Frühes Aus der DFB-Frauen Das nächste Alarmsignal für Hansi Flick
04.08.2023, 15:15 Uhr
Lernt Hansi Flick aus den Fehlern der DFB-Frauen?
(Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS)
Historisch früh scheitern die DFB-Frauen bei der Weltmeisterschaft in Australien. Das jähe Aus sollte auch bei den Herren die Alarmglocken schrillen lassen, die nächstes Jahr eine Europameisterschaft im eigenen Land spielen. Denn viel Zeit ist nicht mehr.
Es ist eine alte Fußball-Binse: Angriff ist die beste Verteidigung. Kursiert der Ball möglichst weit weg vom eigenen Tor, kann eigentlich nichts passieren. So heißt es jedenfalls in der Theorie, in der Praxis ist das deutlich komplizierter. Und dennoch greifen manche auf solche Binsen zurück, obwohl sie es eigentlich besser wissen müssten. Am öffentlichkeitswirksamsten hat das zuletzt der Bundestrainer der Herren, Hansi Flick, bewiesen, der sich vor einigen Tagen im "Kicker" über die Dauer-Krise seiner Mannschaft auskotzte (seine Formulierung, nicht unsere).
Nun wird er mutmaßlich wenige Tage nach seiner Attacke mit Sorge verfolgt haben, wie seine Kollegin Martina Voss-Tecklenburg bei der Weltmeisterschaft in Australien und Neuseeland mit ihrem Team überraschend ausgeschieden ist, so wie es ihm bei der Katar-WM im vergangenen Winter passiert ist. Das frühe Aus reiht sich in die jüngeren Debakel des einst so erfolgreichen Deutschen Fußball-Bundes ein - nach den Herren und der U21, die bei der EM ebenfalls in der Vorrunde scheiterte.
Doch Flicks Attacke kam noch vor dem Aus der DFB-Frauen und sah so aus: "Wir müssen wieder ausstrahlen: Wir sind Deutschland, die anderen sollen erstmal herkommen. Und sie sollen merken, dass es schwer wird gegen uns", forderte er. Auch dass die bevorstehende Europameisterschaft im eigenen Land bislang wenig Euphorie entfacht, macht ihm anscheinend keine Sorgen. "Wenn wir gewinnen, drehen wir auch die Stimmung. Wir haben es selbst in der Hand." Was soll er auch anderes sagen?
Gescheitert an der Arroganz
Das frühe Aus der Frauen muss auch für ihn ein Alarmsignal sein, dass es so einfach nicht sein wird. Dass der Glaube "Es wird schon irgendwie" nicht reicht. Dass die Erzählung, alle deutsche Fußball-Nationalmannschaften seien Turniermannschaften, ein Märchen ist. Einfach Spiele gewinnen zu wollen, reicht nicht. Niemand hat Angst vor den DFB-Vertretern - abgesehen von dem U19-Team der Frauen und der U17 der Männer.
Für das beste Beispiel sorgte das WM-Debakel in Australien: Die DFB-Frauen lieferten vor der Weltmeisterschaft schlechte Testspiele ab. Gegen Vietnam mühten sie sich zum 2:1-Erfolg, gegen Sambia setzte es die wenig schmeichelhafte 2:3-Niederlage. Aus dem DFB-Tross hieß es immer wieder, dass es nicht so schlimm sei, dass Testspielergebnisse nicht blenden sollten. Schließlich war es ja vor der Europameisterschaft 2021 auch so gewesen. Auch sie setzten auf das Verständnis aus alten Zeiten, umgemünzt in eine neue Arroganz.
Aber was ist, wenn das vielleicht nicht so ist - weder bei den Frauen noch bei den Herren. Was, wenn Testspielergebnisse und eine eingespielte Mannschaft doch wichtig sind? Schließlich ist es das, worauf Kritikerinnen und Kritiker versuchen, den Bundestrainer seit Monaten hinzuweisen. Auch die Männer lieferten dieses Jahr miserable Testspiele ab - sogar deutlich mehr als die Frauen. Da war eine furchtbare erste Hälfte gegen Belgien im März, im Juni folgten Niederlagen gegen Polen und Kolumbien. In diesem Kalenderjahr hat Flicks Team nur ein einziges Spiel gewonnen - gegen Peru, wahrlich kein Fußball-Riese.
Aber abgesehen davon gibt es noch weitere Parallelen, die weit über die Ergebnisse hinausgehen. Die Kader beider Teams taugen zweifellos dafür, in der Weltklasse mithalten zu können, auch wenn die einzelnen Akteure vielleicht nicht Weltspitze sind. Doch bei den DFB-Frauen wurde offensichtlich, dass es zumindest gegen Ende des dritten Gruppenspiels keine richtige Spielidee gab. Die Bälle wurden nur lang auf Kapitänin Alexandra Popp geschlagen, für eine Weltmeisterschaft reicht das nicht. Das, was sie sich eigentlich vorgenommen hatten, offensiver Angriffsfußball mit viel Gegenpressing, konnten sie nicht auf den Platz bringen.
Zahlreiche Abwehrreihen
Hinzu kommt: Das Verletzungspech störte auch die Vorbereitung der DFB-Frauen. Stammspielerin Giulia Gwinn fehlte von Beginn an, Abwehrchefin Marina Hegering kam erst spät aus ihrer Verletzung, Felicitas Rauch und Sara Doorsoun verletzten sich während des Turniers - dazu ging dem Ganzen der Abstellungsstreit mit dem FC Bayern voraus. Voss-Tecklenburg sagte in ihrer Analyse unmittelbar nach dem 1:1-Remis gegen Südkorea, dass sie vielleicht zu viel Rücksicht auf die Belange der Klubs und der Belastungssteuerung genommen habe.
Auch da ist die Parallele zum DFB-Team der Herren nicht weit - nur war dafür nicht immer das Verletzungspech verantwortlich. Hansi Flick hat mitunter abenteuerliche Kadernominierungen unternommen. Mal ließ er erfahrene Stammkräfte bewusst daheim (Serge Gnabry), mal um ihnen einen Denkzettel zu verpassen (Niklas Süle), mal hielt er ihnen die Rückkehr in den Kader offen (Thomas Müller). In den vergangenen 23 Spielen bot der Bundestrainer fast genauso viele verschiedene Abwehrreihen auf. Nur sich einspielen oder so etwas wie eine Spielidee entwickeln konnte bislang keine Elf - auch diese Kritik ist nicht neu.
Bis zur Europameisterschaft der Herren sind es offiziell noch vier Länderspiele, dazu kommen sicher noch zwei, drei weitere Testspiele unmittelbar vor Turnierbeginn. Um sich einzuspielen, reicht die Zeit nicht wirklich. Europameister Italien war vor dem EM-Triumph 27 Spiele lang ungeschlagen, Weltmeister Argentinien vor der WM sogar 36. Erfolgreiche Turniere sind nicht erfolgreich, weil es einen ankotzt zu verlieren, sondern weil man Monate vorher schon das Fundament dafür gelegt hat.
Quelle: ntv.de