Fußball

Kevin-Prince tritt ab Boateng liebte den Fußball und sich selbst

Für seinen Karriereabend kehrte Boateng nochmals zur Hertha zurück.

Für seinen Karriereabend kehrte Boateng nochmals zur Hertha zurück.

(Foto: picture alliance/dpa)

Mit 36 Jahren beendet Kevin-Prince Boateng seine aktive Fußball-Karriere. Dass es vorbei ist, verkündet er dort, wo er angefangen hat - auf dem fast schon berühmten Käfigplatz in Berlin-Wedding. Seine Karriere ist nicht nur auf dem Platz besonders.

Auch der letzte Kreis schließt sich. Kevin-Prince Boateng steht wieder auf diesem berühmten Bolzplatz, diesem besonderen Ort in Berlin-Wedding. Es ist eine Liebeserklärung. An seine Teamkollegen, sich selbst, aber vor allem an den Fußball. "Ich liebe Dich. Aber das war's für mich. Danke, Fußball!", schreibt der 36-Jährige unter das Instagram-Video, welches das Ende seiner Karriere verkündet.

Lange wusste Boateng selbst nicht so recht, wie es weitergehen sollte. Er müsse gucken, was für ihn am besten sei, was sein Körper noch geben könne. "In zwei Wochen werde ich dazu ein Statement abgeben", sagte er Anfang Juli. Aus vierzehn Tagen wurden dann sechs Wochen. "Wenn Du aufhörst zu spielen, trifft es Dich am härtesten", sagt er nun in dem Video. Vielleicht dauerte es deshalb so lange, bis es endlich Klarheit gab.

Dabei wäre alles andere als das Karriereende eine Überraschung gewesen. Der eigentliche Kreis hatte sich schon vor zwei Jahren geschlossen. Da kam er noch einmal zurück nach Berlin, es sollte seine letzte Station sein. In seiner Stadt. Zu seiner Hertha. Doch seine Rückkehr fiel in die wohl turbulenteste Zeit im Berliner Westend. Und so wurde es keine Ehrenrunde, sondern harter Abstiegskampf.

Keine zweite Heldengeschichte

Einmal konnte Boateng seine Hertha vor dem Absturz bewahren. Im vergangenen Sommer coachte er die Mannschaft im zweiten Relegationsspiel gegen den HSV zum 2:0-Erfolg. Es war die Geschichte, als Trainer Felix Magath ihm die Aufstellung überließ. Boateng entschied damals, welche 11 Profis nach der 0:1-Hinspielniederlage den Abstieg verhindern sollten.

Doch beim zweiten Mal gab es keine Heldengeschichte. Diesmal retteten sich die Berliner nicht in letzter Sekunde in die Relegation. Zwar durfte die Hertha am vorletzten Spieltag noch kurz hoffen, doch ein spätes 1:1-Remis gegen Bochum besiegelte im letzten Heimspiel den vorzeitigen Abstieg. Nach Abpfiff kämpfte Boateng im heimischen Olympiastadion in den Interviews mit den Tränen. "Ich kann es noch nicht realisieren", sagte er. "Es ist einfach nur traurig, aber ich liebe den Verein trotzdem." Als er herkam, habe er gewusst, dass nicht alles rosig sei. Für die Hertha begann im Anschluss schon im vorerst letzten Erstligaspiel der Neuanfang, Boateng verpasste die Partie in Wolfsburg verletzt.

In seiner Karriere hat Kevin-Prince Boateng alles erlebt, was ein Fußballprofi erleben kann. Er spielte mit Hertha international und gegen den Abstieg, mit dem AC Mailand in der Champions League, bei Barça an der Seite von Weltfußballer Lionel Messi. Den Wechsel zum FC Barcelona nannten selbst spanische Medien damals "surreal". Boateng ist einer der nur 24 Profis, die für beide Reviergiganten, Dortmund und Schalke, aufgelaufen sind. Bei Eintracht Frankfurt wurde er eine der tragenden Säulen, mit denen der Klub erst den DFB-Pokal gewann und damit die Grundlage für den heutigen Erfolg legte.

