Argentinien vor WM-Aus Die Herzensbrecher vom Rio de la Plata
06.10.2017, 14:42 Uhr
Herzensbrecher-Opfer.
(Foto: dpa)
Hier schreibt einer, der leidet. Hat er sein Herz doch an die Himmelstürmer vom Rio de la Plata vergeben. Und um die steht es nicht gut. Oder genauer, es sieht zappenduster aus für Argentiniens Traum von der Fußball-WM in Russland.
Es gab eine Zeit, da kannte die Begeisterung keine Grenzen: 1978 war so ein Jahr. Noch nie hatte die Welt ein solches Inferno aus Fanatismus, Konfetti, Toilettenpapier, Fahnen und tosender, überschäumender Fankultur erlebt, wie bei der Fußballweltmeisterschaft in Argentinien. Ein unübertroffenes Spektakel für die Ewigkeit - befeuert durch den kraftvollen Offensivfußball der Gastgeber, die mit ihrem wilden und langmähnigen Aussehen in ihren schönen hellblau-weiß gestreiften Trikots und den schwarzen Hosen diese Fußball-Rock'n'Roll-Show perfekt machten. Und den Titel holten. Ein Vollrausch, mitten ins Herz.
Ähnlich ist es 1986. Argentinien wird erneut Weltmeister. Diesmal unter göttlicher Führung. Genauer, durch die einmaligen Fähigkeiten, den Willen und die Dominanz eines Diego Armando Maradona. Nie zuvor und auch bis dato hat ein einzelner Spieler ein Turnier derart geprägt. Seitdem stand fest, zumindest auf dem Fußballplatz gibt es einen weiteren Gott. Und dann? Wurde es schmerzhaft für die Anhänger der blau-weißen Himmelstürmer vom Rio de la Plata. Obwohl immer top besetzt, hat es nie wieder für einen Titelgewinn gereicht. In der aktuellen WM-Qualifikation hagelt es Niederlagen und Unentschieden. Die dringend benötigten Siege bleiben aus. Und Argentinien sackt in der Tabelle der Südamerika-Gruppe gnadenlos ab. Und dies schneller als die Tinte der Tattoos der Spieler trocknen kann. Muss als aktuell Sechster heftig um die WM-Teilnahme bangen. Die Gründe dafür sind vielfältig.
1. Messias gesucht
Allen voran ist da die Fokussierung und das Warten auf einen weiteren Erlöser. Viele haben sich gezwungenermaßen an dieser Rolle versucht. Alle waren gut. Alle sind gescheitert. Letzter Kandidat: Lionel Messi. Seines Zeichens bester Fußballspieler des Planeten. Nun scheint auch er gescheitert.
2. Argentinische Selbstverliebtheit
Natürlich gab und gibt es auch viele andere große Namen in Argentiniens Nationalmannschaft, allesamt Spitzenverdiener bei den größten Vereinen dieser Welt. Aber auch sie versagen regelmäßig, wenn es darauf ankommt. Zu selbstverliebt, zu gehemmt, zu teilnahmslos, stolpern diese über den Platz. Es scheint offensichtlich, dass Erfolge mit ihren Vereinsmannschaften die größere Priorität genießen. Noch dazu sind die viel gefragten Spieler nach zumeist endlosen Einsätzen für ihre Klubs bei den im Anschluss der Saison stattfindenden Turnieren oft nicht mehr im Vollbesitz ihrer Kräfte.
3. Der Verband
Okay, wir sind in Südamerika. Da liegt die Vermutung nahe, dass nicht immer der Erfolg der Mannschaft im Vordergrund steht. Gilt es doch, zunächst die Geldbörsen der Funktionäre zu füllen. Was danach an Engagement und Mitteln übrig bleibt, kommt dann dem Team zugute. Oder eben auch nicht. Dass es auch anders geht, zeigt der DFB. Zwar scheint auch hier nicht immer alles ganz sauber, aber an der Mannschaft wird nicht gespart.
4. Der Nimbus ist weg
Lange galt Argentinien als Fußball-Großmacht auch ohne weiteren Titelgewinn. Besaßen die Kicker doch immer die Kraft und die Disziplin der Deutschen, das Taktikverständnis der Italiener, die Schlitzohrigkeit und Härte der Uruguayer und das Ballgefühl und den Spielwitz der Brasilianer. Eine eigentlich verheerende Mischung - für den Gegner. Nur, nach zuletzt drei verlorenen Endspielen, ist der Nimbus weg. Selbst Peruaner und Bolivianer zeigen kaum noch Respekt.
5. Die Psyche
Die Argentinier zeigen Nerven. Sie liefern derzeit eine Lehrstunde in der Psychologie des Versagens ab. Das spürt auch der Gegner und hält frech dagegen. Doch manchmal läuft es einfach nicht. Da will einfach nichts mehr gelingen, obwohl alle Voraussetzungen und Fähigkeiten vorhanden sind. Im wirklichen Leben hat man in aller Regel die Zeit, eine derartige Phase zu überwinden und die daraus resultierenden Fehler zu korrigieren. Im Fußball ist diese begrenzt. Das macht den Reiz des Sports aus.
6. Gibt es noch Hoffnung?
Natürlich. Die gibt's immer. Allerdings muss nun unbedingt ein Sieg im letzten Spiel gegen Ecuador her. Holen die Argentinier hier drei Punkte und gewinnt einer der direkten Konkurrenten Chile (gegen Brasilien) und Peru (gegen Kolumbien) nicht, kann sich Argentinien als Fünfter doch noch über die zwei Play-Off-Spiele gegen den Ozeanien-Vertreter für die kommende Weltmeisterschaft qualifizieren. Und dann werden die Karten neu gemischt. Dann ist Argentinien wieder im Spiel. In der WM-Historie hat sich oft genug gezeigt, dass selten der Mannschaft, die im Vorfeld einer WM alles und jeden an die Wand gespielt hat, dies dann auch im Turnier gelang. Was im Umkehrschluss die Chancen der Argentinier ungleich erhöht.
Wenn es doch nicht klappt, heißt es stark sein, auch für den Schreiber dieser Zeilen. Dann gilt einmal mehr Herz vergeben, Herz verschenkt. Aber so ist Fußball.
Quelle: ntv.de