Fußball

"Schade, schon vorbei?" Emotionale Ikone Popp gibt ihren DFB-"Haufen" weiter

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145 Mal spielt Alexandra Popp für Deutschland, nun hat die Fußballerin ihren letzten Auftritt im DFB-Team. Schon nach 15 Minuten ist Schluss, sie streift die Kapitänsbinde ihrer Nachfolgerin Giulia Gwinn über. Es geht fast zu schnell für sie - nach mehr als 14 Jahren, in denen sich der Fußball massiv wandelt.

Standing Ovations, tobender Applaus, Fahnen werden geschwenkt und Schals mit ihrem Konterfei, die vor dem Stadion verkauft wurden, werden hochgehalten. Als Alexandra Popp nach knapp 15 Minuten gegen Australien (1:2) den Platz verlässt, endet ihre Ära nach 145 Länderspielen. Es ist ihr letzter Auftritt im deutschen Nationalteam. Sie nimmt die Binde vom Arm, bedankt sich bei den Fans und geht dem Spalier ihrer Teamkolleginnen entgegen. Diese haben sich am Rand aufgereiht, Popp klatscht sie ab, bis sie bei Giulia Gwinn ankommt.

In diesem Moment verschmelzen Vergangenheit und Zukunft. Gwinn tritt ein Stück aus der Reihe hervor, die alte Kapitänin streift die Binde ihrer Nachfolgerin über den Arm, drückt sie lange und gibt ihr ein paar Worte mit auf den Weg. "Viel Spaß mit dem Haufen", habe Popp ihr gewünscht, erzählt Gwinn nach dem Spiel mit einem Schmunzeln.

Die Tränen schimmern in Popps Augen, auch als sie ihre Auswechselspielerin Nicole Anyomi in den Arm nimmt. Da kann sie die Emotionen nicht mehr aufhalten, "bei der Hymne habe ich extrem gekämpft, und ja, hinterher ist die ein oder andere Träne geflossen." Sie hatte schon erwartet, dass es emotional werden würde. Doch so emotional Popp ist, so fest sie am Spielfeldrand von Linda Dallmann gedrückt wird und mit den weiteren Spielerinnen Umarmungen austauscht, geht auf dem Platz das Spiel weiter. Die Zukunft, sie ist da. Die Zukunft der DFB-Frauen ohne Alexandra Popp.

Wück setzt Priorität auf Zukunft

Der neue Bundestrainer Christian Wück hatte im Vorfeld gesagt, dass ihm das Testspiel gegen Australien sehr wichtig ist, dass der Abschied zwar schön ist, er aber nicht bereit ist, das Spiel dafür herzuschenken. "Es war so abgesprochen mit Popp", betont er nach dem Spiel, während Popp laut eigener Aussage denkt: "Schade, sind die schon vorbei, die 15 Minuten?" Und so steht Wück, als Popp noch die Bank abklatscht, schon wieder in seiner Coachingzone und gibt Anweisungen. Popp ist es, die von hinten an ihn herantritt, ihm auf die Schulter tippt und mit ihm einschlägt. Der Bundestrainer hat dafür nur kurz Zeit, sein Blick ist in die Zukunft - das Jetzt - gerichtet. "Für mich ist unheimlich wichtig, dass ich Spielerinnen austeste", erklärt er mit Blick auf die nur vier Freundschaftsspiele bis zum Jahresende.

Und so ist der Abschied von Popp, auf den viele der 26.623 Fans besonders hinfiebern, für ihn nur ein Detail. Nach wenigen Minuten ist der Abschied abgehandelt. Gemeinsam mit Marina Hegering und Merle Frohms, die sich ebenfalls aus dem DFB-Team verabschiedet haben, hat sie vor Anpfiff bereits Blumen und Ehrungen vom DFB sowie Applaus von den Fans erhalten. Popps Karriere im DFB-Trikot ist nicht so schnell abzuhaken. Ihr Einfluss auf den Fußball der Frauen ist immens. Wie sehr sie geliebt wird, erlebt sie nach Abpfiff bei der Ehrenrunde noch einmal. Die Fans jubeln vor allem ihr zu, sie steht noch einmal im Mittelpunkt.

Ausgerechnet in Duisburg - die Stadt ist für Popp der Anfang und das feierliche Ende. In der Stadt startet sie 2008 ihre Profikarriere beim FCR 2001 Duisburg, in der Stadt absolviert sie am 17. Februar 2010 ihr erstes Länderspiel im A-Team. Mehr als 14 Jahre später gibt die inzwischen 33-Jährige noch einmal alles. Sie führt den Anstoß aus, einen Freistoß nach wenigen Spielminuten übernimmt die Kapitänin höchstpersönlich, als Australiens Torhüterin Mackenzie Arnold den Ball für ihren Geschmack zu lange hält, fordert sie diese zum schnellen Weiterspielen auf.

Poppi "wird extrem fehlen"

So war sie immer, unermüdlich im Einsatz, präsent im Spiel, sich nie zu schade für Arbeiten aller Art. Steht Popp auf dem Platz, geht sie voran. Im Nationalteam und seit vielen Jahren beim VfL Wolfsburg, wo sie ihre Karriere erst einmal fortsetzen wird. Sie ist immer da, wo das Team sie braucht, wo die Trainerin oder der Trainer sie einsetzt. Gerade in ihrer Anfangszeit spielt sie im Verein sogar in der Defensive, zuletzt bei den Olympischen Spielen in Frankreich im Team von Interimsbundestrainer Horst Hrubesch aufgrund des Ausfalls von Lena Oberdorf zeitweise im defensiven Mittelfeld, auch wenn sie sagt: "Ich bin froh, wenn ich in der Sturmspitze spielen darf."