Hertha BSC, Tottenham Hotspur, Borussia Dortmund, FC Portsmouth, Genua CFC, AC Mailand, Schalke 04, wieder AC Mailand, Las Palmas, Eintracht Frankfurt, US Sassuolo, FC Barcelona, AC Florenz, Besiktas, wieder AC Florenz, AC Monza, Hertha BSC.

Auf seiner Reise durch die Fußball-Welt kommt Boateng herum. Eine Sache ist bei jeder Station klar: Sein Können stand immer außer Frage - auch bei seiner letzten Station, als er bei der Hertha auf nur noch wenig Spielzeit kam. Die lange, aufreibende Karriere hinterließ ihre Spuren an seinem Körper. Die Beine bilden ein fast schon sichtbares O. Die Schnürsenkel seiner Schuhe waren zuletzt meist offen, zu sehr sind die Knöchel bandagiert. Und trotzdem. Wenn Boateng eingewechselt wurde, spürten es alle im Stadion. Ihn umgab noch immer eine besondere Aura - auch wenn das Tempo nicht mehr das höchste war. Er dirigierte, coachte und lenkte das Spiel und seine Mitspieler.

Gewachsen auf Beton

Es waren zuletzt immer wieder solche Momente, die andeuteten, dass Boateng mehr als ein technisch beschlagener Fußballer ist. Jemand, der vorangeht. Jemand, der auch neben dem Platz viel zu erzählen hat. Seine Vergangenheit und die seiner Brüder ist mehrfach überliefert worden - in Büchern, Theaterstücken und auch sonst. Sie wuchsen in schwierigen Verhältnissen auf: Prince und der ältere Bruder George im harten, dreckigen Wedding, der jüngere Halbbruder Jerome dagegen in Berlin-Wilmersdorf.

Der Fußball verband sie. Vor allem der legendäre Bolzplatz an der Travemünder Straße im Berliner Wedding, an der Panke. Dort wuchsen sie auf Beton auf. Der Wedding und der Käfig - beides prägte die Brüder. Ein altes Arbeiterviertel mit hohen Kriminalitätsraten. Rau und vor allem Berlin. "Entweder wirst Du kriminell oder Fußballer", sagt Boateng in seinem Abschiedsvideo, "ich habe den Fußball gewählt". Noch immer sind in der Nähe vom U-Bahnhof Pankstraße ihre Gesichter auf einer Hauswand verewigt.

Im Käfig lernten sie eine andere Art von Fußball. Dort gibt es keinen Platz für Fehler. Keine Zeit zum Nachdenken. Das Spiel ist schnell, jede Bewegung muss sitzen. Das zwingt zu einer hervorragenden Ballbeherrschung. Das Positionsspiel habe ihm zwar noch gefehlt, sagte Jürgen Klopp zu Beginn von Boatengs Karriere. Aber der damalige BVB-Profi könne einen Ball auf hundert verschiedene Arten annehmen.

UN-Rede in Genf

Dieses Talent brachte den jungen Boateng schon damals zu Hertha BSC. Im Jugendfußball macht er erste Rassismuserfahrungen. "Ich weiß, wie es sich anfühlt, als Neunjähriger bei den Hertha-Junioren zu spielen und zugerufen zu bekommen: 'Für jedes Tor bekommst Du eine Banane'", schrieb er jüngst für den "Spiegel". Auch das N-Wort bekam er mehrfach zu hören.

Es war nicht das letzte Mal. In seiner Zeit beim AC Mailand brach er ein Spiel wegen rassistischer Beleidigungen ab. 2013, bei einem Testspiel gegen den Viertligisten Pro Patria ("Für das Vaterland") verließ er in der 26. Minuten das Feld, nachdem es von den Tribünen immer wieder Affenlaute gegeben hatte. Er wird immer wieder gegen Rassismus laut, sprach vor der UN in Genf, ihm wurde eine Botschafterrolle bei den Vereinten Nationen angeboten.

