Fußball

Fans fühlen sich gegängelt Fußball steht vor Zerreißprobe

Nicht einverstanden: Bremer Fans zu Besuch bei Eintracht Frankfurt.

Nicht einverstanden: Bremer Fans zu Besuch bei Eintracht Frankfurt.

(Foto: dapd)

Wenn die 36 deutschen Profiklubs heute in einem Frankfurter Nobelhotel über das neue Sicherheitskonzept abstimmen, geht es auch um die Zukunft des Fußballs. Die Verantwortlichen müssen sich fragen, wie sie mit den Fans umgehen wollen.

Wie wichtig die Fans für den Fußball in Deutschland sind, haben sie in den vergangenen Wochen eindrucksvoll gezeigt. Bei den Spielen der ersten und zweiten Liga schwiegen sie zu Beginn jeder Partie, zwölf Minuten und zwölf Sekunden lang. Und erzeugten so eine gespenstische Stimmung in den Stadien. Ihr Protest und Fan-Demonstrationen in mehreren Großstädten am Wochenende unter dem Motto "12:12 - Ohne Stimme keine Stimmung" richtet sich gegen das neue Sicherheitskonzept, über das Vertreter der 36 Profiklubs heute in Frankfurt am Main beraten und abstimmen sollen. Für Reinhard Rauball, den Präsidenten der Deutschen Fußball Liga ist das eine Zerreißprobe: "Der Ligaverband steht vor einer Weggabelung."

Die strittigen Punkte im Detail

EINLASSKONTROLLEN: Die DFL will die Kontrollen rund um die Stadien verbessern. Viele Fans sehen in dem Antrag Nummer acht des Konzepts jedoch einen Türöffner für Ganzkörperkontrollen. Bereits vor dem Bundesligaspiel zwischen Bayern München und Eintracht Frankfurt am 10. November hatte die Polizei Zelte aufgestellt, um Vollkontrollen durchzuführen. Die DFL betont jedoch immer wieder, einen derartigen Passus nicht in die Statuten aufnehmen zu wollen. Zudem fordert die DFL, dass "Gegenstände, die dazu bestimmt sind, die Feststellung der Identität einer Person zu verhindern", von den Ordnern konfisziert werden. Die Anhänger fürchten um ihre Utensilien wie Schals oder Mützen.

RISIKOSPIELE: "Die Festlegung, dass ein Spiel mit erhöhtem Risiko gegeben ist, obliegt in erster Linie dem Heimverein", schreibt die DFL in Antrag elf. Zudem ist die DFB-Zentralverwaltung berechtigt, "aufgrund eigener Erkenntnisse ein Spiel als Spiel mit erhöhtem Risiko einzustufen". Die Fans fürchten Willkür bei der Festlegung von Risikospielen - und damit ein verringertes Ticketkontingent für den Gastverein oder verschärfte Einlasskontrollen.

SANKTIONEN: Die Fans befürchten - trotz aller Bekenntnisse der DFL - weiterhin Kollektivstrafen für das Fehlverhalten Einzelner. Antrag 14 sieht zwar vor, dass dem Gastverein zehn Prozent der Tickets zustehen, jedoch "vorbehaltlich einer anderslautenden rechtskräftigen Entscheidung eines DFB-Rechtsorgans oder einer anderslautenden Festlegung des Heimvereins bei Spielen mit erhöhtem Risiko".

ÜBERWACHUNGSANLAGEN: Laut der Anträge drei und vier muss in jedem Stadion ein Kontrollraum für die Sicherheits- und Ordnungskräfte vorhanden sein. Er muss mit einer Videoanlage zur Überwachung der Zuschauerbereiche ausgestattet sein. "Die Befehlsstelle der Polizei ist mit einer Vorrangschaltung für Videoüberwachung auszustatten", heißt es in dem Papier. Die Kosten, so die Gegenargumente, seien vor allem für kleine Vereine kaum zu stemmen. Die Kluft zwischen finanzschwachen und reichen Klubs könne noch größer werden.

