Borussia Dortmunds Fußballwunder Klopp, der Baumeister
02.03.2011, 11:24 UhrWo Jürgen Klopp hinkommt, hat er Erfolg. Ob mit dem FSV Mainz, als Fußball-TV-Experte oder jetzt bei Borussia Dortmund. Nicht erst nach dem Sieg beim FC Bayern spricht alles dafür, dass der BVB nach mageren Jahren wieder Meister wird. Es wäre der Lohn für Klopps Aufbauarbeit.

"Ich möchte sicher nicht in die Annalen eingehen als der Fußballtrainer, der zweimal den Fernsehpreis gewonnen hat, aber mit seinen Mannschaften leider nichts Bedeutendes": Jürgen Klopp.
(Foto: dpa)
Als alles verloren war, blieb Louis van Gaal nur noch die Gratulation an den Gegner. Der 3:1-Sieg des BVB bei keinesfalls schlechten Bayern, befand der Niederländer, war verdient. Glücklich sah er dabei nicht aus.
Die Abfuhr im eigenen Stadion muss den Niederländer an das Champions-League-Finale 2010 erinnert haben, als seine Bayern in Madrid gegen eine taktisch hervorragend eingestellte, enorm laufbereite und im Angriff eiskalte Mannschaft zwar viel Ballbesitz hatten, damit aber nicht viel anzustellen wussten und - auch wenn der Bayern-Mythos anderes behauptet - völlig zu Recht verloren. Nur diesmal war der Gegner nicht Inter Mailand und wurde von Weltmann Jose Mourinho betreut, sondern er war ein im Schnitt 22,8 Jahre junger BVB - und vor der Trainerbank stand Jürgen Klopp, 43 Jahre alt.
Er hat in München geschafft, was nicht vielen glückt: Er hat die Taktik des in der Selbstwahrnehmung besten Trainers der Liga nicht nur seziert, sondern neutralisiert. Obwohl van Gaal eine "Weltklasse-Offensive" (Klopp) zur Verfügung stand, hat ihm der BVB Grenzen aufgezeigt, wo nach rekordmeisterlichem Selbstverständnis keine sein dürften. Van Gaal lästert gern über Teams, die sich Erfolge ermauern und nicht erspielen und preist sich als Bewahrer des schönen Spiels. Diesmal unterlag sein Team einer Mannschaft, die beide Stilformen virtuos kombiniert.
"In uns tobt eine große Gier"
Wenn nun alle schreiben, mit dem Erfolg in München habe die Borussia aus Dortmund ihr Meisterstück gemacht, dann gilt das erst recht für Klopp persönlich. Seit zweieinhalb Jahren ist er Trainer in Dortmund. Er hat dem 2005 noch vor dem Kollaps stehenden Verein ein neues Image verpasst und ihn sportlich belebt. Der begeisternd Fußballverrückte aus Mainz im fußballverrückten Dortmund, das passte trotz kleinerer Rückschläge und leichter Zweifel am Kleinklubtrainer beim geschrumpften Großklub von Anfang an.
Zweifel an seinen Ambitionen hat Klopp nie gelassen. "In uns tobt eine große Gier, richtig was zu erreichen", hat er im Sommer 2008 bei seinem Dienstantritt gesagt. Im Spätherbst 2010 ließ er in der "Süddeutschen Zeitung" verlauten: "Ich möchte sicher nicht in die Annalen eingehen als der Fußballtrainer, der zweimal den Fernsehpreis gewonnen hat, aber mit seinen Mannschaften leider nichts Bedeutendes." Klopp ist sich bewusst, dass zwischen seinem Image und seinen Erfolgen eine Diskrepanz besteht. Noch.

Sieg in München: Mats Hummels, links, und Robert Lewandowski. Den in der Mitte kennen Sie ja.
(Foto: REUTERS)
Die Herzen der Menschen fliegen ihm trotzdem seit jeher zu, ob als leidenschaftlicher Trainer oder als eloquenter TV-Experte. Das war in Mainz so, wo 20.000 Menschen im Stadion bei Klopps Abschied Tränen in den Augen standen und ihm selbst auch. Das ist in Dortmund so, wo er nach nicht einmal drei Jahren schon ähnlichen Kultstatus genießt, bei Fans, Mannschaft und im Vorstand, leider auch bei den Werbetreibenden.
