Fußball

BVB-Boss Ricken schießt EigentorHans-Joachim Watzke steht trotz Krönung vor gewaltigem Scherbenhaufen

24.11.2025, 06:12 Uhr Stephan-UersfeldStephan Uersfeld
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Es war ein schwieriger Tag für den neuen BVB-Präsidenten Hans-Joachim Watzke. (Foto: IMAGO/Revierfoto)

Der mächtigste Mann des deutschen Fußballs legt sein Amt als Geschäftsführer des BVB nieder. Er will Präsident werden. Er hat keinen Gegenkandidaten. Ein Kinderspiel also? Mitnichten. Watzke entkommt bei der Wahl nur knapp der Katastrophe. Aber wieso?

Emotional angefasst, von Teilen der Mitglieder ausgebuht und am Ende mit nur etwas über 59 Prozent gewählt: Hans-Joachim Watzke ist neuer Präsident des Fußball-Bundesligisten Borussia Dortmund. Der mächtigste Mann im deutschen Fußball ist dabei haarscharf an einer Katastrophe vorbeigeschlittert. Im Vorfeld der Mitgliederversammlung in der Halle 3 der Westfalenhalle hatte der 66-Jährige ein Ergebnis von unter 70 Prozent als kaum akzeptabel bezeichnet. Die Wahl nahm er trotzdem an.

Der neue Präsident wurde von Pfiffen und Buhrufen und gleichermaßen von mildem Applaus auf das Podium begleitet. Watzke sagte: "Ich bedanke mich bei allen, die mir ihre Stimme gegeben haben. Ich drücke meinen Respekt auch denen aus, die mich nicht gewählt haben und nehme die Wahl an." Dann war er in dem Amt, das er als einen Lebenstraum bezeichnet hatte. In diesen ersten Momenten war ihm davon wenig anzumerken. Wie auch. Gerade so war eine Demütigung verhindert worden.

Wenig Beteiligung trotz hybrider Wahl

Bei der erstmals in einem hybriden Format ausgetragenen Abstimmung stimmten 2515 der in der Halle oder vor den Empfangsgeräten anwesenden Mitglieder in geheimer Wahl für den kurz zuvor aus dem Amt des Geschäftsführers der KGaA ausgeschiedenen Sauerländers, 1729 votierten gegen ihn und 232 enthielten sich ihrer Stimme. Dabei profitierte Watzke von dem neuen Format. In der Halle konnte er keine Mehrheit hinter sich vereinen, dort gab es 578 Stimmen gegen und nur 543 für ihn. Online sah das Bild mit 1967 Ja- zu 1156 Nein-Stimmen anders aus.

Auch die Wahlen für die zwei weiteren Präsidiumsmitglieder waren von dem vorherrschenden Misstrauen gegen die aufgrund der Dortmunder Satzung ohne andere Wahlmöglichkeit vorgeschlagenen Personen geprägt. In den geltenden Strukturen kann der Wahlausschuss des Vereins für jedes Amt nur genau eine Person vorschlagen. Von den 238.000 Mitgliedern hatte sich aber ohnehin nur ein Bruchteil für die richtungsweisende Wahl interessiert. Daran konnte auch das neue Format nichts ändern.

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Beim Einlass kam es zu technischen Problemen. Es bildeten sich lange Schlangen. Der Beginn der Versammlung verzögerte sich. (Foto: IMAGO/Revierfoto)

Die hybride Wahl hatte durch technische Probleme erst den Start der Veranstaltung um genau eine Stunde verschoben, dann die Tagesordnung durcheinandergeworfen und zu guter Letzt für quälend lange Abstimmungen gesorgt. Im Saal wurden die über zehnminütigen Unterbrechungen zwischen Abstimmung und Ergebnis mit Fahrstuhlmusik unterlegt. Es waren Fragmente von Dire Straits "Walk of Life" und The Cures "Friday I'm In Love". Die Musik ergab keinen Sinn.

Die Musik schleppte die Veranstaltung in den späteren Stunden jedoch von Tagesordnungspunkt zu Tagesordnungspunkt, war nervende Untermalung der angespannten Atmosphäre. Beinahe in Zeitlupe eskalierte die Veranstaltung von ihrem eigentlichen Beginn um 11 Uhr und ihrem tatsächlichen Start um 12 Uhr hin zur Verkündung des erschütternden Wahlergebnisses für den neuen Präsidenten um 18:40 Uhr. Die weiteren, für das Innenleben und die Zukunftsfähigkeit des sinn- und friedenssuchenden Vereins relevanten, Abstimmungen zogen sich bis in den Montag hinein.

Lars Ricken hält eine unglückliche Wahlrede

Entscheidenden Anteil an der Beinahe-Katastrophe für den Fußball-Bundesligisten dürfte dabei eine Rede des amtierenden Geschäftsführers Sport Lars Ricken gehabt haben. Der Dortmunder Champions-League-Held von 1997 sollte eigentlich über den Sport reden, hielt dabei jedoch eine kaum verschleierte Wahlrede, die sogar jenen im Saal zu viel wurde, die sich eindeutig auf der Seite von Watzke positioniert hatten.

