Fußball

Uli Hoeneß hatte sich geirrtAm 4. November wurde der FC Bayern eiskalt enttarnt

28.12.2025, 07:38 Uhr
imageVon Tobias Nordmann
ARCHIV-01-12-2025-Bayern-Muenchen-Uli-Hoeness-Ehrenpraesident-des-FC-Bayern-Muenchen-nimmt-am-Talk-Wie-bleibt-Fussball-Business-Koenig-auf-dem-Kongress-Sport-Marke-Medien-teil
Na, warum so ein kritischer Blick? Eigentlich gefällt Uli Hoeneß doch, was er von seinem FC Bayern sieht. (Foto: dpa)

Der FC Bayern spielt eine Super-Saison. In der Fußball-Bundesliga hat die Mannschaft nach 15 Spieltagen mindestens eine Hand an der Schale, im Pokal läuft's, nur in Europa setzt es eine Grenzerfahrung. Das Team hat gezeigt, dass es im Sommer unterschätzt worden ist.

Je näher der Anpfiff am Abend des 4. November kam, desto größer schien dieses Spiel für den FC Bayern zu werden. Irgendwann war es beinahe ein Schicksalsspiel über die Rolle des Rekordmeisters im internationalen Fußball. Schwergewicht oder Luftpumpe? Die Münchner waren am vierten Spieltag der Champions League bei Paris St. Germain zu Gast - gewannen mit 2:1 (2:0).

Die Welt staunte, die geschriebenen Hymnen waren groß und größer. Der FC Bayern war eine "Dampfwalze ohne Bremse", ein gnadenloses Abwehrimperium. Tatsächlich waren die Münchner an diesem Abend beides. Erst hatten sie den Titelverteidiger der Königsklasse brillant hergespielt und dann, in Unterzahl, mitreißend dagegengehalten. Luis Diaz hatte beide Tore erzielt und dann Rot gesehen.

Die Begeisterungswelle für die beeindruckende Wandelbarkeit der Bayern war gerade erst dabei, sich so richtig aufzutürmen, da waren die Münchner bemüht, sie sofort zu brechen. Es sei nur ein Spiel, es sei nur der Herbst, es sei nur Gruppenphase. Die Macht der Worte schlug plötzlich um. Die Bayern reduzierten ihre Glanzleistung auf das Ergebnis. Dabei war ihnen dieser Sieg so wichtig gewesen. Trainer Vincent Kompany konnte nicht verhehlen, welchen Druck er gespürt hatte. Er rannte nach dem Schlusspfiff, nach dieser leidenschaftlichen Schlacht gegen das immer wilder attackierende PSG auf den Rasen, herzte seine Spieler intensiver, als es ein normaler vierter Gruppenspieltag hergegeben hätte. Der Schwergewichtsgürtel saß wieder passgenau auf den eigenen Hüften.

90 Minuten als Champion-Prüfung

Die Münchner waren spätestens an diesem Abend enttarnt worden. Sie sind eben doch nicht Europas Hoffenheim, wie es Klub-Patriarch Uli Hoeneß ein paar Wochen zuvor gesagt hatte. Niemand nahm diese Verzwergung sonderlich ernst. Der FC Bayern bleibt der FC Bayern, aber einen Punkt Wahrheit hatte Hoeneß schon. Im Kampf mit den überreichen Giganten wie eben den Parisern sind die Münchner nicht mehr der Favorit. Heißeste Anwärter auf den Henkelpott sind qua Kohle andere.

Doch dann kam der 4. November. Das Duell gegen PSG. Die eiskalte Dominanz, die Cleverness, der hellwache Luis Diaz. Die Bayern spielten die beste Halbzeit seit vielen Jahren. Jedes Rädchen griff, ehe Diaz von hinten Achraf Hakimiin die Parade flog. Alles änderte sich. PSG übernahm Ball und Spielkontrolle, die Münchner hielten mit höchster Disziplin dagegen. Ein Tor von Ruben Neves fingen sie sich noch, Manuel Neuer verhinderte mindestens ein weiteres. Den Rest verteidigten Dayot Upamecano, Jonathan Tah und ihre Teamkollegen beeindruckend weg. Die Bayern hatten in 90 Minuten alles gepresst, was ein Champion braucht. Große individuelle Klasse, ein herausragendes Zusammenspiel, ein überragendes Pressing, eine defensive Resilienz unter höchstem Stress.

