Lehren aus dem 28. Spieltag Guardiola trauert, Stinkefinger-Zeit bricht an
31.03.2014, 12:24 Uhr
Vielleicht liegt es auch einfach am Frühling und an den Hormonen, dass es in der Fußball-Bundesliga derzeit etwas, nun ja, beherzter zugeht.
(Foto: imago sportfotodienst)
Stinkefinger und Ausraster: Der Abstiegskampf holt das Schlechteste aus der Fußball-Bundesliga hervor, bringt aber auch hochklassige Momente. Bayerns Josep Guardiola verliert seinen Liebling. BVB-Trainer Jürgen Klopp bremst auch für Schiris.
1. Die Bayern sind ein "weak team"
Das sagte zumindest Josep Guardiola nach dem 3:3 gegen Hoffenheim. Nun ist nicht immer ganz klar, was der spanische Meistertrainer sagen will, zumal wenn er noch Englisch in sein gebrochenes Deutsch mischt. Aber es ging gerade um seinen Lieblingsspieler Thiago, der bis Saisonende ausfallen wird. Diagnose: Teilriss des Innenbandes. "Es ist schwer für ihn, aber auch für uns", sagte Guardiola sichtlich traurig. Auf den ersten Blick hat der Spanier nur ein Luxusproblem, die Frage, wer ihn ersetzen kann, führt zu vielen möglichen Antworten. Toni Kroos saß gegen Hoffenheim zum Beispiel auf der Tribüne, Bastian Schweinsteiger wäre zu nennen, Javi Martinez.
Allerdings gab es da vor dieser Saison diesen einen Satz, der nun eine andere Bedeutung bekommen könnte: "Thiago oder nix", postulierte Josep Guardiola. Damals waren mit diesen Worten seine Transferabsichten umrissen, heute klingt es wie ein unheilvolles Omen für die nächsten Wochen. Können die Bayern auch ohne das spanische Passwunder ihren Ballbesitzfußball aufziehen? Am Samstag zumindest klappte es zunächst auch ohne Thiago, als der vom Platz humpelte, stand es 0:1, eine Viertelstunde später 3:1 für die Bayern. Wie schon Mainz zeigte Hoffenheim aber, dass permanenter Druck auf den ballführenden Mann gegen die Bayern zum Erfolg führen kann. Um sich aus dem Pressing zu befreien, braucht es ball- und passsichere Spieler, wie Thiago eben. Ohne ihn sind die Bayern zwar sicher kein "weak team", keine schwache Mannschaft - aber eine schwächere Mannschaft.
2. Der Abstiegskampf ist schön
Klar, so ein Tor in allerletzter Minute, das hat immer was. Aber ein Siegtreffer? Bei einem direkten Konkurrenten im Abstiegskampf? Auswärts? Kurz vor Saisonende? Sebastian Prödl kriegte sich gar nicht mehr ein: "Dieses Gefühl werde ich nie vergessen. Es ist unglaublich", sagte der Bremer Verteidiger, kurz nachdem er seinen Verein in Hannover wahrscheinlich aus den gröbsten Sorgen geköpft hatte. Mit ausgebreiteten Armen stand Prödl Sekunden nach dem Tor vor dem Bremer Block, ein schöner Moment von vielen, den der Abstiegskampf an diesem 28. Spieltag lieferte - zumindest für die neutralen Fans. Da war das feine Tor von Braunschweigs Ken Reichel, der fast wie Marco van Basten bei der EM 1988 einen langen Ball volley ins Leverkusener Tor hämmerte. Da waren die Fackeln von Hamburgs Juwel Hakan Calhanoglu, die zwar kein Tor brachten, aber dem taumelnden HSV ein wenig Hoffnung einflößten. Da waren die wunderbar entschlossenen ersten 25 Minuten des VfB Stuttgart, der mit 2:0 gegen den Tabellenzweiten aus Dortmund führte. Und da war als Höhepunkt das rassige direkte Duell zwischen dem SC Freiburg und dem 1. FC Nürnberg. Zwei Elfmeter, eine gelb-rote Karte, und ein Traumtor zum entscheidenden 3:2 für die Breisgauer von Felix Klaus. Nur leider war das Spiel mit dem Abpfiff noch nicht vorbei …
3. Der Abstiegskampf ist dreckig
Gertjan Verbeek war Boxer und trägt den Schwarzen Gürtel. So gesehen muss man fast froh sein, dass der Nürnberger Trainer nur verbal ausrastete nach der Niederlage in Freiburg. Weil es so erstaunlich ist, was Verbeek da von sich gab, hier ein Auszug aus seiner Tirade bei "Sky": "Das war ein gutes Spiel, wo wir fast die ganze Zeit gegen zwölf Mann gespielt haben. Wenn man nicht besteht gegen diese Emotionen, die es hier gibt, und wenn man nicht geschützt wird, auch nicht durch den vierten Offiziellen, wenn man sieht, wie der Trainer [Christian Streich, Anm. d. Red.] mich beschimpft hat, das ist unverschämt, brutal, respektlos! Das habe ich noch nie mitgemacht. Ich gehe auch nicht zur Pressekonferenz und setze mich neben diesen Mann, das ist kein Kollege von mir, das ist brutal, das gibt's doch gar nicht! Das ist unverschämt, wie man hier empfangen wird! Wie ein Verrückter hat er agiert, bei jedem Mal, wenn etwas passiert ist. Man sieht auch, wie der Schiedsrichter da mitgeht. Wenn ein Spieler so schlecht spielt, dann spielt er nicht das nächste Mal. Das heißt: Er darf nicht mehr pfeifen. Das ist doch unglaublich, was er gemacht hat heute, das gibt's doch nicht!"
