Der Bundesliga-Check: Darmstadt 98 Aufgewacht in Ruinen
12.08.2016, 15:19 Uhr
Mahnender Finger für die n-tv.de-Sportredaktion? Kult-Sänger Alberto Colucci ist mit unserer Prognose für seine "Lilien" vermutlich nicht ganz einverstanden.
(Foto: imago/Jan Huebner)
Gibt es so etwas wie einen Pyrrhus-Klassenerhalt? Darmstadt wird es herausfinden. Ein halbes Team und der Trainer gehen verloren, der Klub sucht händeringend Verstärkung. Wenn letzte Saison eine Sensation war, braucht es nun ein Wunder.
Dies ist eine gute Gelegenheit, in den Staub zu kriechen: Vor der vergangenen Saison hatten wir mit einem spöttischen Unterton gefragt, ob mit Darmstadt nur ein weiterer "Pissverein" in die Liga komme, der ähnlich wie der Wortschöpfer Torsten Lieberknecht mit seinen Braunschweigern 2013/14 keine Chance auf den Klassenerhalt habe. Was dann passierte, rief in ganz Fußballdeutschland Erstaunen hervor: An keinem einzigen Spieltag stand der krasse Außenseiter schlechter da als Platz 15. Zu unserer Ehrenrettung sei aber gesagt, dass unsere Prognose vor der Verpflichtung von wichtigen Spielern wie Peter Niemeyer, Júnior Díaz und Slobodan Rajkovic getroffen werden musste. Und auch in dieser Saison stehen noch wichtige Arbeiten am Kader an. Sechs Stammspieler haben das Weite gesucht, ebenso Trainer Dirk Schuster. Darmstadt muss zurück auf Los, und zieht definitiv keine 4000 Euro ein.
Was gibt’s Neues?
In der vergangenen Spielzeit haftete den Darmstädtern ja ein Ruf an wie den Vier Musketieren: Einer für Alle, Alle für Einen. Gut, sie bezwangen ihren Gegner nicht mit feiner Klinge, sondern zogen ihnen eher einen Morgenstern über den Kopf. Aber bei aller fehlender spielerischer Klasse standen Dirk Schusters Mannen für Leidenschaft, Aufopferung und Zusammenhalt. Nun, da das Team auseinanderbröckelt, wackeln auch diese Werte. Im Trainingslager herrschte offenbar schlechte Stimmung. Slobodan Rajkovic soll seinen Wechsel nach Palermo mit einem Trainingsboykott erzwungen haben. Angeblich hatte er eine Art Sonderabmachung mit Dirk Schuster getroffen, die von der neuen Führung um den Sportlichen Leiter Holger Fach nicht anerkannt wurde. Sprintwunder Marcel Heller soll daraufhin ebenfalls um einen Wechsel gebeten haben, dem Fach aber einen Riegel vorschob. Es sind ja neben Erfolgstrainer Dirk Schuster schon genug Stammspieler gegangen: Luca Caldirola, Konstantin Rausch, Tobias Kempe, Christian Mathenia, Slobodan Rajkovic und natürlich Sandro Wagner, der in Hoffenheim hoffentlich endlich anständig bezahlt wird.
Auf wen kommt es an?
So sympathisch der hemdsärmlige Darmstädter Weg bis in die Bundesliga war, so sehr zeigt sich nun, wie problematisch es sein kann, wenn professionelle Strukturen fehlen: Dirk Schuster war in Personalunion Trainer und Manager, offenbar hat er einige Spieler nur aufgrund von Gentlemen's Agreements verpflichten können, die seinen Nachfolgern nun arge Kopfschmerzen bereiten. Immerhin erledigt das Scouting nun nicht mehr Schusters Vater, der Sportliche Leiter Holger Fach hat nicht nur Norbert Meier als neuen Trainer, sondern einige Fachmänner für das Umfeld verpflichtet.
Viel wichtiger sind natürlich die Verpflichtungen von Profis, die dem Team weiterhelfen können. Zum Trainingsstart konnte Norbert Meier nicht einmal elf gegen elf spielen lassen, Mittelfeldmann Peter Niemeyer sagte offen: "Wenn wir mit so einem Kader antreten, wie er jetzt ist, können wir die weiße Fahne hissen." Seitdem sind einige No-Names gekommen - aber auch ein EM-Fahrer: Der Rechtsverteidiger Artem Fedetskiy, der für die Ukraine gegen Deutschland 90 Minuten durchspielte. Wo Fach schonmal in der Ukraine war, brachte er auch gleich noch Flügelstürmer Denys Olynik mit. Zuvor hatte er sich noch entschuldigt, dass er nur wenig Neuzugänge präsentieren konnte: "Wir sind nicht doof, wir können nur nicht so, wie wir wollen." Die große Darmstädter Zeit bricht ohnehin erst an - dann, wenn sich einige Spieler bei den finanzstarken Vereinen plötzlich auf der Tribüne wiederfinden und vielleicht doch lieber spielen wollen. "Es ist ja so, dass wir Schlüsselpositionen erst am Ende der Transferperiode besetzen können", sagt Vereinspräsident Rüdiger Fritsch jüngst, auf die maue Transferbilanz angesprochen. "Das war im letzten Jahr nicht anders." Nur müssen wie damals auch alle Nachverpflichtungen sitzen.
Was fehlt?
Außer einem wettbewerbsfähigen Kader: Ein wettbewerbsfähiges Stadion. Groundhopper und Traditionalisten mögen am Böllenfalltor eine Träne der Rührung verdrücken, einen Schatzmeister treibt diese Bruchbude in die Depression. Schätzungen zufolge fehlen den Lilien im Vergleich zur Konkurrenz fünf Millionen Euro pro Jahr, weil das Stadion mit seinen nur 17.000 Plätzen einfach zu wenig abwirft. Die Stadt als Eigentümer zeigt kein Interesse an dem Neubau, den sich der Verein so sehr wünscht, und die Sanierung zieht sich noch bis 2018 hin. Bis dahin sollen Stahlrohrtribünen vor der Nord- und Südkurve Abhilfe schaffen. Immerhin: Ein Hauch Copacabana
Wie lautet das Saisonziel?
Champions League, eh klar. Spielerisch haben sie schon einen Schritt nach vorn gemacht, hat Kapitän Aytac Sulu euphorisch der "FAZ" berichtet: "Marschieren, alles geben, lange Bälle können wir sowieso. Das Destruktive haben wir drauf, jetzt kommt noch ein bisschen mehr Variabilität hinzu." Destruktiv und ein bisschen variabel, besser kann man Portugals Ansatz bei der EM nicht zusammenfassen. Das riecht nach Sensation. Nur braucht es in dieser Saison eher ein Wunder.
Die n-tv.de-Prognose
Trotz der Gefahr, sich wieder lächerlich zu machen: Darmstadt steigt ab. Wunder gibt es immer wieder, das wissen wir, Frau Ebstein. Aber am selben Ort? Kurz hintereinander? Wir sind doch hier nicht in der Bibelstunde.
Quelle: ntv.de