Amerell: Kein richtiges Verfahren DFB sieht klare Beweislast
16.02.2010, 18:30 UhrDer "Fall Manfred Amerell" um die Belästigung von Bundesligaschiedsrichtern gewinnt immer mehr an Schärfe und wird für den Deutschen Fußball-Bund zunehmend unangenehmer. Zwar sieht der DFB eine klare Beweislast gegen den Ex-Schiedsrichter, der nicht nur einen Referee belästigt haben soll. Immer deutlicher wird aber auch, dass die Aufklärungsarbeit keinesfalls konsequent vorangetrieben wurde.
Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) sieht im "Fall Manfred Amerell" nach Fertigstellung des Abschlussberichts eine klare Beweislast gegen den früheren Schiedsrichter-Sprecher und hat bereits erste Konsequenzen gezogen. "In Summe aller vorliegenden Erkenntnisse steht aus Sicht des DFB fest, dass Herr Amerell seine Pflichten als Mitglied des Schiedsrichterausschusses klar verletzt hat", hieß es in einer DFB-Pressemitteilung.
Bei den Belästigungs-Vorwürfen gegen Amerell handele es sich nicht um einen Einzelfall, teilte der Verband weiter mit: "Unabhängig voneinander haben mehrere Personen in den Anhörungen zu Protokoll gegeben, von Herrn Amerell in der Vergangenheit bedrängt und/oder belästigt worden zu sein." Dass die Betroffenen diese Übergriffe so lange Zeit nicht gemeldet hätten, "begründeten sie übereinstimmend mit der latent vorhandenen Angst vor privaten oder beruflichen Nachteilen, die sich vor allem auf die weitere Entwicklung ihrer Laufbahn als Schiedsrichter bezogen", hieß es in der Erklärung weiter. Ob strafrechtliche Schritte eingeleitet werden, liege in der Entscheidung der Betroffenen.
Als erste Konsequenz kündigte der DFB an, die bisherigen Strukturen im Schiedsrichterwesen einer kritischen Prüfung zu unterziehen und konkrete Vorschläge zu einer Neustrukturierung zu erarbeiten. Dazu wurde eine Kommission eingesetzt, die bis zur nächsten Präsidiumssitzung konkrete Veränderungsvorschläge unterbreiten soll. Diesem Gremium gehören Schiedsrichter Herbert Fandel, Hellmut Krug als Vertreter der DFL, der für das Schiedsrichterwesen zuständige DFB-Direktor Stefan Hans und der Abteilungsleiter Schiedsrichterwesen, Lutz Michael Fröhlich, an.
DFB verweigert Akteneinsicht
Der frühere Bundesliga-Schiedsrichter Manfred Amerell, der alle Vorwürfe abstreitet, hatte vor der Pressemitteilung des DFB über seinen Anwalt Jürgen Langer schwere Vorwürfe gegen den Deutschen Fußball-Bund erhoben. Demnach verweigere ihm der DFB die Akteneinsicht. Wie Langer in einer Pressemitteilung bekanntgab, sei er am 15. Februar von DFB-Direktor Stefan Hans und DFB-Justitiar Jörg Englisch angerufen worden. Dabei habe man ihm mitgeteilt, dass nach dem Rücktritt von Amerell am 12. Februar der interne Vorgang beim DFB abgeschlossen sei und eine Gewährung der Akteneinsicht nicht mehr erfolgen werde.
"Wie kann ein Vorgang beim DFB abgeschlossen sein, der dann vom DFB-Präsidenten als 'stark und intensiv' bezeichnet wird", schrieb Langer: "Elementare Grundsätze eines rechtsstaatlichen Verfahrens verlangen die Beachtung des Anspruchs auf rechtliches Gerhör sowie des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung. Es ist schlichtweg indiskutabel und nicht hinnehmbar, diesen Anspruch durch das 'Zuklappen' der Akte verhindern zu wollen." Daraufhin habe Langer das DFB-Sportgericht angerufen, um die Rechtmäßigkeit der Ablehnung der Akteneinsicht überprüfen zu lassen, so Langer weiter.