Nun kennen wir Christian Streich nicht gerade als Unschuld vom Ländle, aber ob Verbeek seinem Kollegen auch ohne die nervliche Belastung des Abstiegskampfes den verbalen Stinkefinger gezeigt hätte? Das Schiedsrichtergespann vermerkte zumindest kein unfaires Verhalten von Streich. Ganz anders in Leverkusen. Dort verwies Guido Winkmann Torsten Lieberknecht des Feldes, es war das dritte Mal in dieser Saison. Der Braunschweiger Trainer hatte gleich eine Verschwörungstheorie parat, er "kenne die Gründe", wollte aber lieber schweigen. "Und wenn ich eine Strafe kriege, entscheide ich, an welche soziale Zwecke das Geld geht, und nicht der DFB oder die DFL." Auf dem Rasen verlor einer die Nerven, der nicht einmal im Abstiegskampf steckt, aber mit seiner Mannschaft gerade so spielt: Leverkusens Emir Spahic zeigte Braunschweiger Spielern den Stinkefinger, und zwar so richtig, mit dem ausgestreckten Mittelfinger der rechten Hand. Wenigsten entschuldigte er sich später dafür.
4. Auch Schiedsrichter können ausgewechselt werden
Nicht wegen schlechter Leistung, Herr Verbeek, so weit ist es noch nicht. Aber wegen einer Verletzung. Stuttgart gegen Dortmund, 73. Minute: Es steht 2:2 in einem hochbrisanten Duell, Schiedsrichter Michael Weiner hat vor fünf Minuten den Stuttgarter Georg Niedermeier vom Platz geschickt und Elfmeter für die Borussia gepfiffen, da streckt es ihn plötzlich nieder. Ein ungeschickter Ausfallschritt, und der Referee humpelt raus. Wadenprobleme, vermuten die Teamärzte vom VfB zunächst und legen ein Tape an, Schiedsrichterassistent Norbert Grudzinski übernimmt das Spiel. Später stellt sich die Verletzung als Achillessehnenriss heraus, und zum Schaden gesellt sich Spott: "Ich weiß nicht, ob es gut ist, wenn man an der Wade rumdrückt, wenn die Achillessehne ab ist", sagte BVB-Trainer Jürgen Klopp, der bekanntlich nicht dem "Freundeskreis der Schiedsrichter in der Fußball-Bundesliga e.V." vorsteht. Immerhin zeigte er sich während der Partie offenbar hilfsbereit: "Ich habe ihm gesagt, er kann sich in aller Ruhe hinsetzen und muss nur noch ab und zu die Tafel hochhalten – aber das hätten wir zur Not auch noch für ihn gemacht."
5. Manchmal ist der Verteidiger der Feind des Torwarts
Torwärte gelten für gewöhnlich als kauzige Zeitgenossen. Nicht selten erwecken sie den Eindruck, als betrachteten sie nicht nur die andere Mannschaft, sondern auch die eigene als Gegner. Gerade vor einer Woche ließ Stuttgarts Keeper Sven Ulreich nur nach beherztem Einschreiten vom Hals seines Abwehrmanns Georg Niedermeier ab. Augsburgs Linksverteidiger Matthias Ostrzolek nutzte in Mainz nun freudig die Gelegenheit, den Spieß mal umzudrehen. Einen Schussversuch von Eric Maxim Choupo-Moting lenkte er gefährlich in Richtung eigenes Tor - doch Keeper Marwin Hitz reagierte brillant und lenkte den Ball an den Innenpfosten, von wo er wieder vor den Ausgsburger Kasten trudelte. Die zweite Chance ließ sich Ostrzolek nicht entgehen, er zimmerte die Kugel zielsicher ins Gesicht von Hitz. Ball im Tor, Keeper bewusstlos am Boden. Das Eigentor bekommt übrigens Hitz angeschrieben.
6. Joachim Löw kann sich auf Marco Reus freuen
Die Nerven von Bundestrainer Joachim Löw wurden in den vergangenen Monaten ja ungefähr so arg strapaziert wie die der HSV-Fans. Aber seit diesem Wochenende gibt es ein paar hoffnungsvolle Signale: Offenbar kann die DFB-Auswahl mit richtigen Stürmern nach Brasilien reisen. Miroslav Klose traf beim Sieg von Lazio Rom, und Mario Gomez visiert sein Comeback für den Mai an. Zudem twitterte Real Madrid am Sonntag ein Bild von Sami Khedira, der schon wieder mit dem Ball trainiert. So richtig Freude wird Löw aber der Auftritt von Marco Reus in Stuttgart gemacht haben. Der BVB-Außenstürmer kämpfte fast die gesamte Saison über mit Verletzungen und Formschwäche, doch jetzt zeigt er sich in einer Verfassung, in der er bei der WM den Unterschied machen könnte. Ein unwiderstehlicher Antritt, sieben Torschüsse, drei Tore. "Er ist unfassbar gut, generell und vor dem Tor noch ein bisschen mehr", lobte Teamkollege Mats Hummels. Trainer Jürgen Klopp wird glücklich sein, er braucht im Champions-League-Duell gegen Real Madrid einen Ersatz für den gesperrten Robert Lewandowski, Marco Reus wäre als Falsche Neun eine Option. Klopp behält aber auch das große ganze Blick, er sagte nach dem Sahnetag von Reus: "Fußball-Deutschland kann sich freuen."
Quelle: ntv.de