Er glänzt "nur" auf dem Platz Kane gibt sehr langweiliges Interview - und das ist gut so
15.01.2024, 11:16 Uhr
Was ein Spieler!
(Foto: picture alliance/dpa)
Mit Harry Kane hat der FC Bayern München im vergangenen Sommer einen Stürmer mit eingebauter Torgarantie verpflichtet. Der Kapitän der englischen Nationalmannschaft glänzt auf dem Platz und nimmt sich sonst zurück. Da fällt es leicht, ihm seine langweiligen Interviews zu verzeihen. Er ist eben ein Mensch.
Inmitten der ersten Pandemie-Saison 2020/2021 sorgte ein kurzer Videoclip auf Youtube für große Aufregung. Der Journalist Mark Ogden saß im November 2020 in seinem Arbeitszimmer. Der ESPN-Journalist war als Experte bei ESPNFC, dem TV- und Web-Format des amerikanischen Senders, geladen. Was dann passierte, wurde aufgezeichnet und sorgte in England für reichlich Wirbel. Ogden sollte über Harry Kane sprechen. Der hatte zuvor beim 2:1 seiner Spurs über Brighton einen Elfmeter verwandelt und sich damit in die Top-10-Torschützen der englischen Premier League geschossen.
In dem Gespräch mit Moderatorin Alexis Nunes lobte Ogden Kane erst und verlor dann den Faden. Das Interview brach ab und der Skandal begann. Nunes und Ogden witzelten über den langweiligen Torjäger der Tottenham Hotspur. "Soll ich es im Stile Harry Kanes führen?", fragte er und eine Stimme aus dem Off sagte: "Ja. Zieh das durch. Das macht ihn aus." Nunes freute sich: "Ja, seine Stimme, wirklich. Wer so spricht, zum Glück ist er Fußballer." Danach ging das Gespräch weiter, als ob nichts passiert wäre.
Dummerweise erschien nicht nur die Show, sondern auch der nicht öffentliche Teil später auf Youtube. Der Skandal war perfekt. Das Internet wütete, Ogden und Nunes ruderten zurück und entschuldigten sich auch im Namen des US-Senders für den Leak. Harry Kane traf weiter und weiter und weiter. Am Ende der Spielzeit 2022/2023 hatte er insgesamt 213 Treffer in der Premier League erzielt und sich auf Platz zwei der ewigen Torjägerliste hochgespielt. Dann verließ er England und ging nach München.
Auch dort kultiviert der Kapitän der englischen Nationalmannschaft seinen Ruf als Torjäger und als einer, der auf dem Platz glänzt und abseits dessen das unspektakuläre und wohl auch etwas langweilige Leben eines Früh-Dreißigers mit viel Geld führt. Er liebt seinen Urlaub in der Karibik, er mag den Golfplatz um die Ecke und über allem stehen seine Frau Katie und die vier gemeinsamen Kinder, die es nach Monaten der Trennung jetzt auch in die bayerische Landeshauptstadt gezogen hat. Sie wohnen im Haus des ehemaligen Bayern-Verteidigers Lucas Hernández.
Ist der Rekord jetzt wichtig?
Am Freitag nun sahen sie, wie Harry Kane sich alle Zeit der Welt nahm. Der Superstar wartete bis zu den letzten Sekunden der regulären Spielzeit. Dann vollendete er eine Vorlage von Leon Goretzka und erzielte mal wieder ein Tor. Es war das 3:0 für den Rekordmeister beim Re-Start gegen die TSG Hoffenheim und es war sein 22. Treffer der Bundesliga-Saison. Danach rannte er durch die Mixed Zone, um seine Familie zu sehen. Für Interviews hatte er keine Zeit.
Schon jetzt ist er mit seiner Torausbeute auf den Spuren von Robert Lewandowski, der es in der ersten Halbserie 2020/2021 unter den klinisch reinen Bedingungen der Corona-Saison ebenfalls auf 22 Tore brachte. Im Nachholspiel gegen Union Berlin am 24. Januar kann der Kapitän der englischen Nationalmannschaft somit einen neuen Liga-Rekord aufstellen und sich hernach auf die Jagd nach den 41 Toren des Polen aus eben jener Spielzeit machen.