Groteske Ausmaße nahm Rickens Rede an, als er die 16 Dortmunder Siege gegen den FC Bayern in Watzkes Amtszeit als einen besonderen Verdienst hervorhob. Das war seine Version von: "Bei aller Aufregung sollten wir nicht vergessen, dass Al Bundy 1966 vier Touchdowns in einem Spiel gemacht und den Polk High School Panthers damit zur Stadtmeisterschaft verholfen hat." Rickens Satz sorgte für Kopfschütteln. Er machte es im weiteren Verlauf nicht besser.

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Lars Ricken empfahl die Wahl von Watzke. (Foto: IMAGO/Revierfoto)

"Aki war hier 20 Jahre der Boss", sagte Ricken: "Er konnte brüllen und die Zähne fletschen." Er hoffe, dass die falschen Vorwürfe und Anschuldigungen, "die da im Raum stehen, mit dem heutigen Tag ein Ende haben" und wünschte sich für "unseren zukünftigen Präsidenten" den Sieg im DFB-Pokalendspiel im kommenden Mai. Da war Watzkes Wahl ungefähr so sicher wie die Dortmunder Defensive beim 3:3 gegen den VfB Stuttgart am Vortag abwehrbereit.

Die Rede von Ricken entgeisterte die ohnehin nicht vor großer Krönungseuphorie strotzende Versammlung. Als wenig später Watzke sein Amt als Geschäftsführer niederlegte und zu "Danke, Aki!", einer Würdigung seiner Laufbahn als BVB-Retter und Neuerfinder, vom Podium stieg, gab es wohlmeinenden Applaus in den vorderen Reihen. Weiter hinten hielt sich das Auditorium merklich zurück.

"Kampagne und Diffamierungen"

Spätestens zu diesem Zeitpunkt war klar, dass der in den vergangenen Monaten den Klub einnehmende Machtkampf seine Spuren hinterlassen hatte. Der Kampf war medial mit zahlreichen Indiskretionen aus dem Verein befeuert worden. So bemühten sich der bis zum Sonntag amtierende Präsident Reinhold Lunow und Watzke um ein Bild der Einigkeit. Glaubwürdig erschien dies nicht. Zu sehr hatten sich die unterschiedlichen Lager mit Dreck beworfen. Der Unmut der Mitglieder war in der Halle in beinahe jedem Moment spürbar. Trotzdem hielten sich die Wortmeldungen im Vorfeld der Wahl in überschaubaren Grenzen. Die Situation sprach für sich. Es benötigte keine großen Worte mehr. Alle Argumente lagen längst auf dem Tisch.

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Lunow und Watzke duellierten sich im Sommer 2025. (Foto: IMAGO/RHR-Foto)

Den Sommer über hatte dieser Kampf um die Dortmunder Zukunft den Verein eingenommen. Lunow wollte nicht auf das Amt verzichten, die Gremien im Verein aber auf Hans-Joachim Watzke setzen. Der durch seine zahlreichen Ämter bei DFL, DFB und UEFA mit einer im deutschen Fußball sonst ungekannten Machtfülle ausgestattete Sauerländer sollte der Präsident werden. Weil dieser Weg nun nicht mehr ohne Hindernisse zu bewältigen war, wurden diese zur Seite geräumt. Es war für den Verein ein Sommer voller "fragwürdiger Kampagnen" und "öffentlichen Diffamierungen", wie es Tobias Westerfellhaus, der Vorsitzende der BVB-Fanabteilung in seiner Rede am heutigen Sonntag formulierte.

Der Machtkampf im Sommer

Es würde an dieser Stelle Bücher füllen, die Inhalte des großen Streits um Borussia Dortmund zu benennen. Ihren Ursprung fanden sie in der Mitgliederversammlung 2024 und den Diskussionen um den Sponsoren-Deal mit dem Rüstungsunternehmen Rheinmetall. Damals hatten sich die Mitglieder gegen den Deal gestellt und Watzke darauf patzig reagiert. Etwas zerbrach im Verein, der sich mit der Verkündung der Kandidatur Lunows gleich in mehrere Lager spaltete. Befeuert wurde die Debatte von Medienberichten, die Lunow und sein Team scharf attackierten.

Überspitzt hieß es da: Bleibt Lunow Präsident, bringt er sein Team mit ins Amt, schaut der Verein schon bald wieder in eben jene Abgründe, aus denen sie Watzke vor 20 Jahren geführt hatte. Bald zog sich Lunow zurück und mit ihm sein Team. Mit Jakob Scholz, dem langjährigen Vorsitzenden der Fanabteilung, fand sich eine Person zwischen allen Stühlen wieder. Er sollte das Team Lunow im neuen Präsidium um Watzke vertreten. Die Gremien verweigerten ihm die Zustimmung. Er wurde nicht zur Wahl vorgeschlagen.