Doch Boatengs Geschichte ist auch die eines Deutsch-Ghanaers, der hierzulande nie die Anerkennung erfährt, die er eigentlich verdient hätte. Der schillernde Charakter polarisiert: dicke Autos, die Tattoos und die große Klappe. Boateng sagt selbst: "Ich war mein größter Rivale." 2009 wurde ihm vorgeworfen, mit Ex-Teamkollege Patrick Ebert durch die Straßen gezogen zu sein und Autos demoliert zu haben. Hertha-Fans widmeten zumindest Ebert dafür ein eigenes Lied. Lange stellte Boateng den ruhigen und später sportlich erfolgreicheren Jérôme Boateng in den Schatten. Nachdem Jérôme jedoch im vergangenen Jahr vor Gericht wegen Körperverletzung seiner damaligen Lebensgefährtin verurteilt wurde, brach Kevin-Prince öffentlich mit ihm.

Monatelang deutscher Staatsfeind

Über seine ganze Karriere hinweg war sein Verhältnis zu Deutschland schwierig. Boateng wurde der 15. Mai 2010 zum Verhängnis. Im FA-Cup-Finale rauschte er auf Nationalmannschaftskapitän Michael Ballack zu und traf ihn mit offener Sohle am rechten Knöchel. Das Syndesmoseband des DFB-Kapitäns angerissen, das Innenband komplett durch. Ballack verpasste die Weltmeisterschaft in Südafrika. Das Foul markierte den Beginn des Endes seiner Nationalmannschaftskarriere.

Für Boateng selbst war es ein Wendepunkt. "Ich weiß, wie es ist, wegen eines Foulspiels an einem Nationalspieler in Deutschland monatelang als Staatsfeind zu gelten. Dabei bin auch ich in Deutschland geboren und aufgewachsen, für mich ist Deutschland Heimat wie für 83 Millionen andere auch", schrieb er im "Spiegel". Aus seiner Heimat erfährt er wüste Beschimpfungen und Morddrohungen.

Das Verhältnis hat sich mittlerweile gebessert, auch durch seine Rückkehr zur Hertha. Damals ließ er sich die Hertha-Fahne auf die Brust tätowieren - auch solche Aktionen gehören noch immer zu Boateng. Sein Comeback gab dem Klub die Identifikationsfigur zurück, die die Berliner sehnsüchtig vermisst hatten, und jetzt wieder suchen. Vielleicht wäre es auch sportlich erfolgreicher abgelaufen, wenn er früher zurückgekehrt wäre.

Am Ende seiner aktiven Karriere hat Boateng angeblich auch noch mal das saudische Geld gewunken. Doch er lehnte wohl ab. Schon während der Katar-Weltmeisterschaft übte er scharfe Kritik an dem Gebaren in der Wüste. "Wer einmal für Afrika gespielt hat, diesen großen, stolzen Kontinent, der wie kein anderer über Jahrhunderte hinweg unter Kolonialismus und Ausbeutung gelitten hat (und noch heute darunter leidet), kann nicht einfach mitfeiern, wenn die WM in einem Land stattfindet, das Menschen systematisch ausgebeutet hat, um vier Wochen lang eine bombastische Party zu veranstalten", schrieb er im "Spiegel".

Und nun steht er nicht in der Wüste, sondern wieder auf dem Bolzplatz. Dort, wo alles angefangen hat, verkündet er im Alter von 36 Jahren sein Karriereende. "Ich habe für meine Mitspieler immer alles gegeben. Ich war der Leader, ich war der harte Junge, aber ich war auch der Clown - ich war lustig", sagt er. "In der Kabine habe ich den starken Prince gezeigt, lachend und jeden aufbauend." Doch danach wird er ernst: "Jeden Tag kämpfte ich mit meinen Dämonen. Ich ging nach Hause, weinte, fühlte mich traurig und hatte Depressionen." Gegen Ende des Abschiedsvideos spricht er mit den Menschen hinter der Kamera. "Überleg' mal. Ich bin von hier", Boateng zeigt auf den Boden, "bis zum San Siro und Camp Nou". Er verlässt den Käfig. "Von hier bin ich raus", wieder zeigt er in die Ferne, "White Hart Lane. Tottenham. Wembley". Die ganze Fußball-Welt.

Quelle: ntv.de

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