"Wer auch immer vor dir im Verein Rekorde aufgestellt hat - natürlich versucht man, das Beste aus sich herauszuholen, seine eigenen Bestmarken zu setzen und diese Rekorde zu brechen", ließ Kane in einem am Montag im "Kicker" veröffentlichen Interview keine Zweifel daran, dass er diese Marke nun auch anpeilt. Obwohl er dann sogleich einschränkte: "Allerdings denke ich nicht über diese Themen nach. Ich möchte einfach nur spielen, über alles andere dürfen die Medien und die Fans reden. Robert hat völlig zu Recht einen extrem hohen Stellenwert hier, er hat die Messlatte hochgelegt." Der Rekord ist also "nice to have", aber dann auch wieder nicht. Weil Tore fallen, wenn Kane auf dem Platz steht und weil die anderen reden sollen.
Kane ist kein Lewandowski
Kane war im Sommer 2023 für über 100 Millionen Euro aus England zu Bayern München gewechselt. Der Rekordmeister hatte in Jahr eins nach Lewandowski in der Spielzeit 2022/2023 beinahe den Meistertitel verpasst. Auch, weil in den knappen Spielen vorne ein echter Torjäger gefehlt hatte. Der als Ersatz für den Polen zum FC Bayern gewechselte Sadio Mané feierte zwar anfangs noch gemeinsam mit den Fans auf dem Zaun, doch erwies sich schon bald als veritabler Flop. Nach nur einem Jahr zog der ehemalige Star des FC Liverpool weiter. Er spielt nun in der Fantasieliga in Saudi-Arabien.
Mit Harry Kane hat der FC Bayern München inzwischen wieder einen echten Torjäger und einen, der Robert Lewandowski abseits des Platzes in den Schatten stellt. Während sich der Pole in all den Jahren immer wieder um Anerkennung bemühte, sich nach der Liebe der Fans und noch viel mehr nach den großen individuellen Titeln sehnte und dabei doch unbeholfen wirkte, genügt es dem Engländer, Harry Kane zu sein. Wie sympathisch, wie erfrischend Langeweile sein kann.
"So ist das Leben"
Auch das nun im "Kicker" veröffentlichte Interview zahlt darauf ein. Es ist unspektakulär, von der Presseabteilung von allen eventuell zu rauen Stellen noch einmal befreit und verstärkt damit noch einmal das Bild des höflichen Mr. Kane, der alles für die Mannschaft tun würde, der keine Machtansprüche erhebt und der sich nicht ablenken lässt.
"Bei großen Transfers kommen manchmal Spieler, die unbedingt beeindrucken wollen und sich dabei vielleicht verletzen", sagt Kane: "Für mich ging es nur darum, gut zu trainieren und mich zu erholen. Die Regeneration ist für mich enorm wichtig, ich versuche, mich zu entspannen und ruhig zu bleiben - und nicht zu viel außerhalb des Trainings zu machen." Und holt an anderer Stelle aus. Er sagt: "So ist das Leben: Man hat einen Job, eine Familie, um die man sich kümmert, und so geht es weiter. Sobald sich das Wetter bessert, werde ich mir ein paar Golfplätze suchen und ein paar Löcher spielen, während die Kinder zur Schule gehen."
Das klingt alles in der Tat nicht sonderlich spektakulär. Harry Kane ist einer, der nur beeindrucken will, wenn er auf dem Platz steht. Auch wenn Harry Kane sehr langweilige Interviews, wie eben nun das im "Kicker" veröffentlichte und unter "unfassbar langweilig" abzuheftende, gibt, können die Bayern sich glücklich schätzen. Einen wie den Kapitän der englischen Nationalmannschaft gibt es sonst so nicht mehr im Welt-Fußball. Was zählt, ist auf dem Platz. Mark Ogden wird das mittlerweile auch wissen.
Quelle: ntv.de, sue