
Trauer bei den DFB-Frauen.
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Tränen, Fassungslosigkeit und "absolute Leere": Beim DFB-Team sitzt der Schock über das erstmalige WM-Aus in der Gruppenphase tief. Dabei gibt es gleich einige Gründe für das Desaster. Längst nicht nur die vielen Verletzungssorgen in der Abwehr sind verantwortlich.
Während die deutschen Fußballerinnen nach dem Abpfiff auf dem Platz zusammensinken, spielt die Stadionregie "Happy" von Pharrell Williams ein. Mehr Ironie geht nicht. Das DFB-Team ist soeben bei der Weltmeisterschaft in Australien und Neuseeland ausgeschieden und auch die Gegnerinnen aus Südkorea haben den Einzug ins Achtelfinale nicht geschafft. Ihre Mienen sind dennoch zufriedener als die der Deutschen, schließlich haben sie den großen Favoritinnen ein 1:1 abgetrotzt und damit den ersten Punkt in diesem Turnier geholt, doch so richtig "Happy" kann an diesem Abend im Suncorp-Stadium in Brisbane niemand sein.
Der Song war im Jahr 2013 erschienen, es passt zur Ironie, denn vor zehn Jahren waren die Deutschen noch Gigantinnen im Fußball, holten den EM-Titel - zum sechsten Mal in Folge. Die Dominanz des DFB-Teams war immens, seitdem hat sich vieles verändert. 2016 folgte noch der Olympiasieg, das war es dann aber auch mit den Titeln. Es gibt keine "Kleinen" mehr, der Weltfußball ist zusammengerückt, andere Nationen haben massiv aufgeholt, es sei nie schwerer, einen Titel zu gewinnen, das hatten alle beim DFB immer wieder gesagt.
Popp lässt Zukunft offen
Doch zwischen keinen Titel mehr gewinnen und erstmals in der Historie in der Gruppenphase ausscheiden liegen Welten. Welten, die die Spielerinnen nicht greifen können. Svenja Huth steht mit Tränen in den Augen in der Mixed Zone: "Ich bin ehrlich gesagt leer, wie ohnmächtig und mir fehlen die Worte." Es sei "einfach nur ein Scheißgefühl". Lena Oberdorf hat ihre Hände in der Daunenjacke vergraben, knetet diese immer und ist ratlos: Hätte sie eine Erklärung, "dann würden wir jetzt dieses Gespräch nicht führen".
Kapitänin Alexandra Popp hält den in diesem Moment völlig wertlosen Pokal für die Spielerin des Spiels mehr automatisiert als gewollt in der Hand und sagt: "Um ehrlich zu sein, ist bei mir gerade eine absolute Leere." Sie sucht nach einer Erklärung - und fand sie nicht: "Ich kann nicht verstehen, was hier gerade abgeht." Sie lässt sogar ihre Zukunft im Nationalteam offen. "Da habe ich keine Antwort zu. Ich muss das alles erstmal sammeln, verarbeiten und sortieren."
Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg sagt im ZDF: "Ich stehe dazu, dass wir es nicht geschafft haben, jetzt weiterzukommen. Ich gebe mir aber die Möglichkeit, jetzt nicht irgendwie vorschnell etwas zu sagen. Ich brauche jetzt auch etwas Zeit, um das verarbeiten zu können. Ich stelle mich in erster Linie jetzt erst mal vor die Mannschaft." Ein Bekenntnis zum Verbleib im Job, ist das nicht, das schiebt ihr Ehemann Hermann Tecklenburg bei der "Rheinischen Post" hinterher: "Martina ist mit Leib und Seele Nationaltrainerin. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass sie mit dem Gedanken spielt, aufzuhören. Sie ist eine Kämpferin und wird wieder angreifen." Im September steht die Premiere der Nations League an, erstmals müssen sich die Teams darüber für die Olympischen Spiele qualifizieren. Ein Trost für das DFB-Team, dass dieses weitere Turnier nicht mehr an die WM geknüpft ist.