Rauball legt nach
Neben Amerell hatte auch Liga-Präsident Reinhard Rauball die Aufklärungsarbeit des DFB erneut scharf kritisiert und den Druck auf die Verantwortlichen beim DFB erhöht. "Wir haben nachdrücklich um Aufklärung gebeten, wer wann wen wie informiert hat", sagte Rauball der "Süddeutschen Zeitung". Die geschilderten zeitlichen Abläufe hätten "Anlass zur Verwunderung" gegeben, der Fall sei "von so hoher Sensibilität, dass ein unverzügliches Handeln erforderlich war".
Schiedsrichter-Boss Volker Roth verteidigte dagegen sein zögerliches Handeln. "Ich bin nach wie vor der Meinung, dass ich richtig gehandelt habe. Ich kann doch in einer derartigen Situation nicht einfach loslaufen, frei nach dem Motto: Haltet den Verbrecher", sagte Roth der Zeitung "Die Welt". Referee Michael Kempter hatte am 17. Dezember die Vorwürfe gegen den bisherigen Schiedsrichter-Sprecher Amerell an Roth herangetragen. Roth setzte DFB-Präsident Theo Zwanziger erst Mitte Januar davon in Kenntnis. Bis zur laut Zwanziger "intensiven Telefonkonferenz" des DFB mit Kempter vergingen dann weitere zwei Wochen.
DFB hat sich nichts vorzuwerfen
Rückendeckung bekam Roth von DFB-Generalsekretär Wolfgang Niersbach. "In diesem Fall steht die Sorgfalt absolut über der Schnelligkeit. Ich betone deutlich: Wir sind allen Beteiligten gegenüber verpflichtet, sie größtmöglich zu schützen. Ich wäre hier vorsichtig mit jeder Kritik", erklärte Niersbach. Rauball hatte das DFB-Schiedsrichterwesen zuletzt als "Geheim-Orden" bezeichnet und eine "personelle Neuordnung" gefordert, die der DFB nun in Angriff nehmen will.
Doch auch Zwanziger ist in Erklärungsnot geraten. Laut Rauball seien bei der DFB-Präsidiumssitzung am 4. Februar die Anwesenden nur zum Fall Amerell und eines nicht genannten Schiedsrichters informiert worden. Dass möglicherweise mehrere Unparteiische Amerell belasten, habe Rauball erst später erfahren.
Fragen wirft ebenso die Tatsache auf, warum eine vermeintliche SMS von Kempter an Amerell nicht in der Präsidiumssitzung erwähnt wurde. Diese SMS, die eine "einvernehmliche Beziehung" belegen soll, soll Amerell am 13. Januar - also einen Monat nach Kempters Anklage bei Roth - erhalten haben. Gezeigt haben soll Amerell diese SMS am 1. Februar und damit drei Tage vor der Präsidiumssitzung Zwanziger, Niersbach und Personalchef Stefan Hans.
Zwanzigers fragwürdige Informationspolitik
Zudem widerspricht Zwanzigers Informationspolitik offenkundig der von seinem Generalsekretär geforderten Sensibilität und dem Schutz aller Beteiligten. In der "Bild" stellte er Amerell mit Bezug auf nur dem DFB bekannte Ermittlungsergebnisse öfffentlich an den Pranger. Zudem äußerte er sich zum Inhalt eines Briefes, in dem ein bayerischer Amateurschiedsrichter weitere Vorwürfe gegen Amerell erheben soll.
Da sich DFB-Vize-Präsident Rainer Koch beim Informationsfluss übergangen fühlt, hatte er in der vergangenen Woche seine Zuständigkeit im Präsidium für das Schiedsrichterwesen abgegeben. Koch war weder von Roth noch von Zwanziger eingeweiht worden. Unterdessen hat Englisch die internen Ermittlungen abgeschlossen.
Zwanziger stellte Kempter, der bis auf Weiteres keine Bundesliga-Spiele leitet, in der "Bild" ein baldiges Comeback in Aussicht: "Sein Mut muss honoriert werden. Vom DFB, aber auch von den Fans." Zwanziger weiter: "Hier hat ein junger Mann in einer extrem schwierigen Situation richtig gehandelt." Vom DFB lässt sich das leider nicht behaupten - wieder einmal.
Quelle: ntv.de, cwo/sid