Der FC Bayern im "Idealzustand"

In Paris war den Bayern der 16. Sieg im 16. Spiel der Saison gelungen. Uli Hoeneß, längst befreit von allen Hoffenheim-Vibes, sah seinen Klub ein paar Tage später im "Idealzustand". Ein größeres Lob kann es nicht geben. Und es galt vor allem Trainer Vincent Kompany, der der Bauherr dieser intakten Mannschaft ist. Die sich füreinander aufreibt, die keine Eitelkeiten kennt und die mit besten Gefühlen in die Winterpause geht, die flankiert wird von großer Vorfreude auf den Wiederanpfiff im Januar. Weil sich mit Jamal Musiala, Alphonso Davies und Hiroki Ito quasi drei Neuzugänge aus langen Verletzungspausen rekrutieren.

Die Meisterschaft haben die unaufhaltsamen Münchner nach 15 Spieltagen bereits so gut wie sicher. 55 Tore haben sie schon erzielt. Gut möglich, dass sie ihre eigene Bestmarke von 101 Treffern aus der Saison 1971/1972 diesmal tatsächlich knacken. Neun Punkte beträgt der Vorsprung auf den mittlerweile chronisch unruhigen BVB, der sich unter Niko Kovač zwar stabilisiert hat, aber weiter auf Sinn- und Disziplinsuche ist. Geht so ein Team als ernstzunehmender Konkurrent durch?

National sind die Bayern allen Rivalen längst entwachsen. Das ist nicht mehr ein Kampf der Davids gegen den Goliath. Das ist ein Kampf der Galaxien. Einer, der in allen Belangen überlegen ist, gegen verzweifelt Machtlose. In gelebter Highlander-Manier gehen die Münchner all ihre Spiele mit dem unerschütterlichen Selbstverständnis an: Es kann nur einen geben. Und das, obwohl ihnen gegen Hinrunden-Ende sichtbar die Puste langsam ausging.

Kompany lässt alle Vorgänger hinter sich

Dieser eine ist in München nicht der unglaubliche Harry Kane, nicht Joshua Kimmich. Dieser eine ist Vincent Kompany. Anders als seine schillernden Vorgänger Julian Nagelsmann und Thomas Tuchel ist der Belgier für den Boulevard völlig uninteressant. Er fliegt nicht mit Hoverboards, fällt nicht mit modischen Extravaganzen auf und penetriert seinen Arbeitgeber nicht mit Transferwünschen, die den vorhandenen Spielern das Gefühl geben müssen, nicht gut genug zu sein. So wie Tuchel das bei Kimmich tat, der sich dann in der Debatte um eine "Holding Six" klar positionieren musste. Kompany steuert das für kleine Meutereien stets bekannte Bayern-Schiff mit einer Bierruhe. Es gibt Spieler, die darüber staunen, wie gut Kompany diesen Superstar-Kader im Griff hat. Im Erfolg ist das natürlich einfacher.

Aber er hat auch in unruhigen Zeiten nie den Fokus verloren. Nicht, als es im Sommer plötzlich so wirkte, dass die Top-Deals am Markt nun ohne den FC Bayern stattfinden. Die Transferschlappen um Florian Wirtz und Nick Woltemade steckte er weg, dafür bekam er Luis Diaz, der als mindestens C-Lösung kritisch beäugt worden war. Kompany konnte das fühlen, er selbst war ja auch mindestens eine C-Lösung. Beide haben diesen Status längst abgeschüttelt. Der belgische Trainer, dem der größte Impact auf Verein und Mannschaft seit Pep Guardiola zugeschrieben wird, hat Anfälligkeiten im Spiel aus seiner ersten Spielzeit angepasst. Es gibt im Prinzip keine Duelle mehr, die als vercoacht gelabelt werden. Auch nicht die Niederlage gegen den FC Arsenal, der derzeit State of the Art in Europa ist. Die Pleite tat den Münchnern weh, sie war aber noch mehr Antrieb noch besser zu sein.

