Fußball

Revolutionäre Regel-Änderungen? Fifa-Boss Blatter blendet nur

Seit den Fehlentscheidungen bei der WM hoffen viele Fans auf technische Hilfsmittel für die Referees. Und Fifa-Boss Blatter? Er schwadroniert über vermeintlich revolutionäre Regelideen. Eine Taktik, die Bayern-Coach van Gaal empört: "So ist seine Strategie. Nur Fair Play ist es nicht."

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Begnadeter Propagandist: Fifa-Boss Joseph S. Blatter

(Foto: AP)

Wenn es nach Joseph S. Blatter ginge - und ihn nächste Woche noch kümmern würde, was er in dieser Woche erzählt hat, - könnte die Zeit des Unentschiedens bei Weltmeisterschaften bald vorbei sein. Der Präsident des Fußball-Weltverbandes Fifa träumt angeblich davon, dass es in den künftigen WM-Vorrunden nur noch Sieger und Verlierer gibt. Bei Gleichstand nach der regulären Spielzeit soll ein Elfmeterschießen entscheiden.

Enthüllt hat Blatter seinen revolutionären Plan im "Focus", dem Nachrichtenmagazin sagte er: "Wir überlegen, das Unentschieden in der Vorrunde abzuschaffen - und die Verlängerung auch." Der Fifa-Boss führte weiter aus: "Wenn es nach 90 Minuten keinen Sieger gibt, geht es gleich zum Elfmeterschießen. Auch das Golden Goal, das es bis 2002 gab, könnte man wieder einführen. Das erste Tor bestimmt den Sieger, beide Mannschaften müssen stürmen." Blatter verspricht sich von dem Vorstoß spannendere Vorrunden-Spiele, als es bisher der Fall sei: "Die Mannschaften starten in die Vorrunde, und in erster Linie wollen sie nicht verlieren - und dann gibt es ein langweiliges Spiel."

Was Blatter nicht sagte: Wenn er von wir spricht, meint er strenggenommen sich selbst. Denn schon vor sechs Jahren hatte er ähnliche Pläne vorgelegt und war damit auf breiten Widerstand gestoßen. Die aus Blatter-Sicht äußerst erfolgreiche WM in Südafrika und das Niederschlagen einer drohenden Palastrevolution verleiten den Schweizer nun dazu, über einen erneuten Vorstoß zu fabulieren. Vielleicht treiben ihn aber auch andere Motive.

Erzkonservative Regelhüter

Denn das auf diese Weise generierte Rauschen im Medienwald kommt dem Fifa-Boss keineswegs ungelegen. Die Diskussion der von der Deutschen Presse-Agentur gar zu "Denkmodellen" erhobenen, tatsächlich aber nur aufgewärmten Ideen lenkt den Blick von jenen Problemen im Weltfußball, die Blatter aussitzen möchte - ärgerliche Korruptionsskandale etwa oder eben die schwachen Schiedsrichterleistungen in Südafrika. Zwar hatte Blatter, als die weltweite Empörung über das "Phantom-Tor von Bloemfontein" und Argentiniens Abseitstreffer selbst von der Fifa nicht mehr ignoriert werden konnte, zeitnah grundlegende Reformen angekündigt. Doch noch während der WM wurde diese Ankündigung von Blatter selbst als Beruhigungsmittel für die Öffentlichkeit enttarnt, plötzlich hieß es: Die IFAB-Sitzung im Juli kommt zu früh, erst im Herbst werde über technische Hilfen gesprochen.

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Das "Phantom-Tor von Bloemfontein": Frank Lampards Schuss war eindeutig drin, zählte aber trotzdem nicht. Blatter tat das später leid.

(Foto: dpa)

Mangelnde Vorbereitungszeit der Fußball-Regelhüter auf das Thema kann nicht der Grund für die wenig überraschende Vertagung auf irgendwann gewesen sein. Das IFAB ist seit Jahren mit diesem Thema befasst und findet seit Jahren immer neue Gründe, um die Einführung von Torkamera, Chip im Ball oder Videobeweis herauszuzögern. Oder um, wie im März dieses Jahres geschehen, "der Technik die Tür endgültig zu verschließen". Besonders gern werden die leidenschaftlichen Fan-Debatten durch Wembley-Tore, die Menschlichkeit des Spiels durch Fehlentscheidungen und die Störung des Spielflusses durch den Technikeinsatz angeführt. Blatters Rolle in diesem immergleichen Spiel ist es, bei krassen Fehlern öffentlich Besserung zu geloben und sich von Zeit zu Zeit reumütig zu entschuldigen. Tatsächlich für Besserung zu sorgen gehört nicht zum Aufgabengebiet des Fifa-Patrons.

