Weltmeister-Torwart WM-bereit Löw hat 99 Probleme, Neuer ist keins
02.06.2018, 23:40 Uhr
Sofort gefordert und auf dem Posten: DFB-Kapitän Manuel Neuer bei seinem Comeback im DFB-Tor.
(Foto: imago/kolbert-press)
Es ist der Lichtblick an einem schwarzen Abend für die deutsche Nationalelf: Die Nummer Eins kann zur WM fahren. Manuel Neuer überzeugt - und schweigt. Die Frage aller Fragen beantwortet auch der Trainer nicht.
Manuel Neuer trifft keine Schuld, so viel stand fest an diesem Samstagabend, an dem die deutsche Fußball-Nationalmannschaft schlecht gespielt, ihr Kapitän aber mehr als sein Soll erfüllt hatte. Spielen sollte Neuer in Klagenfurt gegen Österreich, diese Direktive hatte das Trainerteam ausgegeben - sonst werde die WM ohne ihn stattfinden. Aber Neuer spielte nicht nur, er überzeugte; unter den gegebenen Umständen war es ein gelungenes Comeback nach 259 Tagen ohne Pflichtspiel, trotz des Ergebnisses. Die 1:2 (1:0)-Niederlage im Test gegen David Alaba und Co. zeigte: Joachim Löw mag 99 Probleme haben, Neuer ist keins.
Neuer hielt, was zu halten war, und er hatte "gefühlt die meisten Ballkontakte", wie es Stürmer Nils Petersen ausdrückte. Bei den Gegentoren von Martin Hinteregger und Alessandro Schöpf in der 53. und 69. Minute traf ihn keine Schuld, auch wenn ein Neuer in absoluter Weltklasseform vielleicht einen der beiden Unhaltbaren rausgezaubert hätte. Wie er selbst seinen WM-Elchtest erlebte, wollte Neuer nicht verraten, er marschierte grußlos aus dem Wörthersee-Stadion - kein Kommentar vor der Kadernominierung, teilte der DFB mit.
Auch der Bundestrainer äußerte sich zum Mittelfuß der Nation so zurückhaltend, als ginge es um einen Pferdekuss am Oberschenkel von Sebastian Rudy. "Manuel hat keine Probleme mit dem Fuß. Er hat einige Schüsse gut pariert und ein zufriedenstellendes Comeback gegeben." Kein Wort zur WM-Nominierung - und auch kein Wort des Dankes an den Wettergott, der Löw vor einem logischen Dilemma bewahrt hatte: Was, wenn das Spiel gar nicht hätte stattfinden können, in dem Neuer unbedingt auflaufen sollte?
Sieger bei der Platzwahl, Sieger gegen Arnautovic

Auch von der Klagenfurter Sintflut ließ sich Neuer beim Warmmachen nicht stoppen.
(Foto: imago/ActionPictures)
Auflaufen wollte er ja unbedingt, daran ließ er nicht den geringsten Zweifel. Es brauchte schon Hagelkörner, um ihn vom Rasen zu vertreiben. So entschlossen, wie er im WM-Finale 2014 in Rio Gonzalo Higuain aus dem Strafraum rammte, war er zum Aufwärmen als Erster aus dem Spielertunnel gejoggt - obwohl da schon der Platzregen eingesetzt hatte, der sich binnen Minuten in eine Sintflut verwandeln sollte. Und Neuer war auch der Letzte, der einsah, dass an Spielen erst einmal nicht zu denken war. Hagel hatte sich in den Regen gemischt, er prasselte Neuer ins Gesicht, nach einer Viertelstunde gab Torwarttrainer Köpke das Signal: Ab in die Kabine! Neuer gehorchte widerwillig und sichtlich missmutig.
Zweimal noch wiederholte sich das Schauspiel, ehe der Kapitän um 19.43 Uhr endlich zum Wimpeltausch mit Julian Baumgartlinger schreiten durfte. Natürlich gewann er den Ball, den er schon nach 55 Sekunden das erste Mal berührte, immer wieder suchte vor allem Antonio Rüdiger seinen Schlussmann, der sich an diesem Abend ein ums andere Mal als gewohnt sicherer Teil der Passstaffetten präsentierte. Einzige Ausnahme: Sein Akt von Torwartsolidarität in der 14. Minute. Drei Minuten zuvor hatte Österreichs Jörg Siebenhandl das 1:0 von Mesut Özil selbst mustergültig vorbereitet, nun landete Neuers Befreiungsschlag bei Schöpf, dessen Schuss Neuer aber sicher festhalten konnte.
"Das ist beeindruckend"
"Der eine oder andere Pass ist noch nicht angekommen", hatte auch Sami Khedira bemerkt, der das aber nicht auf die fehlende Matchpraxis schieben wollte. "Das passiert ja auch mit zwei gesunden Füßen mal". Er habe Neuer die vergangenen zehn Tage bei 100 Prozent gesehen, die ganze Mannschaft, so Khedira, sei "froh, dass wir Manu haben". Ansonsten hätte es nämlich vielleicht schon in Minute 32 1:1 gestanden: Florian Grillitsch visierte aus kurzer Distanz listig die kurze Ecke an, Neuer reagierte blitzschnell. In der 54. Minute warf er sich erfolgreich Marko Arnautovic entgegen, die beste Parade des Abends - und ein typischer Neuer.
Da hatte die deutsche Mannschaft durch die Auswechslung von Sami Khedira jegliche Ordnung verloren, ein ums andere Mal kamen die Österreicher zu Chancen, die Viererkette wankte bedenklich - nicht so Neuer. "Das ist schon beeindruckend, was er da abgeliefert hat", sagte der in Halbzeit zwei so gar nicht beeindruckende Joshua Kimmich. Nur zur Frage aller Fragen wollte er wie der gesamte DFB-Tross keine Stellung nehmen: Bedeutet die erfolgreiche Belastungstest auch automatisch, dass Neuer zur Weltmeisterschaft fährt? Die "Bild"-Zeitung will erfahren haben, dass diese Frage am Sonntagabend in einem vertraulichen Gespräch zwischen Kapitän und Bundestrainer in der Hotel-Suite von Löw im Trainingslager in Eppan beantwortet wird. Klar ist seit diesem Abend jedenfalls: Wenn Löw noch schlagende Argumente gegen Neuer findet, dann standen sie nicht auf dem Klagenfurter Rasen.
Quelle: ntv.de