"Wir hatten sie am Abgrund" FC Bayern leckt seine Wunden
02.05.2018, 10:02 Uhr
Nicht nur Thiago Alcantara war nach dem Spiel niedergeschlagen.
(Foto: imago/Alterphotos)
Mats Hummels und Thomas Müller sprechen das Manko nach dem Aus des FC Bayern in der Champions League bei Real Madrid klar an. Doch Karl-Heinz Rummenigge zieht lieber seinen Hut - obwohl er gar keinen hat.
Klar, das war knapp. Die Fußballer des FC Bayern müssen sich nicht vorwerfen lassen, sang- und klanglos aus der Champions League ausgeschieden zu sein. Das 2:2 (1:1) im Rückspiel des Halbfinales bei Real Madrid am Mittwochabend vor 77.459 Zuschauern im Estadio Santiago Bernabéu vermittelte durchaus den Eindruck, als könnten die Münchner unter Anleitung ihres Trainers Jupp Heynckes mit den Besten in Europa mithalten. Das ist ja stets die Frage. Seit sie die Bundesliga fast nach Belieben dominieren, also seit sechs Jahren, in denen sie stets den Titel gewannen, bemisst sich der Erfolg einer Saison mit zunehmender Dringlichkeit daran, wie der FC Bayern international abschneidet.
Im Grunde verdichtet sich alles auf eine Woche zwischen Ende April und Anfang Mai, in der es wie in diesem Jahr in zwei Spielen im Halbfinale der Königsklasse gegen die Königlichen darum ging, ob es fürs Finale reicht. Es hat wieder nicht gereicht. Im vergangenen Jahr war mit Übungsleiter Carlo Ancelotti gegen Real Madrid nach einem 1:2 im Hinspiel und einem 2:4 nach Verlängerung im Rückspiel schon im Viertelfinale Schluss.
Mit Josep Guardiola an der Seitenlinie 2016 gewannen die Bayern das Halbfinal-Rückspiel gegen Atlético mit 2:1, nachdem sie in Madrid mit 0:1 verloren hatten. Das war knapp, aber zu wenig. 2015 unterlagen sie, ebenfalls mit Guardiola, in Barcelona im Halbfinale mit 0:3, sodass das 3:2 in München wenig wert war. Und 2014 gab's ein 0:1 im Bernabéu, bevor Real mit 4:0 in München triumphierte und ins Endspiel einzog. Kurzum: Seit dem Triple aus Meisterschaft, Pokal und Königsklasse unter Heynckes im Jahr 2013 ist der FC Bayern nun auch im fünften Jahr an einem spanischen Team gescheitert - zum dritten Mal gegen Real.
"Was haben wir falsch gemacht?"
Und nun? Befand Kapitän Thomas Müller: "Im Fußball sind Glück und Pech nah beieinander. Wir müssen uns nicht schämen, aber es tut weh. Da war schon mehr drin." Er sagte aber auch: "Wir müssen uns natürlich auch die Frage stellen, was wir in diesen Spielen falsch machen." Das klingt nach einem guten Ansatz. Ob er aber beim deutschen Branchenprimus auch mehrheitsfähig ist? Heynckes, der sich mit seinen 72 Jahren im Sommer wohl endgültig in die Rente verabschiedet, konstatierte: "Wenn man beide Spiele zusammen sieht, dann waren wir die bessere Mannschaft." Schon nach dem 1:2 im Hinspiel hatten die Bayern mit der mangelhaften Chancenverwertung gehadert und den Gegner vielleicht ein bisschen schlechter geredet, als er ist. Frei nach dem Motto: So toll ist Real auch nicht.
Das mag sein - aber die Madrilenen haben zuletzt zweimal hintereinander die Königsklasse gewonnen und schicken sich nun an, das am 26. Mai in Kiew ein drittes Mal zu tun. Und ob der Gegner dann FC Liverpool oder AS Rom heißt - sie gehen als Favorit in diese Partie. Toni Kroos, Reals deutscher Mittelfeldspieler, sagte: "Insgesamt muss man sagen, dass Bayern das in beiden Spielen sehr, sehr gut gemacht hat, aber wir waren kaltschnäuziger." Und wie dem Kollegen Müller dämmerte es auch Innenverteidiger Mats Hummels, dass nicht alles nur eine Frage von Glück und Pech ist: "Am Ende, wenn du diese Titel holen willst, dann musst du diese Chancen nutzen. Wir haben zwei Tore gemacht, aber am Ende waren es ein, zwei zu wenig für die Chancen, die wir hatten." Das war das große Manko - und die Tatsache, dass die Münchner auch zu viele Tore zu leicht kassierten. Im Fußball kann sich das zu einem fundamentalen Problem ausweiten. Wie also wollen es die Bayern schaffen, aus einer Liga heraus, die sie nicht ernsthaft fordert, international stabiler zu werden?
"Größten Respekt und höchstes Lob"
Karl-Heinz Rummenigge, der Vorstandschef, sagte in der Nacht nach der Partie im Bernabéu bei seiner Rede im Teamhotel VP Plaza España Design, er habe das beste Champions-League-Spiel des FC Bayern in den vergangenen fünf Jahren gesehen. Und Real? "Wir hatten sie am Abgrund." Traurig sei allein, "dass wir sie nicht in den Abgrund hineingestürzt haben". Es sei doch so: "Nicht nur Bayern, sondern ganz Deutschland, die ganze Fußballwelt wird unserer Mannschaft, dem Cheftrainer Jupp Heynckes mit seinem Trainergespann, größten Respekt und höchstes Lob zollen." Nun gelte es, sagte Rummenigge, zumindest das Pokalfinale am 19. Mai gegen Eintracht Frankfurt und mithin das Double zu gewinnen, nachdem sie ja seit Wochen als alter und neuer deutscher Meister feststehen.
Aus seiner Sicht war es "eine Saison, die ihresgleichen sucht". Schließlich hatte man im Oktober in der Liga noch fünf Punkte Rückstand auf Borussia Dortmund gehabt. "Ich habe jetzt leider keinen Hut auf. Aber wenn ich einen hätte, würde ich ihn ziehen und mich vor der Mannschaft verneigen." Das wiederum klang eher nach Wundenlecken und danach, als fühlten sich die Münchner auf ihrem nicht gerade erfolglosen Weg bestätigt. Die Frage ist, ob ihnen die nationale Dominanz für ihr Mia-san-mia-Selbstverständnis auf Dauer reicht. Vielleicht sollte Rummenigge sich beizeiten mit den Herren Müller und Hummels zusammensetzen, auch ohne Hut. Ein wenig Kontroverse kann fruchtbar sein. Hummels jedenfalls brachte es auf den Punkt: "Es bringt uns nichts, wenn wir einen geilen Fight geliefert haben. Wenn du am Ende den Titel holen willst, dann musst du die ganz großen Chancen eben nutzen." Sonst reicht es halt nicht.
Quelle: ntv.de