Ästhetisch anspruchsvoller Powerfußball
Nun strebt diese Liaison mit ästhetisch und taktisch anspruchsvollem Powerfußball auf ihre vorläufige Krönung zu, die siebte Dortmunder Meisterschaft. Wer die Dominanz des BVB erklären will, kann von einem Fußballwunder sprechen. Oder den Sieg bei den Bayern als Blaupause nehmen. Er war eine erneute Demonstration des Willens, der taktischen Reife und des spielerischen Vermögens dieser perfekt zusammen- und eingestellten, einsatzbereiten, lernbegierigen und leidenschaftlichen Elf voller selbstbewusster Frühreifer.
Dass dem abgemeldeten Thomas Müller als Dortmunder Stärken nach dem Spiel nur "gut zu stehen und kontern" einfiel, war ebenso einfallslos wie zuvor das bayrische Offensivspiel und die davor von Bayerns Chefetage produzierte heiße Luft. Im dritten Jahr hat Klopp seine Mannschaft so weit entwickelt, dass sie sein Ideal von "Erlebnisfußball mit viel Emotion, Leidenschaft und Willen" dank aggressivem Pressing, ballorientierter Verteidigung und schnellem Umschalten zwischen Abwehr und Angriff nahezu perfekt umsetzt. Romantikern lässt das moderne, offensiv-euphorische Spielsystem das Herz schneller schlagen, weil es die spielwütigen Dortmunder auf dem Platz wie elf Freunde zelebrieren, als echte Einheit. So lassen sie auch vergessen, dass mit Shinji Kagawa der torgefährlichste Borusse in der Rückrunde voraussichtlich gar nicht mehr mitmachen kann.
Quantensprung in Dortmund seit 2008
Den in München überragenden Nuri Sahin machte dieser Sieg "unheimlich stolz", weil der BVB in einem hochklassigen Spiel die dominantere zweier guter Mannschaften war. Die Entwicklung des Türken vom Talent zum Dreh- und Angelpunkt des Spiels unter Klopp steht sinnbildlich für den Quantensprung in Dortmund seit 2008. Denn außergewöhnlich begabt war der Mittelfeldspieler schon, als er 2005 als jüngster Spieler der Ligageschichte debütierte. Außergewöhnlich gut und das konstant hat ihn erst Klopp gemacht. Der 22-jährige Türke, gegen die Bayern bester Mann auf dem Platz, ist Klopps Meisterschüler.
Aber Sahin ist nur einer von vielen, die das System Klopp - ganz im Geiste Jürgen Klinsmanns - scheinbar jeden Tag ein bisschen besser macht. Klopp ist im Umgang mit seinem jungen Team meist herzlich, "Kloppo", der Kumpeltyp. Wenn nötig kann er aber auch mit Härte und Autorität auftreten. Cholerische Anfälle, wie sie Schiedsrichter oder späte Siegtore gelegentlich auslösen, sind auch vom Training überliefert. Klopp ist ein äußerst ehrgeiziger, akribischer, oft verbissener Arbeiter. Er verlangt Einsatz und Disziplin und schwört auf Videoanalysen, auch in Halbzeitpausen. Grundsätzlich sieht sich der Perfektionist Klopp dennoch als Menschenfreund. Das lebt er auch.
Triumph nachhaltiger Entwicklungsarbeit
Den Job als Fußballtrainer nennt Klopp seinen Traumberuf, und für den begeistert er auch andere. Seine große Stärke sei "die Kunst, die Spieler mit seiner leidenschaftlichen Sichtweise des Fußballs anzustecken", hat er der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" einmal gesagt. Sahin hat er damit zum notenbesten Spieler der Liga gemacht (vor vier Teamkollegen), die Talente Kevin Großkreutz, Marcel Schmelzer und Mats Hummels zu Jung-Nationalspielern.
Aus der hoffnungsvollen Zweckehe ist längst eine große Liebe geworden. Der Meistertitel wird die innigen Bande der bis 2014 vertraglich fixierten Zusammenarbeit nur festigen. In Dortmund lebt Klopp seinen Traum. Er hat den geschrumpften Riesen wieder größer gemacht und trainiert eine Mannschaft, die seine Ideen aufregend gut umsetzt und eine aufregend gute Perspektive über die Saison hinaus hat.
Als Dortmund 2002 den bisher letzten Meistertitel feierte, war es ein Triumph unseriöser Finanzpolitik. Wenn der BVB in diesem Jahr wieder die Schale gewinnt, wird es ein Triumph nachhaltiger Entwicklungsarbeit sein. Kein überraschender Sturz nach oben, wie er Stuttgart (2007) und Wolfsburg (2009) widerfuhr und gar nicht gut bekam, sondern lediglich überraschend früh. Unverdient kann der Titel gar nicht mehr werden. Das wird auch Louis van Gaal zugeben. Glücklich wird er dabei nicht aussehen.
Quelle: ntv.de