Cleverer Plan und Leidenschaft Kovač pusht, weint - und die SGE feiert
20.05.2018, 10:23 Uhr
Kovač gerührt: Die Fans der Eintracht feiern ihren scheidenden Trainer.
(Foto: imago/Nordphoto)
Die Frankfurter Eintracht ist DFB-Pokalsieger - weil sie mit Leidenschaft, Mut und ein ganz klein bisschen Glück in einem furiosen Finale den FC Bayern bezwingt. Der Sieg fußt aber auch auf einer cleveren Idee von Trainer Niko Kovač.
Als Erster, vor allen anderen, hatte Charly Körbel die Hand am Pokal. Jener Körbel, den die Fans der Sportgemeinde Eintracht Frankfurt in der Ostkurve des Berliner Olympiastadions schon vor dem Anpfiff gefeiert hatten. Sie hatten ein riesiges Plakat ausgerollt, auf dem der ehemalige Kapitän zu sehen war, wie er den DFB-Pokal in die Höhe stemmt. 1988 war das, die Frankfurter hatten seinerzeit im Finale den VfL Bochum mit 1:0 besiegt. Es war bis zu diesem Samstag der letzte Titel, den der Fußball-Bundesligist gewonnen hatte.
Doch nun, nach 30 langen Jahren, ist den Frankfurtern vor 74.322 Zuschauern das gelungen, was locker als große Überraschung, wenn nicht gar als kleine Sensation durchgeht. Sie haben, entgegen aller Vorhersagen und Wahrscheinlichkeiten, mit Leidenschaft, Mut und einer kleinen Portion Glück tatsächlich den FC Bayern nach zwei Toren von Ante Rebić in der elften und 82. Minute sowie dem Treffer von Mijat Gacinovic in der sechsten Minute der Nachspielzeit mit 3:1 (1:0) besiegt und sich zum fünften Mal in der Vereinsgeschichte zum Pokalsieger gekrönt. Und bevor jemand fragt, ja, das war zu einem großen Teil der Verdienst des Mannes, der ab dem 1. Juli als Nachfolger von Jupp Heynckes die Münchner trainiert. Und sich mit dieser beruflichen Entscheidung am Main nicht gerade beliebter gemacht hat.
Am Ende aber feierten sie auch Niko Kovač, der nach dem Abpfiff auf dem Rasen weinte und hinterher sagte: "Ich bin froh, glücklich und stolz auf meine Jungs, den Klub und die Fans." Letztere trugen fast allesamt weiße T-Shirts mit der Nummer 12 auf dem Rücken. Und in der Tat gewannen sie, die Fans, als zwölfter Mann ihres Teams den Stimmungscontest gegen die Anhänger aus München schon vor dem Anpfiff um Längen. Nicht nur, wenn sie sich umdrehten und ihr "Eintracht olé" sangen. Selbst bei den abgefackelten Bengalos in der Halbzeitpause lagen sie knapp vorne. Und dass Sieger lauter schreien, ist bekannt. Dass sie jedoch auch "Niko, Niko" rufen würden, war nach dem Ärger um seinen Wechsel zum FC Bayern nicht abzusehen.
"Habe nichts, wirklich nichts verbrochen"
Und so nahm Kovač die Stunde des Sieges zum Anlass, noch einmal zu betonen, dass er mit sich im Reinen sei: "Ich bin ein Mensch, da erwarte ich einfach Empathie. Ich habe nichts, wirklich nichts verbrochen, ich habe keinen umgebracht." Schließlich sei es so: "Das ist ein schwerer Abschied, aber auch ein schöner. Ich gehe - und wir sind Pokalsieger." Und er kann von sich behaupten, so einiges richtig gemacht zu haben. Nur einen Moment lang hatte Kovač dann doch nicht aufgepasst - und Kevin-Prince Boateng aus den Augen gelassen. Den Mann, den er in dieser Saison so gut in den Griff bekommen hatte. Den spielstarken Kämpfer mit Potenzial zur Eskapade - in vielerlei Hinsicht.