Diese Gier entwickelten sie in einem Sommer, der für sie keiner war. Keiner zum Entspannen. Fast schon als Segen empfinden sie rückblickend die Strapazen der höchst umstrittenen Klub-WM. Man hätte gesehen, dass man über einen Monat hinweg sehr gut zusammenleben und das auch genießen könne, sagte Coach Kompany über die Zeit in den USA. Das Turnier im vergangenen Sommer habe Verein und Mannschaft "unglaublich zusammengeschweißt", meinte Sportvorstand Max Eberl.

Fast der gesamte Kaderplan geht auf

Lieber im Herbst mal den Dämpfer kassieren, als im Frühjahr, wenn es ums Do-or-die geht. Zu oft ging es da zuletzt schief. Doch in dieser Saison fühlen sie sich bereit, weil nahezu alles aufgeht. Weil große Irrtümer über den Kader vom Kader selbst beeindruckend widerlegt worden sind. Etwa, dass das Aufgebot zu dünn ist. Wäre eingetreten, was der Mannschaft im Spätsommer um die Ohren gepfeffert wurde, sehe es in allen Wettbewerben anders aus. Die Spieler, die nun Verantwortung übernehmen mussten, taten das. Michael Olise, der Supertransfer der Vorsaison, hielt sein phänomenales Niveau. Er bleibt eine der Top-Attraktionen der Liga. Der 17-jährige Lennart Karl wurde zur großen Bundesliga-Sensation, Josip Stanisic zur großen Konstanten. Konrad Laimer machte nochmal einen riesigen Schritt nach vorne. Aleksandar Pavlović wuchs ebenfalls schneller als zu erwarten war. Und dann sind da noch Kimmich und Kane. Kimmich spielte über dem eigenen Schmerzniveau, Kane wie vom anderen Stern.

Der Engländer war jahrelang der beste titellose Fußballer des Planeten. Mittlerweile hat er diesen dunklen Fleck auf seiner Vita bunt bemalt. Und er ist süchtig nach mehr. Kane, das schien unvorstellbar, wird besser und besser. Er jagt den historischen Torrekord von Robert Lewandowski und ackert dabei wie ein Lastenpferd. Kane ist alles: Stürmer, Ballverteiler, erster Verteidiger. Ein Mann für den Ballon d'Or, wenn alles so bleibt.

In der Ferne trifft plötzlich auch Jackson

In München redet niemand mehr über die unglückliche Kommunikation zum angekündigten Abgang von Thomas Müller. Überhaupt redet (sportlich) niemand mehr über Thomas Müller, der in Kanada sein neues Fußballglück gefunden hat. Niemand redet mehr über die Unruhe um Max Eberl, der in manchen Berichten schon kurz vor dem Aus stand. Am Ende des Jahres 2025 hat er gemeinsam mit Christoph Freund alles richtig gemacht. Lediglich die Last-Minute-Leihe von 40-Millionen-Stürmer Nicolas Jackson geht noch nicht in Gänze auf. Aber kurz vor Weihnachten wurden aus dem fernen Tanger gute Nachrichten rübergekabelt: Jackson erzielte beim Afrika-Cup in Marokko direkt zwei Tore für den Senegal.

Neue Spieler hatte Kompany folglich nicht auf seinem Wunschzettel. Dennoch hatte er nicht wenige Wünsche. "Als Trainer musst du immer sagen: Alles kann besser werden." Konkret meint er: defensive Stabilität, Konterabsicherung, defensive Standards. Und vielleicht eine Torwart-Diskussion weniger. Der ewig unantastbare Manuel Neuer zeigte häufiger ein paar Schwächen. Nicht so gegen Paris. Da ließ er das Starensemble verzweifeln. Die Benchmark für alles bei den Münchnern wurde mit dem großartigen Abend des 4. November gesetzt, als die Mannschaft enttarnt wurde. Sie ist immer noch der FC Bayern und nicht Hoffenheim.

Quelle: ntv.de

Uli HoeneßFußballHarry KaneJoshua KimmichVincent KompanyMax EberlFC Bayern München