Und so drängen die Liga und der Deutsche Fußball-Bund darauf, dass die Vereine den 16 Anträgen zu Einlasskontrollen, Schulung von Sicherheitskräften, Kollektivstrafen oder Videoüberwachung ihr Placet geben. Für die meisten Anträge reicht eine einfache Mehrheit. Nur Anträge, die die Lizensierungsordnung betreffen, benötigen eine Zweidrittelmehrheit. Liga und Verband stehen unter Druck, die Politik hatte im Sommer nach den Ausschreitungen beim DFB-Pokalspiel Borussia Dortmund gegen Dynamo Dresden sowie bei den Relegationsspielen Fortuna Düsseldorf gegen Hertha BSC und Karlsruher SC gegen Jahn Regensburg gefordert, dass die Klubs für mehr Sicherheit in ihren Stadien sorgen. Bundesinnenminister Hans Peter-Friedrich hatte sogar davon gesprochen, alle Stehplätze in deutschen Stadien abschaffen zu wollen.

Eine leere Drohung? Zumindest berichtet das jetzt der "Spiegel". Einen Tag vor der Abstimmung über das Sicherheitskonzept habe die Bundesregierung auf Anfrage des Linken-Abgeordneten Jan Korte einräumen müssen, "für den Rückbau von Stehplätzen seien (…) allein die Länder zuständig". Wie das Magazin berichtet, bedeute das nach Ansicht Kortes: Die Bundesregierung könne Stehplätze allgemein gar nicht verbieten.

Jedes Volksfest ist gefährlicher

Aber nicht nur diese Forderung der Politik ist es, gegen die sich die Proteste richten. Fan-Organisationen wie "Pro Fans" und "Unsere Kurve" argumentieren, dass das Sicherheitskonzept in die falsche Richtung geht, auch wenn es in Teilen modifiziert wurde und die Klubs nun nicht mehr über ein Paket abstimmen, sondern über jeden Antrag einzeln. Immer noch aber liest sich der Katalog, als müssten die Verantwortlichen gegen eine terroristische Organisation vorgehen und nicht gegen Freunde des Fußballs.

Die kritisieren vor allem die Zahlen der Polizei, die einen Anstieg der Gewalt suggerierten, der so nicht stattgefunden habe. In der Tat lassen sich die Statistiken der Zentrale Informationsstelle Sporteinsätze auch als Erfolgsmeldung lesen: Die Informationsstelle berichtet, dass sich 18,7 Millionen Zuschauer in der vergangenen Saison die 612 Spiele der beiden deutschen Profiligen im Stadion angesehen haben. Wer die Zahl der 1142 Verletzten dazu ins Verhältnis setzt, kommt auf 0,006 Prozent. Gemessen daran ist jedes Volksfest gefährlicher als ein Stadionbesuch. Außerdem fühlen sich die Fans nicht ernsthaft in die Diskussion eingebunden, Liga und Verband würden unter dem Diktat der Politik eine Eile an den Tag legen, die nicht geboten sei. Die Vereine hätten zu wenig Zeit gehabt, mit den Anhängern über das neue Konzept zu reden.

Vor der Sitzung hatte Zweitligist FC St. Pauli mit Ablehnung des Konzepts gedroht und einen neuen Termin gefordert. Die Mitglieder des Liga-Konkurrenten 1. FC Köln votierten ebenfalls dagegen. Den Zeitdruck kritisierten auch der Hamburger SV und der VfB Stuttgart. Andreas Rettig, designierte Geschäftsführer der DFL, räumte jedenfalls im ZDF ein: "Wir haben es versäumt, vielleicht alle mitzunehmen." Ein Problem dabei sei die Heterogenität der Anhänger. "Diese bunte Vielfalt, die wir ja ausdrücklich wollen in den Stadien, erschwert natürlich auch die Kommunikation", sagte er. Dennoch sei der Eindruck, die Liga habe ein Konzept auf den Weg gebracht, ohne mit den Fans zu reden, falsch.

Letztlich aber geht es um die Fans - von denen mehr als 99 Prozent nachweisbar friedlich sind. Sie verstehen sich eben nicht nur als zahlende Kundschaft, sondern als Teil des Ganzen, als fundamentaler Bestandteil des Spiels. Und als solcher wollen sie ernst genommen und nicht gegängelt werden. Spätestens nach ihrem Schweigeprotest dürften auch die letzten Klubverantwortlichen erkannt haben, dass ihr gesamtes Geschäftsmodell ohne Fans nicht funktioniert. Wer zahlt schon Tausende Euro für eine Loge in der Arena, wenn die Menschen in der Kurve keine Stimmung machen?

Quelle: ntv.de, mit dpa und sid

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