Fußball

Bobic' riskanter Plan für Hertha Des Herrschers Suche nach Liebe

Bobic setzt bei Hertha auf neue Kräfte.

Bobic setzt bei Hertha auf neue Kräfte.

(Foto: imago images/Nordphoto)

Hertha BSC steht am Tabellenende, die Fans wüten wegen eines Transferdebakels. Doch der neue Geschäftsführer Fredi Bobic hat einen Plan. Einen riskanten. Es geht um Macht, Zugehörigkeit und die Liebe der Anhänger.

Dichtes Grau liegt über dem Berliner Olympiastadion am Morgen, dabei ist Sonne vorhergesagt. Im nahegelegenen U-Bahnhof sind Maler am Werk. Die Türen bekommen einen neuen Anstrich. Einer der Bauarbeiter in weißen Latzhosen mit bunten Farbflecken hat ein kleines Kofferradio ausgepackt, es läuft der Berliner Rundfunk 91,4. "I would do anything for love", singt Meat Loaf überkandidelt. Das ist Hertha BSC in einer einzigen Situation.

Auch der Hauptstadtklub verpasst sich dieser Tage einen neuen Anstrich. Mal wieder. Die Stimmung im Verein und bei den Fans? Eher grau. Da würde der neue Sportgeschäftsführer Fredi Bobic alles für ein wenig Liebe tun. Denn Hertha BSC dümpelt mit null Punkten aus drei Spielen auf dem letzten Tabellenplatz der Fußball-Bundesliga herum, weit hinter den eigenen Ansprüchen. Der Deadline-Day des Transferfensters wird zum Debakel, weil wenige Stunden vor Transferschluss in den sozialen Medien ein Prozent-Balken suggeriert, dass noch einige Zugänge hinzukämen. Die Fans sind außer sich, als zwar noch weitere Abgänge, aber neben Myziane Maolida kein einziger neuer Spieler präsentiert wird.

"Ich übernehme die Verantwortung für diesen scheiß Balken", erklärt Bobic in einer kleinen Medienrunde, auch wenn er vor dem Deadline-Day nicht von der Aktion in den sozialen Medien gewusst habe. "Tut mir leid, dass suggeriert wurde, dass da noch was passiert." Am späten Nachmittag sei man bei der Hertha nämlich schon durch gewesen mit den Wechsel-Planungen. Überhaupt: Wie das Team gearbeitet habe, sei "außerordentlich gut" gewesen. "Wir haben das gemacht, was wir machen wollten", sagt Bobic über die Transfers.

Rüffel für Dardai

Bobic hat keine Pressekonferenz einberufen lassen, sondern eine intime Runde. Er sitzt nicht oben auf dem Podest und spricht runter zur Presse, sondern in einem kleinen Stuhlkreis. "Ich hatte keinen Bock auf staatsmännisch", sagt der Geschäftsführer direkt zu Beginn. Und doch zeigt er deutlich, wer der neue Herrscher beim BSC ist. Dass er zwar - ganz nach Meat Loaf - alles tut, um den Verein auf Vordermann zu bringen und die Liebe der Fans zu erhalten, aber mitnichten selbst Liebe versprüht.

Bobic spricht klar und bissig, zeigt, wer Herr im Klub ist. Mehrmals rüffelt er Hertha-Trainer Pal Dardai, der nicht anwesend ist, um sich wehren zu können. Dardais "emotionaler Ausbruch" nach dem 0:5 gegen Bayern München, als der Coach nahelegte, der Klub würde einen größeren Trainer als ihn suchen, "war unnötig und blöd". Das wisse Dardai auch. "Er hat kurz Schwäche gezeigt, das bedauert er. Das konnten wir überhaupt nicht gebrauchen und das habe ich ihm klar gesagt", so Bobic. Man habe sich aber ausgesprochen und alles sei wieder in Ordnung.

Auf die Frage nach der Fitness der erfahrenen Stars Kevin-Prince Boateng und Stevan Jovetic, über die Dardai gesagt hatte, sie könnten nur 70 Minuten (Jovetic) respektive 60 (Boateng) spielen, folgt der nächste Trainer-Rüffel: "Sowas sagt man nicht, das habe ich Pal auch klargemacht", erklärt Bobic. Wer der starke Mann im Verein ist, wer die Richtung vorgibt, daran sollte nun kein Zweifel mehr bestehen.