Ein Missbrauchsskandal aus den 1990ern-Jahren um einen ehemaligen Mitarbeiter des Vereins raubte Borussia Dortmund zudem immer mehr Luft. Die unzureichende Aufklärung dieses Skandals, in dessen Zentrum minderjährige Spieler und Fans des Klubs stehen, betraf dabei sowohl den Verein als auch die KGaA. "Es darf nicht darum gehen, Schaden von Borussia Dortmund abzuwenden", formulierte es der Scholz-Nachfolger Westerfellhaus in seiner Rede. Es gehe darum, den Opfern zur Seite zu stehen. Der Skandal "erfüllt uns mit Entsetzen und Bestürzen" sagte er.

In den Tagen vor der Wahl hatte eine aufsehenerregende Recherche des "Spiegel" und der Sportschau über das "System Watzke" für eine finale Zuspitzung gesorgt. Diese warf weitere Fragen auf und trieb weitere Keile in die Mitgliederschaft. Die Lobgesänge für Watzke in "Süddeutscher Zeitung" und "Kicker" fanden weniger Beachtung. Watzke war endgültig angezählt.

Watzkes Verdienste

Unbestritten blieben in all diesen Vorläufen und auch auf der Mitgliederversammlung die großen Erfolge von Watzke. Mit ihm als Geschäftsführer war die im Jahr 2005 mit der Auslöschung bedrohte Borussia Dortmund GmbH & Co. KGaA erst zu einem bedeutenden nationalen Player wiedererstarkt und spätestens ab der Saison 2012/2013 auch international zum zweiten deutschen Aushängeschild.

Während Jürgen Klopp mit seinem Gesicht für eben jenen sportlichen Aufschwung stand, hievte der BVB sich unter Watzke Stück für Stück auf ein neues wirtschaftliches Plateau. Im Geschäftsjahr 2005/2006 verzeichnete der BVB bei einem Umsatz von 89,1 Millionen Euro einen Verlust von 20,8 Millionen Euro. 2012/2013 erzielte der BVB bei einem Umsatz von 305 Millionen Euro einen Rekordgewinn von 53,3 Millionen Euro. Im abgelaufenen Geschäftsjahr erwirtschafte der BVB einen neuen Rekordumsatz von 526 Millionen Euro. Der Gewinn betrug dabei 6,5 Millionen Euro.

Auf diesem erreichten Plateau herrschte zwar unter ab 2015 hektisch wechselnden Trainern Stillstand. Dieser aber garantierte dem BVB konstante Einnahmen durch die jährliche Qualifikation für die Champions League. So wie der FC Bayern dem BVB enteilt war, so war der BVB zumindest finanziell dem Rest der Liga enteilt. In diesem Sommer feierte der BVB die zehnte Qualifikation für die Goldgrube Königsklasse hintereinander. Auch in Europa ist das nicht selbstverständlich. Immer wieder betonten die Protagonisten dieses Aufstiegs diesen Umstand auf der Versammlung.

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Der junge Watzke auf einer Pressekonferenz mit dem damaligen Präsidenten Reinhard Rauball nach der abgewendeten Insolvenz im Jahr 2005. (Foto: picture-alliance/ dpa/dpaweb)

Auf dem Weg nach oben war dem BVB jedoch die mächtigste Waffe eines jeden Erzählers abhandengekommen: Die Hoffnung auf eine andere, eine noch bessere Zukunft. Ein Stillstand, der nur durch zwei Siege im DFB-Pokal 2017 und 2021 unterbrochen wurde, der sich im Meisterfinale der Tränen gegen Mainz im Mai 2023 manifestierte und auch im Finale der Champions League gegen Real Madrid im folgenden Jahr auf höchstem Niveau nicht durchbrochen wurde.

Der Einzug in das Finale von Wembley war in gleichen Maßen dem Glück wie dem absoluten Willen geschuldet, die in der Saison 2023/2024 mäßigen Bundesliga-Leistungen vergessen zu machen. Im Finale verließ den BVB - wie schon 2013 im Finale gegen den FC Bayern - das Glück.

Watzkes gewaltige Aufgabe

Das war Watzke nun immerhin auf der sich auf über rund zehn Stunden streckenden Mitgliederversammlung hold. Die hybride Wahl rettete ihn vor der großen Katastrophe. Wenn aber diese Zusammenkunft der Borussia ein Bild zeichnete, dann war es jenes eines erschöpften Klubs, der sich nicht für einen Neustart entscheiden kann und der von der eigenen Geschichte der letzten 20 Jahre genug hat. "Was wäre denn sonst gewesen", fragte ein BVB-Mitglied beim Rausgehen. "Was wäre passiert, wenn Watzke nicht gewählt worden wäre?" Es war eine Frage, die niemand beantworten musste.

Der Präsident Hans-Joachim Watzke steht auch so vor einer gewaltigen Aufgabe: Er muss den gewaltigen Scherbenhaufen dieser Versammlung und der letzten Monate zusammenkehren. Er muss schon wieder seinen BVB retten. Er muss einen Verein einen, der auch durch das Handeln Watzkes gespalten wurde.

Quelle: ntv.de

Borussia DortmundHans-Joachim Watzke