Nächste Eskalation droht schon Fenerbahçe stürzt türkischen Fußball ins bodenlose Chaos
08.04.2024, 18:45 Uhr
Die Spieler von Fenerbahçe verlassen das Feld noch in der ersten Minute.
(Foto: dpa)
Das Finale um den türkischen Supercup dauert nicht einmal eine Minute. Dass die junge Mannschaft von Fenerbahçe dann vom Feld geht, erschüttert die türkische Fußballwelt. Man habe für die "Wahrheit" einstehen wollen, begründet der Verein die Entscheidung.
Nach dem Abbruch des Finales im Supercup durch den Istanbuler Klub Fenerbahçe müssen sowohl der Verein als auch der türkische Fußballverband (TFF) viel Kritik einstecken. Das Spiel zwischen den Ortsrivalen Galatasaray und Fenerbahçe war mit einem Eklat frühzeitig zu Ende gegangen. 50 Sekunden nach dem Anpfiff erzielte Mauro Icardi das 1:0 für Meister Galatasaray. Als der Schiedsrichter die Partie wieder anpfeifen wollte, verließen die U19-Spieler, die Pokalsieger Fenerbahçe für die Begegnung aufgeboten hatte, geschlossen den Platz.
Der Vorfall werde als "Kapitel der Schande" in die Geschichte des türkischen Fußballs eingehen, schrieb "Spor Arena". Der Abbruch sei unfair gegenüber den Spielern beider Mannschaften. "Wir betonen, dass wir nicht auf das Spielfeld gegangen sind, um zu gewinnen, sondern um die Wahrheit zu verteidigen, und an diesem historischen Tag für den türkischen Fußball möchten wir unsere Haltung hervorheben", teilte Fenerbahçe mit. Man werde sich weiter "gegen Gesetzlosigkeit und Ungerechtigkeit stark machen". Der Klub sieht sich seit Jahren einer ungerechten Behandlung ausgesetzt. Die TFF habe etwa den Antrag abgewiesen, das nun boykottierte Spiel zu verschieben und einen ausländischen Schiedsrichter einzusetzen.
Ursprünglich hatte die Partie Ende Dezember vergangenen Jahres in Saudi-Arabien stattfinden sollen. Der neue Termin traf bei Fenerbahçe auf wenig Gegenliebe. Vizepräsident Erol Bilecik hatte vor dem Supercup schon deutlich gemacht, dass sich die Profi-Mannschaft auf das Viertelfinale in der Europa Conference League am Donnerstag bei Olympiakos Piräus vorbereiten und stattdessen die U19 spielen werde. Laut dem Sender NTV hatte er auch angedeutet, dass die Partie nicht 90 Minuten dauern werde.
"Eskalation in der Türkei"
Mit der Protestaktion erhöhte der Klub im Streit mit dem TFF den Druck gewaltig - und sorgte für weltweite Negativschlagzeilen. Die "Marca" schrieb von einer "Eskalation in der Türkei" und "surrealen Bildern". Die "Daily Mail" berichtete von "bizarren Szenen", und auch in Italien war in der "Gazzetta dello Sport" von "Chaos" und einer "sensationellen Geste" die Rede. Im Vorfeld hatte Fener-Präsident Ali Koc gesagt: "Es ist an der Zeit, dass die Uhren im türkischen Fußball zurückgestellt werden". Koc prangert an, dass es seit Jahren ein "okkultes Netzwerk im türkischen Fußball" gebe, das "über die Schiedsrichter den Verlauf der Meisterschaft bestimmt". Dass der Klub nun auf diesem Wege protestiert, zeigt, wie verfahren die Lage im türkischen Fußball ist.
"Spor Arena" warf dem türkischen Verband vor, er lege die Saison in "Trümmer". Die Zeitung "Sabah" schrieb, nicht nur die Spieler, sondern auch den Verband und die Presse treffe Schuld an der "schwarzen Nacht" für den türkischen Fußball. Es war der nächste Tiefpunkt in der Auseinandersetzung zwischen Fenerbahçe und dem Verband. Der Klub zog nach den Fan-Attacken beim Spiel gegen Trabzonspor auch schon einen Austritt aus der türkischen Süper Lig in Betracht. Eine Entscheidung darüber soll nach einer Generalversammlung des Vereins getroffen werden. Trabzonspor-Anhänger hatten bei einem Spiel Mitte März nach dem 2:3 gegen Fenerbahçe den Platz gestürmt und Spieler und Trainer des Gegners angegriffen.
Auch sonst herrscht massive Unruhe im türkischen Fußball: Im Dezember brach Ankaragücü-Präsident Faruk Koca einem Schiedsrichter mit einem Faustschlag das Jochbein, daraufhin wurde der Betrieb in der Süper Lig ausgesetzt. Knapp eine Woche später sorgte der Präsident von Istanbulspor wegen einer vermeintlichen Fehlentscheidung für einen Spielabbruch. Ob die letzten sieben Spieltage der Süper Lig also ohne Zwischenfälle verlaufen, ist hinsichtlich der Entwicklungen und Ereignisse in den vergangenen Monaten eher fraglich. Gewinner kann es dabei kaum geben. Den Supercup wird wohl Gala am Grünen Tisch zugesprochen bekommen.
Quelle: ntv.de, tno/dpa/sid