. Ohne den wurde die aktuelle, dritte Bundesligasaison zur taktischen Wette.
Angezettelt hat diese Sportdirektor Christian Keller, zuvor beim unterklassigen Jahn Regensburg beschäftigt, der nur entsprechende Qualität aus dem B- und C-Regal in die Mannschaft brachte. So, als hätte er nie Liga und Verein gewechselt. Als nötig angekündigte und öffentlich diskutierte Transfers - ein erfahrener Sechser und ein treffsicherer Stürmer - fanden nie statt. Die Entschuldigungen waren: Es ist kein Geld da, und die drohende Transfersperre habe potenzielle Spieler abgeschreckt. Nun werden es die aktuellen Akteure plus der Nachwuchs richten müssen.
Hoffnung bringt keinen Erfolg
Baumgart versuchte vor ein paar Wochen noch, Keller und den Verein aufzuwecken. Wenn kein Geld da sei, dann müsse eben welches aufgetrieben werden, polterte er in einem Interview. Recht hatte er, denn die ausgegebenen Ziele des Vorstands passten in sich überhaupt nicht mehr zusammen. Da war der nebulöse Mehrjahresplan, der den FC in der oberen Tabellenhälfte etablieren sollte. Nur mit welchem Geld? Geschäftsführer Alexander Wehrle hatte ein finanzielles schwarzes Loch hinterlassen, welches sein Nachfolger Keller zwar erfrischend ehrlich offenlegte, aber seither versucht, mit dem Prinzip Hoffnung zu stopfen. Doch Hoffnung bringt keinen sportlichen Erfolg.
Der Klub nährte sie mit dem Etikett "Entwicklungsverein", er wollte Baumgarts offensives, laufintensives Spielkonzept in die Jugendmannschaften zu übertragen und Talente so einfacher in die Profimannschaft überführen. Der Trainer, der in den ersten beiden Jahren seine Mannschaft zuvor zu beeindruckenden Leistungssprüngen und -spitzen geführt hatte, zeigte sich nach außen hin einverstanden. Doch er setzte die Idee kaum um, sondern im Zweifel auf seine vertrauten Kräfte. Die versanken kollektiv im Formtief. Der einzige Lichtblick der vergangenen Wochen, bei Union in der Startelf, war Max Finkgräfe. Der junge Linksverteidiger war neben Torwart Marvin Schwäbe der beste Mann auf dem Platz.
Baumgart hat sicherlich Verantwortung für die Lage beim FC. Zu welchem Teil, darüber wird noch lange diskutiert werden. Die Träumereien von Titeln und den Top 10 haben sich im Kölner Grüngürtel jedenfalls in pure Angst vor dem Abstieg und Jahren der Trostlosigkeit in unteren Spielklassen verwandelt. In der Zweiten Liga tummelt sich jetzt schon eine halbe 1. Bundesliga der Vergangenheit. Der FC will verhindern, dass ihn das gleiche Schicksal ereilt. Eine monumentale Aufgabe für die Verantwortlichen am Geißbockheim - angesichts der einjährigen Transfersperre eine wie noch nie.
Quelle: ntv.de