Ganzes Jahr läuft schlecht
Es hatte die perfekte WM werden sollen, die Fortsetzung der EM im vergangenen Jahr. Mit neuem Selbstbewusstsein, neuem Anspruch, neuer Euphorie trat der DFB-Tross an - und ist auf den Boden der Tatsachen geprallt. Die miesen Spiele aus diesem Jahr finden in Australien ihre Fortsetzung, mit einer Ausnahme: "Gerade, wenn wir das Auftaktspiel sehen, wussten wir, zu was wir imstande sind", so Huth. Gegen WM-Debütant Marokko hatte das DFB-Team 6:0 gewonnen und die Erwartungen weiter geschürt. Doch die Frauen, die sich als erstes arabisches Team für eine Weltmeisterschaft der Frauen qualifiziert hatten, stehen nun mit einem Torverhältnis von minus vier, aber zwei Punkten mehr als Deutschland, im Achtelfinale, die DFB-Frauen dagegen nicht.
Es ist die Fortsetzung eines Länderspieljahres, in dem es viele Probleme gibt. Schon das Spiel gegen Schweden im Februar endet 0:0, ein Duselsieg Anfang April gegen die Niederlande schönt die Statistik, ehe das Team sich Brasilien mit 1:2 geschlagen geben muss. Das knappe 2:1 gegen Vietnam und erst recht das 2:3 gegen Sambia in der unmittelbaren WM-Vorbereitung lassen Skepsis aufkommen, doch beim DFB verklärt man optimistisch, dass es im vergangenen Jahr vor der EM nicht anders gewesen ist. Doch diese beiden Partien stehen auch unter dem Eindruck des Abstellungsstreits mit dem FC Bayern, der Meister lässt seine Spielerinnen erst verspätet zum DFB ziehen. Es ist ein Nebenkriegsschauplatz, doch Voss-Tecklenburg spricht nach dem Aus in Brisbane auch davon, womöglich im vergangenen Halbjahr zu viel Rücksicht genommen zu haben auf die Belange der Klubs und der Belastungssteuerung.
Trainingsleistung nicht umsetzbar
Doch zum Zeitpunkt des Gruppenendspiels gegen Südkorea ist das Team bereits seit sechs Wochen zusammen unterwegs, gut drei Wochen davon in Australien. Wo es Auszeiten für Besuche bei Känguru, Koala, Krokodil und Schlange, aber auch für Strand und Meer gibt, wo aber auch mit Volldampf trainiert werde, so hatte es Lena Oberdorf nach der Pleite gegen Kolumbien beschrieben: "Wenn ihr wüsstet, wie es bei uns im Training abgeht. Beim Vier-gegen-Vier-Turnier kommt schonmal schlechte Stimmung auf, weil wir uns so ankacken. Da ist echt Feuer drin."
Das Feuer aus dem Training war vor allem in den letzten beiden Spielen nur selten zu sehen. Statt Selbstbewusstsein, Ruhe und Effizienz gab es zu viele vertändelte Bälle, Flanken ins Nichts und mangelnde Chancenverwertung. Im Spiel gegen Südkorea wirkten die Deutschen phasenweise verunsichert und hilflos, hatten keinen Zugriff aufs Spiel und entwickelten keinen Zug zum Tor, sondern passten den Ball hintenrum quer. "Ich habe das Gefühl gehabt, dass die Abstände zu groß waren, auch im Ballbesitz, dass man, wenn man einen Ballverlust hatte, gar nicht so schnell ins Gegenpressing kam", sagt Oberdorf. Die Moral aber könne man dem Team nicht abstreiten. "Wir haben nicht in unser Spiel gefunden, waren nicht präsent in den Zweikämpfen. Wir haben zwar Herz gezeigt, hatten aber nicht genügend klare Aktionen", so die Bundestrainerin.
