Final-Tränen und Knochenbrüche Das quälende Drama des Kevin de Bruyne
31.05.2021, 07:01 Uhr
Was für eine bittere Szene.
(Foto: imago images/Sportimage)
Das Leiden von Manchester City im Endspiel der Champions League gegen den FC Chelsea ist vor allem das Leiden von Kevin de Bruyne. Der Schlüsselspieler des Teams von Josep Guardiola verletzt sich schwer und weint bittere Tränen. Immerhin gibt es auch eine gute Nachricht.
Die Meinungen über das, was sich an Samstagabend in Porto in Minute 57 des Champions-League-Endspiels zwischen Manchester City und dem FC Chelsea abgespielt hat, gehen arg weit auseinander. Von einem üblen Check wie beim American Football schreiben die einen, von einem eher belanglosen Zweikampf die anderen. Nun, die Bewertung der Situation ist einem Mann mutmaßlich fürchterlich egal: Kevin de Bruyne. Denn was hätte er davon, wenn die Aktion von Antonio Rüdiger im Nachgang noch mehrmals zerlegt werden würde? Nichts. Vor allem nicht weniger Schmerzen. Weder physisch noch psychisch.
Am Samstagabend in Porto, in Minute 57, wurden verdammt viele Hoffnungen von Manchester City zertrümmert. An der Schulter von Chelseas Innenverteidiger Rüdiger. Gegen die war de Bruyne geprallt - schneller als man zuschauen konnte, schwoll sein Gesicht an. Schneller als man zuschauen konnte, entstand direkt unter dem linken Auge ein ordentliches Hämatom. Zwar versuchte der Kapitän der "Skyblues" noch kurz die Aktion von sich abzuschütteln, versuchte unter Einfluss von reichlich Adrenalin den Schmerz zu vergessen - vergeblich. In der 60. Minute ging er vom Feld. Unter Tränen. Er sank die Arme eines Betreuers. Er sank in den Arm von Trainer Josep Guardiola. Minuten später saß er mit leerem Blick, mit traurigen Augen auf der Bank.
Er sah mit an, wie seine Mannschaft vergeblich versuchte, dem Finale noch eine entscheidende Wendung zu geben. Wie sie versuchte, eine Antwort auf das spektakuläre 0:1 (42.) durch den deutschen Nationalspieler Kai Havertz zu finden. Tja, aber ohne ihren Dirigenten, ohne ihren Schlüsselspieler, ohne den vermutlich besten Mittelfeldspieler der Welt fiel Manchester nichts ein. Die überraschend offensive Aufstellung von Trainer Josep Guardiola, der sich selbst in einem entscheidenden Spiel wieder einmal nicht vertraut hatte und sich mit einem taktischen Experiment vercoachte, zündete nicht. Weder das Pressing funktionierte, noch wurde die Dominanz im eigenen Ballbesitz in gefährliche Aktionen umgearbeitet. Auch der Kapitän blieb sehr unauffällig.
Das Spiel von City ist das Spiel von de Bruyne
Aber de Bruyne ist eben de Bruyne. Er ist immer in der Lage, dem Spiel den einen Impuls zu geben. Den Impuls, der alles dreht. Mit einer herausragenden Schusstechnik. Mit seinen überragenden Fähigkeiten im Spielaufbau, in der Vorbereitung. Wie sehr er das Spiel seiner Mannschaft prägt, hatte er unter anderem im Viertelfinale auf beeindruckende Art gezeigt. Bei Borussia Dortmund orientierte sich das Spiel der Citizens an den Laufwegen von de Bruyne. Sorgte er für Tiefe, wurde Manchester immer gefährlich. Sorgte er für Breite, war die Mannschaft einfach nicht vom Ball zu trennen. Egal, wo sich seine Mitspieler auf dem Feld die Pässe zuspielten, sie hatten immer das Auge für de Bruyne. Wenn er startete, löste das Team die Aktion aus. Ein vergeblicher Laufweg? Nein.
Im Finale nun spielte der 29-Jährige im Sturmzentrum. Das kann er. Ist aber nicht seine beste Position. Dort ist er nicht so prägend wie im zentralen Mittelfeld. Dass Guardiola in seinem Überfallsystem auf einen echten Stürmer verzichtete, wurde vor allem in der englischen Presse heftig kritisiert. "Der verrückte Dirigent sieht, wie der Champions-League-Traum zerfällt", schrieb der "Guardian". Der "Independent" fand: "Ein umwerfender Thomas Tuchel lässt Guardiola mit sämtlichen Fragen zurück." Jene Fragen drehten sich nach dem Spiel vor allem um die Aufstellung. Selbst Chelsea-Coach Thomas Tuchel war überrascht: "Wir haben erwartet, dass Fernandinho spielt. Er hat eine sehr offensive Aufstellung gewählt."
Was noch möglich gewesen wäre, wenn sich de Bruye nicht verletzt hätte? Müßig. Für den Belgier wurde das Endspiel indes zu einem kleinen Drama. Zum zweiten Mal hätte er den Henkelpott "gewinnen" können, aber zum ersten Mal auf eine Art, die sich richtig und richtig gut anfühlt. Denn als der FC Chelsea 2012 dem FC Bayern das "Finale dahoam" madig gemacht hatte, da war er zwar bereits Profi der Blues, aber nicht im Kader der Londoner. Er war in der Rückrunde der Spielzeit ausgeliehen an seinen Jugendklub KRC Genk. "Ich war nicht da. Ich denke nicht, dass ich eingeladen war. Ich erinnere mich kaum daran, wenn ich ehrlich bin", sagte de Bruyne. Nun wollte er Protagonist sein. Und das wurde er auch. Aber nicht wegen des Titels, sondern wegen seiner Tränen.
Am Tag nach der bitteren Niederlage von Porto wurde bekannt, wie schmerzhaft der Abend für de Bruyne wirklich war. Der Spielmacher erlitt bei dem krachenden Zusammenprall mit Rüdigers Schulter einen Augenhöhlen- und Nasenbeinbruch. "Ich komme gerade aus dem Krankenhaus. Mir geht es ganz gut. Natürlich bin ich noch enttäuscht", schrieb de Bruyne am Sonntag bei Twitter. "Es tut mir wirklich leid für Kevin", twitterte Rüdiger ebenfalls am Sonntag: "Das war natürlich keine Absicht von mir - ich habe Kevin schon persönlich kontaktiert und wünsche ihm eine baldige Genesung und hoffe, dass wir ihn bald wieder auf dem Platz sehen können."
Womöglich ja tatsächlich noch sehr bald. Bei der anstehenden Europameisterschaft. Eine Teilnahme von de Bruyne soll derzeit nicht gefährdet sein. Immerhin. Belgien trifft am 12. Juni zunächst auf Russland. Weitere Gegner in der Gruppe B sind Dänemark am 17. Juni und Finnland am 21. Juni. Gegen Deutschland - und dann auch wieder gegen Rüdiger - könnte es bereits im Achtelfinale gehen.
Quelle: ntv.de