20 Jahre nach dem Golfball-Wurf Kahn, blutüberströmt und schwer getroffen
12.04.2020, 10:24 Uhr
Oliver Kahn übergibt Uwe Kemmling die Tatwaffe,
(Foto: imago/Pressefoto Baumann)
Als der FC Bayern heute vor 20 Jahren zum Auswärtsspiel beim SC Freiburg antritt, ahnt noch niemand, dass in dieser Begegnung vor dem fairsten Publikum der Bundesliga blutige Ligageschichte geschrieben wird: Doch Oliver Kahn lässt sich von einem Golfball nicht aufhalten.
Es ist ein hitziges, enges Spiel am 12. April 2000, einem feuchten Mittwochabend. Levan Kobiashvili bringt den Sportclub früh in Führung, Carsten Jancker gleicht schnell aus. Es entwickelt sich ein enges, packendes Spiel, wie so oft in diesen Jahren zwischen dem eigentlich übermächtigen FC Bayern und dem kleinen SC Freiburg. Entschieden wird das Spiel kurz vor Schluss, in der 87. Minute verwandelt Mehmet Scholl einen Foulelfmeter zum 2:1-Sieg für den Rekordmeister. Danach knallen einem Menschen im Block hinter dem Tor von Oliver Kahn die Sicherungen durch.
"Das war kein Elfmeter", berichtet Freiburgs Rekordspieler Andreas Zeyer, damals 90 Minuten auf dem Platz, 20 Jahre später dem "Kicker" - und liegt damit eher falsch. Der SC Freiburg dagegen habe "vorher einen klaren Handelfmeter nicht bekommen. Wir haben uns benachteiligt gefühlt". Das habe die Emotionen "hochgekocht" - mit schmerzhaften Folgen für Kahn. Denn in der 90. Minuten fliegt ein Gegenstand in Richtung des Torwarts, der gerade für einen Abstoß bereit steht - und trifft den Torwart nahe der Schläfe.
Kahn geht erst zu Boden, bevor er mit Blut im Gesicht aus mit einer klaffenden Wunde aufspringt, ein paar Meter rennt und ein kleines Objekt vom Rasen aufhebt: Ein Golfball, aus hartem Kunststoff. Es ist ein gefährliches Wurfgeschoss. "Wenn er nur etwas tiefer getroffen wäre, am Auge, dann könnte er jetzt blind sein", ist Bayern-Trainer Ottmar Hitzfeld hinterher geschockt.
"Blanker Hass"
Der Nationaltorhüter selbst übersteht den Vorfall zunächst scheinbar unbeeindruckt: Weil der FC Bayern schon dreimal gewechselt hat, spielt er weiter - obwohl sich Stefan Effenberg schon das Torwarttrikot für die letzten Sekunden überstreifte. Nach einer kurzen Unterbrechung lässt Schiedsrichter Uwe Kemmling noch einige Sekunden weiter spielen - mit einem blutüberströmten Kahn im Tor, die Wunde wird schnell geklammert.
Doch auf dem Weg in die Kabine bricht es aus dem lädierten Torwart raus: Vollgepumpt mit Adrenalin rastet der 30-Jährige aus, beschimpft Freiburger Fans und Spieler, auch sein Chef Uli Hoeneß kann ihn erst nicht bändigen. "Der blanke Hass" habe Kahn gebrüllt, berichten Reporter. Erst als Hoeneß seinen Spieler beinahe in den Schwitzkasten nimmt, kann er ihn in die Kabine eskortieren, wo er genäht wird.
Um den Werfer ausfindig zu machen, setzte der SC Freiburg 500 Euro Belohnung für sachdienmliche Hinweise aus. Erfolgreich: Schon zwei Tage nach dem Spiel wird ein 16-jähriger Schüler überführt, den Golfball so folgenschwer auf Kahn geschleudert zu haben. Weil ihm das Gericht glaubt, dass er den Bayern-Torhüter nicht habe verletzen wollen, steht am Ende eines kurzen Prozesses das Urteil "fahrlässige Körperverletzung" und eine recht milde Strafe von 30 Stunden gemeinnütziger Arbeit. Der SC Freiburg muss 38.000 Euro bezahlen.
Freiburgs damaliger Trainer Volker Finke ist geschockt von dem blutigen Vorfall: "Es hat sich etwas verändert. Früher wurde hier auch schon mal der Gegner mit Beifall begrüßt", so Finke. Auch die übrigen Freiburger Fans, für die der Sportclub vor dem Spiel von der Uefa mit einem Fairplay-Preis ausgezeichnet wird, lassen den Eklat nicht unkommentiert: Im nächsten Heimspiel gegen Schalke hingen viele Transparente am Zaun. "Sorry Olli"' war darauf zu lesen. Oder: "Es tut uns leid." Freiburgs Manager Andreas Rettig sagt geknickt, er würde den Fairplay-Preis am liebsten zurück geben.
"Wir haben sie mit dem Sieg bestraft"
Und die Bayern? Stefan Effenberg gibt sich unmittelbar nach dem Spiel besonnen: "Schade, dass dies hier passiert ist. Man darf nicht den Fehler machen, zu sagen, alle Freiburger Fans sind so. Das war mit Sicherheit nur eine bestimmte Gruppe, die da drinsteht. Wir haben sie mit unserem Sieg bestraft." Uli Hoeneß entlässt die Freiburger aus der Haftung, denn "sie können nichts dafür, wenn ein Verrückter sowas macht." Verteidiger Markus Babbel ist einfach froh, "dass der Olli einen solchen Dickschädel hat, dass da nicht mehr passiert ist." Siegtorschütze Mehmet Scholl flachst: "Ich habe ihm gesagt, jetzt hältst du nicht nur die Fußbälle, sondern auch die Golfbälle."
Auch Kahn selbst nimmt den Kopftreffer bald mit Humor: Als er vor dem nächsten Auswärtsspiel in Dortmund zu möglichen Konsequenzen aus dem Wurf befragt wird, antwortet der oft so knurrige Torhüter: "Ich muss mich erst erkundigen, wie viele Golfspieler unter den Zuschauern sind." Am Ende wird der FC Bayern an einem wundersamen 34. Spieltag dank eines Eigentores von Michael Ballack Deutscher Meister. Aber das ist eine Geschichte für den Mai.
Quelle: ntv.de