Der Wille allein reicht nicht aus, wenn es im Spielaufbau hapert und die Abstimmungen untereinander nicht passen. "Die Räume waren da, sie genau so zu bespielen", bekennt Huth. Die taktische Veränderung gegen Südkorea mit dem Spiel mit zwei Spitzen hat nicht gegriffen. Huth bestreitet, dass dieser Kniff von Voss-Tecklenburg zu spontan kam: "Das war für uns nicht ungewohnt und ich glaube auch nicht, dass wir dadurch das erste Gegentor bekommen. Sondern weil wir unachtsam waren und keinen Druck auf den Ball kriegen." Das 0:1 durch die Südkoreanerin Sohyun Cho fiel bereits in der 5. Minute, ihr Lauf in die Tiefe zahlt sich aus, Kathrin Hendrich hebt das Abseits auf.
Bei Offensive und Defensive hapert's
Zugleich ist das Team bei eigenen Toren extrem abhängig von einer Spielerin, denn neben Popp haben nur Klara Bühl und Lea Schüller jeweils einmal zum Auftakt getroffen, die Kapitänin dagegen in allen drei Spielen insgesamt viermal, hinzu kommen noch zwei Eigentore der Marokkanerinnen. Das auf dem Papier topbesetzte Mittelfeld agiert nicht kreativ genug und kann keine entscheidenden Impulse im Angriff setzen.
Ein Problem waren auch die großen Verletzungsnöte in der Abwehr. Giulia Gwinn ist nach ihrem zweiten Kreuzbandriss noch nicht wieder fit, Carolin Simon riss sich das Kreuzband im letzten Test, in dem sich auch Abwehrchefin Marina Hegering eine Fersenprellung zuzog und erst gegen Südkorea spielen konnte. Die fehlende Spiel- und Trainingszeit merkte man der 33-Jährigen allerdings deutlich an, die Souveränität der EM ging ihr ab. Voss-Tecklenburg hatte allerdings kaum eine andere Wahl als auf sie zu setzen, da ihre Vertreterin Sara Doorsoun sich ihrerseits eine Muskelverletzung zugezogen hatte. Auch EM-Stammspielerin Felicitas Rauch fiel gegen Kolumbien und Südkorea aus, für sie spielte die angestammte Offensivspielerin Chantal Hagel als Linksverteidigerin. Ihr rechtes Pendant bildete Huth, die so aber als Flügelstürmerin mit starken Dribblings und Durcheinanderwirbeln der gegnerischen Abwehr fehlte.
Kann die 1A-Lösung nicht spielen, wird es schnell dünn in der Auswahl. Die Leistungsdichte ist im Mittelfeld deutlich größer als in der Abwehr, die Back-ups sind qualitativ nicht so stark wie die Stammspielerinnen. Der Nachwuchs hat sich der Bundestrainerin seit der EM nicht aufgedrängt, der Kader besteht zum Großteil aus denselben Spielerinnen.
Und nun? "Dieses Jahr haben wir nichts erreicht", bringt es Oberdorf auf den Punkt. Das ist schlecht für die Euphorie um das laut Umfrage beliebteste DFB-Team. Der Aufschwung ist gestoppt, die große Aufgabe, den Fußball der Frauen immer weiter zu etablieren und mit dem Sport der Männer auf eine Ebene zu bringen, hat einen herben Dämpfer erlitten. Oberdorf glaubt aber an die erreichte Nachhaltigkeit: "Die Fans, die uns in diesem Turnier supportet haben, die uns bei der EM schon supportet haben, werden uns auch weiter supporten. Weil sie die Mannschaft kennen und wissen, dass wir sowas nicht auf uns sitzen lassen, sondern weiter an uns arbeiten und dann die Qualität auf den Platz bringen." Das wird sich am 22. September zeigen, dann steht das erste Nations-League-Spiel in Dänemark an, ehe vier Tage darauf das Heimspiel gegen Island steigt.
Quelle: ntv.de