Hertha als Frankfurt 2.0?

Als Hertha-Herrscher hat Bobic sein Heer ausgedünnt. Die Topscorer der vergangenen Saison (Matheus Cunha, Jhon Córdoba, Dodi Lukebakio) sind weg. Wer schießt jetzt die Tore? Mit 2:10 Treffern hat Hertha das schlechteste Torverhältnis der Liga. Aber Bobic hat einen Schlachtplan. Wenngleich einen riskanten. "Wen haben wir abgegeben?", fragt er in die Runde. "Spieler, bei denen man gesagt hat, dass sie das Trikot nicht so tragen, wie sie es sollten." Die neuen, jungen Profis (Maolida, Marco Richter, Jurgen Ekkelenkamp und Oliver Christensen) würden dafür jetzt darauf brennen, für Hertha zu spielen und sich zu entwickeln. "Haben Sie in den letzten zwei Jahren hier Euphorie und Emotionen gefühlt?", fragt nicht Meat Loaf, sondern Bobic in die Medienrunde. "Du musst mit vollem Herzen hier sein." Anything for love eben.

Durch mehr Unberechenbarkeit ("Spieler, die gerne Meter machen"), Willen ("sich zerreißen auf dem Platz"), affirmative Emotionen ("in der Mannschaft müssen wir wieder positiv sein") und Euphorie (die Neuen "wollen den Ball jagen") sollen bessere fußballerische Qualitäten (Cunhas Fähigkeiten hat niemand im Team und die offensiven Außen sind trotz Maolida und Richter nun noch schlechter besetzt) ersetzt werden. Das klingt teilweise nach Jürgen Klinsmann und auf den ersten Blick natürlich nach einem Neuanfang mit viel Hurra - könnte aber böse enden. Doch Bobic traut der Mannschaft eine "solide Saison" zu. Außerdem, so erklärt er - obwohl er betont, nicht in die Vergangenheit blicken zu wollen: In Frankfurt habe der Aufstieg auch seine Zeit gebraucht und anfangs habe niemand seine zukünftigen Stars gekannt. Hertha als Frankfurt 2.0?

Bobic könnte entweder zum umjubelten König aufsteigen oder zum verhassten Leviathan mutieren, der die Übersicht über sein Reich verloren hat und blind seinen Willen durchdrückt. Im Hintergrund soll im Verein derzeit eher letztere Einschätzung überwiegen. Das mag auch an Sätzen des neuen Sportgeschäftsführers liegen wie diesem: "Wenn du in einen Verein kommst, in dem seit zwei Jahren nichts läuft, dann dauert der Wandel." Oder diesem: "Der Verein braucht ein anderes Denken und Auftreten."

"Mein Rücken ist brutal breit"

Den Wandel ("das passiert nicht in einem Jahr") bestimmt der neue Herrscher. Alle im Klub müssten dafür bereit sein: "Du musst arbeiten. In allen Bereichen. Voll am Limit." Doch Bobic ist sich auch bewusst, dass er und sein Verein auf dem angestrebten Weg nach oben noch mehrmals stolpern werden. "Fehler sind ok, man darf aber nicht zu viele machen", warnt er. Aber Bobic weiß, dass er als starker Mann vorangehen und Verantwortung übernehmen muss. Er hält sein Kreuz hin, wenn eine Schlacht verloren geht. Wie beim Balken-Desaster. "Mein Rücken ist brutal breit", sagt Bobic. "Ich nehme alles gerne auf mich."

"I'd run right into hell and back", fährt Meat Loaf in seinem Schmusehit von 1993 fort. Ich würde für dich in die Hölle gehen und zurück. "I'll never lie to you and that's a fact." Aber dich anzulügen, das würde mir niemals einfallen. Herthas Herrscher Fredi Bobic tut bei Herthas Neuanstrich alles, um die Liebe der Stadt und der Fans für sich zu gewinnen. Ob sein riskanter Plan aufgeht wie in Frankfurt und alle im Verein mitziehen? Die Maler am U-Bahnhof haben die Türen mittlerweile wohl fertig gestrichen.

Quelle: ntv.de

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