Als Kopfballungeheuer ist Popp gefürchtet, für ihre Mentalität, ihren Kampfgeist. "Eine wie sie gibt es nicht noch einmal", sagt Lina Magull auf die Frage, wer denn nun in ihre Fußstapfen treten wird. Auch Janina Minge fällt es schwer, diese Frage zu beantworten: "Jeder weiß, dass Poppi eine ganz besondere Person ist. Sie ist extrem wichtig auf und neben dem Platz. Sie ist ganz schwer zu ersetzen, sie wird extrem fehlen." Als Kapitänin, die Popp seit 2019 im DFB-Team ist, gehört es zu ihren Aufgaben, auf- und abseits des Platzes voranzugehen. Sie stellt sich nicht nur den Gegnerinnen, sondern auch den Medienvertretern - und bietet damit manchmal vielleicht auch so etwas wie ein Schutzschild für die anderen. Sie sagt deutlich ihre Meinung, sie ist gern gehörte Rednerin, ihr Wort hat Gewicht.

"Habe mehrere Generationen mitgenommen"

Das war natürlich nicht von Anfang an so, Popp ist in die Rolle hineingewachsen. "Ich habe mehrere Generationen mitgenommen. Ich bin als kleines Mädchen zur Nationalmannschaft hoch. Ich habe mit Spielerinnen wie Inka Grings, Birgit Prinz, Annike Krahn etc. auf dem Platz gestanden, die mich eher noch erzogen haben", blickt sie selbst auf ihren Start als 18-Jährige zurück. Als die damalige Bundestrainerin Silvia Neid sie ein Jahr vor der Heim-Weltmeisterschaft erstmals nominiert, wird sie früh in die Rolle der Sturm-Erbin gequatscht. "Ich war ja mit 17 oder 18 medial schon die zweite Birgit Prinz. Das ist nicht einfach. Da hatten meine Eltern schon zu tun, mich auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen, und meine beste Freundin war und ist ein großer Anker für mich", sagte sie mal dem "Kicker". Popp hat Zeit zu reifen, im Schatten der Alles-Gewinnerinnen, die eine Ära prägen, in der die deutschen Frauen alles im Fußball dominierten.

"Dann bist du in einem mittleren Alter, wo du mit dem Strom schwimmst und gucken musst, wo es hingeht. Und dann bist du plötzlich selbst die Führungsspielerin und musst junge Spielerinnen führen", schaut Popp auf die mehr als 14 Jahre im Nationalteam zurück. Sie erlebt die Entwicklung des Fußballs der Frauen hautnah mit. Der Hype, der vor der Heim-WM 2011 herrscht, die Ernüchterung nach dem Aus bereits im Viertelfinale gegen die späteren Weltmeisterinnen aus Japan. Sie beginnt ihre Karriere in einem Superstar-Team, deren Namen außerhalb des kleinen Zirkels Frauenfußball trotzdem nur die wenigsten kennen. Sie selbst ist als Mädchen gar nicht angetan davon, nicht mehr mit den Jungs zusammenspielen zu können, sondern in ein Mädchenteam zu wechseln, weil sie sich nicht vorstellen kann, dass sie Fußball spielen können. Die Vorbilder - ihnen fehlt die Aufmerksamkeit.

Sie erlebt aber über die Jahre auch mit, wie es etwa ab der WM 2019 in Frankreich aufwärts geht, mehr und mehr Interessierte zuschauen, ehe der Hype mit der EM 2022 überkocht. Plötzlich ist Popp ein Star, tingelt durch Talkshows, ist gefragte Persönlichkeit. Kleine Mädchen und Jungs tragen DFB-Trikots mit ihrem Namen, mit dem von Gwinn und Klara Bühl und Co. - sie sind die Vorbilder, die Popp einst fehlten. Das würdigt auch Wück: "Junge Mädchen haben ihretwegen mit dem Fußballspielen angefangen."

"Extrem im Reinen mit meiner Entscheidung"

"Ich hatte extrem viel Spaß", sagt sie über die lange Zeit. Auch an diesem Abend in Duisburg. Als sie vom Platz geht, führt das DFB-Team durch einen Treffer von Selina Cerci (5.). Viele Wechsel, viel Testen des neuen Bundestrainers wirken sich aber aus - und so verlieren die Deutschen letztlich 1:2. Ein Ergebnis, das für den Bundestrainer zwar ärgerlich, aber verschmerzbar ist. Er setzt darauf, möglichst schnell, möglichst viele Spielerinnen persönlich kennenzulernen, in verschiedenen Konstellationen miteinander spielen zu sehen, zu sehen, "wie sie sich auf internationalem Niveau verhalten". Ohne Popp, später auch ohne Gwinn und Bühl - da steht ein Team auf dem Platz, bei dem wahrscheinlich ist, dass es so nie wieder zusammenspielt.

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Popp schaut sich den "Haufen", den sie an diesem Abend an Gwinn weiterreicht, da schon von der Bank aus an. Mit den Abschieden von ihr, Hegering, Frohms und in der jüngeren Vergangenheit bereits Svenja Huth, Melanie Leupolz und Dzsenifer Marozsán muss Wück einen großen Umbruch anleiten. Einen, den Popp ab sofort vor dem TV beobachten wird - ohne Wehmut. "Ich habe das Spiel gegen England ja schon verfolgt und nein, ich fand es nicht komisch. Ich bin extrem im Reinen mit meiner Entscheidung."

Und wenn die gelernte Tierpflegerin dann doch mal Sehnsucht nach dem DFB-Team hat, "ist sie immer willkommen, darf immer dazustoßen und darf für ein Abendessen vorbeikommen", so Gwinn über die Frau, "die uns jahrelang geprägt hat".

Quelle: ntv.de

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