Und so schlich sich der 31-Jährige mit seinen Kollegen zur Pressekonferenz in den Keller des Olympiastadions und verpasste seinem scheidenden Trainer das, was Fußballer heutzutage offenbar immer noch witzig finden: eine kräftige Bierdusche. Kovač referierte just darüber, wie seine Frankfurter die frustrierten Bayern geschlagen hatten, ihnen ein unangenehmer Gegner waren, bis zur letzten Minute gerannt, gegrätscht und gefährlich gekontert hatten, als er sich kurz verlor, schüttelte und weitermachte. Er war dabei so souverän wie zuvor sein Team aufgetreten war, das sich auch dann nicht beindrucken ließ, als Robert Lewandowski den Ausgleich erzielt hatte. Das war durchaus bemerkenswert.
Denn in jener 53. Minute sahen viele kommen, was fast alle prophezeit hatten: einen klaren Erfolg der Münchner. Doch die Eintracht wollte das nicht zulassen. Und sie tat es nicht. "Ein Kompliment an diese Mannschaft", sagte Boateng. "Alle haben gesagt, dass wir aus dem Stadion geschossen werden. Aber wir haben Herz gezeigt und die Bayern aus dem Stadion geschossen." Nun, ganz so war's nicht. Alle Statistiken - mit Ausnahme der Tore - wiesen den deutschen Meister als das überlegene Team aus. Manche waren so deutlich, dass der Sieg, rein auf ihrer Basis interpretiert, ganz und gar peinlich wirken könnte. 77 zu 23 Prozent Ballbesitz etwa und 618 gespielte Pässe gegenüber den 182 der Frankfurter. Aber stolz sein auf ihre Leistung können die Frankfurter dennoch, ihr Sieg fußte schließlich auf einer cleveren Idee.
Hasebes Heldengrätsche gegen Tolisso
So hatte Kovač die zu verteidigende Stärke der Bayern auf den Flügeln ausgemacht. Dort, wo Joshua Kimmich marschiert, wo Franck Ribéry dribbelt, wo David Alaba flankt und Thomas Müller irrt. Dorthin schickte Kovač seine Spieler, ließ seine schnellen Offensivkräfte Rebić und Marius Wolf immer wieder zur Unterstützung von Danny da Costa und Jetro Willems zurückkommen. So hielt die SGE die Gefahr von außen unter Kontrolle. Und in der Mitte? Da war auch alles dicht. Da stellte sich Quasi-Libero Makoto Hasebe allem und jedem in den Weg, der versuchte das Tor der Eintracht auch nur ins Visier zu nehmen. Bestes Beispiel: seine Heldengrätsche gegen Corentin Tolisso (68.). Die Eintracht lief, kämpfte und opferte sich. So wie Kovač es immer und immer wieder von ihr fordert. Dass dieses ständige, die Mannschaft auslaugende Pushen den Klub schon zweimal um mehr brachte als Platz 11 und Platz acht in den vergangenen beiden Spielzeiten in der Bundesliga - jetzt egal.
Die Eintracht wollte und wollte - und spielte an der Grenze ihrer Leistungsfähigkeit. Und am allermeisten wollte ihr emotionaler Chef Boateng. Als einziger Stürmer aufgeboten, verteilte er überall die Bälle, gewann Zweikämpfe, legte das 1:0 durch Rebić perfekt auf. Auf jenen Rebić, der sich, wie die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" schrieb, wie ein Stachel ins Bayern-Fleisch bohrte, der sprintete und sprintete und zweimal eiskalt abschloss. Es war natürlich nicht so, dass alles klappte, was sich der Trainer ausgedacht hatte. Das tut es nie. Aber es hat funktioniert - und die Eintracht ist Pokalsieger. Oder um mit Kovač zu sprechen: "Den Titel mit einem Underdog zu holen, ich denke, das ist aller Ehren wert."
Unter dem Plakat der Frankfurter Fans in der Ostkurve stand übrigens "Totgesagte leben länger" - was sich offensichtlich nicht auf Charly Körbel bezog. Der 63 Jahre alte Ex-Profi ist nämlich quicklebendig und war als offizieller Pokalbotschafter der Eintracht in Berlin. All seine 602 Bundesligaspiele, bis heute und wohl auch für immer unübertroffener Rekord, hat er für die SGE absolviert. Und er war nicht nur beim Pokalsieg 1988, sondern auch bei den Erfolgen 1981, 1975 und 1974 dabei. Im Olympiastadion nun schnappte er sich tatsächlich vor der offiziellen Siegerehrung den Pokal und hielt ihn hoch. Was haben sie ihn gefeiert.
Quelle: ntv.de