Aber der DFB bleibt optimistisch Der erschreckende Absturz des deutschen Fußballs
04.08.2023, 08:51 UhrUnd schon wieder ein fürchterlich vergeigtes Turnier: Die Frauen des DFB erleben als dritte Mannschaft nach den Herren und den U21-Junioren ein Vorrunden-Fiasko. Die Probleme ähneln sich. Der Präsident des Verbands fürchtet dennoch keine Negativstimmung.
Der deutsche Fußball kassiert eine Klatsche nach der anderen. Die Herren blamieren sich gnadenlos in Katar, die U21-Junioren, auch so ein Flaggschiff des DFB, scheitern bei der EM in Vorrunde, und nun erwischt es auch noch die Frauen. Bei der Weltmeisterschaft geht die Mannschaft in der einfachsten Gruppe baden. Dass ausgerechnet Marokko (eine schöne Außenseiter-Geschichte), am ersten Spieltag noch mit 6:0 (!) von Deutschland vermöbelt, weiterkommt, erfasst die Dimension dieses WM-Debakels. Und nun? Gute Frage. Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg (MVT) lässt ihre Zukunft offen, genießt aber das Vertrauen ihres Chefs.
Nach der Rückkehr, die sich aufgrund von großer Selbstherrlichkeit und dem nicht mal im Ansatz durchdachten Szenario eines Vorrunden-K.-o.'s sehr schwierig gestaltet, soll eine intensive Analyse stattfinden. Man kann nur hoffen, dass diese tiefenschärfer wird, als jene bei den Männern. Hansi Flick durfte nach dem Fiasko von Katar weitermachen. Was genau aufgearbeitet worden war und welche Schlüsse daraus gezogen wurden, das bleibt bis heute ein Rätsel. Die Mannschaft stümpert durch die Testspiele, die unter dem Label "Experimente" einen gewissen Schutz gegen ausufernde Kritik genießen sollten. Was nicht gelang.
Der deutsche Fußball liegt in Trümmern. So lesen sich die Zeilen seit Wochen. Mit jeder Niederlage, mit jeder Enttäuschung tauchen sie erneut auf. Und es gibt kaum Argumente, die eine andere Analyse zulassen. Und wie sich die Probleme gleichen. Individuelle Fehler in der Abwehr, Ideenlosigkeit im Mittelfeld, gravierende Probleme in der Offensive. Zudem taktische Fehler der Coaches und fehlender Mut bei Aufstellungen oder Einwechselungen. Es zieht sich wie ein alarmroter Faden durch alle Top-Mannschaften. Mit einer Ausnahme: Während Flick und Antonio di Salvo, Coach der U21, verzweifelt einen Topstürmer suchen, hat die angenehm selbstkritische Voss-Tecklenburg mit Alexandra Popp einen Star in der Spitze. Doch die Kultspielerin alleine reicht nicht. Gegen Südkorea wurde das allzu offensichtlich. Hohe Bälle auf die Wolfsburgerin, das war ideenlos. Und nicht erfolgreich.
Keine Verkettung unglücklicher Umstände
Die schmerzhafte K.o.-Serie ist keine Verkettung unglücklicher Umstände, sie hängt mit großen strukturellen Defiziten zusammen. Und die Fallhöhe ist umso höher, weil die Teams selbstbewusst den Titel als Ziel ausgerufen hatten. Ein Mangel an Weltklasse bei Feldspielerinnen und Feldspielern (bei den Frauen sind es nur Popp und Lena Oberdorf, bei den Männern vielleicht sogar nur İlkay Gündoğan), taktische Defizite und der Verlust der absoluten Überzeugung. So schlug etwa Flick vor wenigen Tagen noch einmal laut Alarm und sagte dem "Kicker": "Wir müssen wieder ausstrahlen: Wir sind Deutschland, die anderen sollen erstmal herkommen. Und sie sollen merken, dass es schwer wird gegen uns." Die Furcht vor DFB-Teams, sie ist flöten gegangen.
Umso überraschender ist nun, dass sich die Spitze des Verbands die Dinge wieder einmal schönredet. Präsident Bernd Neuendorf sagte am Donnerstagabend im "heute journal": "Ich wäre nicht so pessimistisch. Das eine ist das Abschneiden der Nationalmannschaft, das ist sehr traurig und sehr enttäuschend für uns alle - das ist nicht unser Anspruch. Aber auf der anderen Seite haben wir ja eine Entwicklung gesehen, die sich fortsetzen wird." Man habe ein ganz tolles Konzept, "hier beim DFB, was wir vorantreiben in Richtung Frauen-Fußball. Und mit Blick auf die Heim-EM der Männer bekannte er, dass er keine Folgen der Negativserie fürchte. "Ich bin ganz zuversichtlich, dass wir diese Euphorie schaffen, dass die kommt. Wichtig ist auch, dass wir auf dem Platz die entsprechende Leistung bringen und nicht nur danach gucken, was haben wir für Ereignisse rund um diese EM die Freude auslösen können, sondern dass wir auch den sportlichen Erfolg brauchen, das ist unbestritten."
Doch wo sollen diese herkommen? Die Abstände zu den Top-Nationen scheinen einfach zu groß. Nationen wie Frankreich oder England wirken sowohl bei den Männern als auch bei den Frauen technisch, taktisch und vom Tempo her, meilenweit enteilt. Und woher soll plötzlich ein Mehr an Weltklasse auf Schlüsselpositionen in der Abwehr und im Angriff kommen? Ein Mehr an Anführungsspielerinnen und -spielern. Eine stabile Hierarchie, die die Teams führt. Auch das durchzieht die Flaggschiffmannschaften des DFB derzeit. Noch mögen die Frauen Kredit wegen der vergangenen Erfolge haben. Die Männer haben ihn nicht mehr. Auf die "dunklen Wolken" der Löw/Bierhoff-Ära folgte nur ein kleines Zwischenhoch unter Flick. Doch auch das hat sich verzogen und ist einer Gleichgültigkeit gewichen. Die Nationalmannschaft erlebt einen ungebremsten Bedeutungsverlust - und das, obwohl der neue DFB-Versöhner Rudi Völler doch ein neues Sommermärchen für 2024 angeordnet hat.
In der Betrachtungsweise meinte Neuendorf, werde im deutschen Fußball zu viel "schwarz-weiß" gemalt. Der DFB-Präsident sagte, "dass wir durchaus Erfolge hatten in der letzten Zeit". Der Fußball-Funktionär zählte die U17-EM-Titel bei den Frauen und Männern sowie die Vize-Europameisterschaft bei den U19-Frauen auf. "Wir haben im Nachwuchsbereich sicherlich auch Erfolge." Hoffnung? Bestimmt. Ein Trost? Ganz sicher nicht.
Quelle: ntv.de