Ungenierte Doppelmoral

Getreu dieser Doppelmoral redete Blatter in dieser Woche wieder einmal öffentlich darüber, im Herbst über Torkameras reden zu wollen. Ein Ansinnen, das er nun im "Focus" noch einmal bekräftigte indem er ankündigte: "Sobald wir eine sichere unkomplizierte und schnelle Tor-Anzeige haben, werden wir die Goal-Line-Technology sofort einsetzen." Doch was nach einer zeitnahen Implementierung geeigneter Technik klingt, empfindet Paul Hawkins als Rufschädigung.

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Das "Hawk-Eye" ist im Tennis nicht unumstritten, aber fest etabliert.

(Foto: ASSOCIATED PRESS)

Hawkins ist der Erfinder der "Hawk Eye"-Technologie, die im Tennis und Cricket schon seit Jahren bei strittigen Entscheidungen zum Einsatz kommt und auch im Fußball bereits bei mehreren Turnieren getestet wurde. Erfolgreich, wie Hawkins im Gegensatz zu Blatter und trotz des Teststopps durch das IFAB im März 2008  immer wieder betont. Auch in jenem offenen Brief, den er Blatter im September 2009 geschrieben hat. Damals forderte er den Fifa-Boss auf: "Wenn Sie der Meinung sind, dass die Torlinien-Technologie dem Fußball schadet, dann begründen Sie ihre Ablehnung auch so anstatt die Technikentwickler zum Sündenbock zu machen und damit deren Ansehen zu beschädigen."

Was Hawkins besonders ärgert, sind die seiner Meinung nach gezielten Fehlinformationen, die Blatter wider besseres Wissen immer wieder über das "Hawk-Eye" und ähnliche Technologien verbreitet, um diese zu diskreditieren. Lediglich 0,5 Sekunden dauere es beim "Hawk-Eye", um die Information Tor/kein Tor an den Schiedsrichter zu übermitteln. Das "Phantom-Tor" der Engländer wäre mit seiner Technik zweifelsfrei als regulärer Treffer erkannt worden. Auch beim von der Cairos AG entwickelten Chip im Ball sei der Referee binnen Sekundenbruchteilen im Bilde, erklärte Mitentwickler Walter Englert gegenüber n-tv.de. Mit Blick auf den Technikverzicht der Fifa spricht er von einer Fehlentscheidung. Blatter hingegen spricht von fünf Sekunden Verzögerung beim "Hawk-Eye" bis zur Entscheidungsfindung und damit von der Notwendigkeit einer Spielunterberechung beim Einsatz dieser Technik. Eine falsche, aber bequeme Argumentation: Weil der Spielfluss heilig ist, kann Blatter die vorhandene Torlinien-Technologie ungeniert ablehnen.

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Louis van Gaal hat Blatters Hinhaltetaktik satt.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Hawkins ist keineswegs der Einzige, dem Blatters ungenierte Doppelmoral in Sachen Technik die Zornesröte ins Gesicht treibt. Zu Wochenbeginn platzte auch Bayern-Trainer Louis van Gaal der Kragen. Er monierte, dass die bei der WM ins Rollen gekommene Debatte um technische Neuerungen einfach nicht vorankommt und nahm dabei kein Blatt vor den Mund: "Es ist unglaublich. Blatter hat bei der WM gesagt, das Thema müsse auf den Tisch. Jetzt ist es wieder weg. So ist seine Strategie. Nur Fair Play ist es nicht."

Kurz darauf hat Blatter, wie es der Zufall will, die bereits erwähnte Diskussion der Regelhüter vom IFAB über die Torlinien-Technik angekündigt. Van Gaal überzeugt das nicht. Der Niederländer hat das Vertrauen in die intransparente "Kommission der alten Herren" verloren. Er hat allen Grund dazu.

Quelle: ntv.de, mit sid

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