Lahm schnurrt, Hummels zähmt Balotelli Löws schüchterne Sextaner mucken auf
16.11.2013, 05:30 Uhr
Nach dem Spiel kommt der Spaß: Kapitän Philipp Lahm mit dem Torwart des Angstgegners, Gianluigi Buffon.
(Foto: dpa)
Zum Sieg reicht es wieder nicht, aber die deutschen Fußballer liefern den Italienern ein Spiel auf Augenhöhe. Das lässt Bundestrainer Joachim Löw hoffen. Nur die Sache mit den falschen Neunern wirkt nicht so ganz ausgereift.
Italien: Buffon - Abate, Barzagli (ab 71. Ogbonna), Bonucci, Criscito - Marchisio, Montolivo, Pirlo (ab 82. Cerci), Motta - Osvaldo (ab 53. Candreva), Balotelli. - Trainer: Prandelli
Deutschland: Neuer - Höwedes, Boateng, Hummels, Jansen - Lahm, Khedira (ab 67. Sven Bender) - Müller (ab 87. Lars Bender), Kroos, Schürrle (ab 59. Reus) - Götze (ab 60. Özil). - Trainer: Löw
Schiedsrichter: Benquerenca (Portugal)
Tore: 0:1 Hummels (8.), 1:1 Abate (28.)
Zuschauer: 49.000
Ja, es war nur ein Testspiel. Und ja, am Ende hat es für die deutsche Fußball-Nationalelf an diesem ungemütlichen Nove mberabend in Mailand gegen Italien nur zu einem 1:1 (1:1) gereicht. Aber was heißt nur? Wer sich daran erinnert, wie die Mannschaft von Joachim Löw vor 17 Monaten in Warschau das Halbfinale der Europameisterschaft gegen die Squadra Azzurra verloren hat, der darf sagen: Die DFB-Elf ist auf einem guten Weg. Seinerzeit verloren schüchterne Sextaner gegen Typen, die schon ihr eigenes Geld verdienen, Bier trinken, Motorrad fahren und die besten Frauen kriegen. Ergebnis: Jungs eins, Männer zwei.
Im mit 49.000 Zuschauern arg leer wirkenden Giuseppe-Meazza-Stadion zu San Siro aber hatte nicht nur der Bundestrainer am Freitag ein "Duell auf Augenhöhe" gesehen. Was auch daran lag, dass Innenverteidiger Mats Hummels bereits nach acht Minuten und einem Eckball von Toni Kroos den Ball ins Tor von Gianluigi Buffon köpfte. Zwar glichen die Italiener zwanzig Minuten später durch Ignazio Abate aus. Aber die erste Halbzeit war von deutscher Seite ein starkes Stück Fußball. Die Mannschaft rotierte nach Herzenslust, allen voran die Offensivkräfte Thomas Müller, Kroos, André Schürrle und Mario Götze, nominell für die Sturmspitze vorgesehen. Aber auch Sami Khedira tauchte mitunter im Sturmzentrum auf.
Nur war das Ganze zu selten so zielführend, dass es zu mehr gereicht hätte; was der Bundestrainer mit der geballten Güte seiner nun 100 Länderspiele so umschrieb: "Wir sind nicht richtig in d en Sechzehner gekommen." Sein Fazit fiel aber insgesamt positiv aus: "Irgendwann wird der Zeitpunkt kommen, an dem wir Italien bei einem Turnier schlagen." Das wird sich zeigen, warten wir die Weltmeisterschaft im nächsten Sommer in Brasilien ab. Wobei zu bedenken ist, dass in absehbarer Zeit, also so lange wir atmen, niemals einer für Deutschland spielen wird, der auch nur annähernd so lässig, souverän und fehlerlos zugleich ein Spiel lenken kann wie der großartige Andrea Pirlo. Gegen ihn wirken sie alle wie Fünftklässler. Aber das ist eine andere Geschichte. Die deutschen Spieler in der Einzelkritik.
Manuel Neuer: Der 27 Jahre alte Torhüter des FC Bayern war in seinem beinahe kermitgrünen Trikot wie so oft in seinen 44 Länderspielen beim Gegentor machtlos. Und einer von sechs Akteuren des FC Bayern in der Startelf. Sechs Minuten nach der Pause durfte er zeigen, was er kann und wehrte einen mächtigen Schuss von Claudio Marchisio zur Ecke ab. Ansonsten ärgerte sich sehr, dass Sven Bender den Kollegen Marco Reus in der vorletzten Minute daran hinderte, den Ball ins leere Tor des Gegners zu schießen. "Bitter, dass wir die Chance gegen Ende nicht nutzen konnten. Sonst wären wir gegen Italien endlich mal als Sieger vom Platz gegangen."
Benedikt Höwedes: Musste wie seine neun Kollegen auf dem Feld ein Trikot tragen, das zumindest von der hohen, steilen Tribüne anmutete wie eine Version der Leibchens des VfB Stuttgart. Das dürfte dem 25 Jahre alten Schalker egal gewesen sein, der zu seinem 17. Länderspiel kam, weil Philipp Lahm von der Position des rechten Verteidigers ins defensive Mittelfeld beordert worden war. Den Aushilfskellner für den Kapitän zu geben ist eine undankbare Aufgabe. Höwedes hat sich bemüht, mit solidem Erfolg - was für eine WM-Nominierung reichen könnte. Machte mit einem durchaus satten Linksschuss zwei Minuten vor dem Ende der Partie auf sich aufmerksam. Doch der Ball ging an den Pfosten des italienischen Tores. Den Rest verstümperten dann Reus und Benders Sven.
Jérome Boateng: Joachim Löw war nach dem 35. Länderspiel des 25 Jahre alten Münchners so angetan, dass er ihm bescheinigte, er sei in punkto "Konzentration und Wachsamkeit extrem gut geworden". In der Tat überzeugte Boateng durch gutes Stellungsspiel und konsequentes Auftreten im Zweikampf. Auch wenn er sich zu Beginn einmal von Daniel Pablo Osvaldo verladen ließ: Er ist in der Innenverteidigung eine Bank und derjenige, der nicht zur Disposition steht. Frei ist nur noch der Platz neben ihm. Bangte nach der Partie mit dem Kollegen Khedira: "Die Stimmung in der Kabine war gedrückt. Nicht wegen des Unentschiedens, sondern weil Sami sich wohl schwerer verletzt hat."
Mats Hummels: Der 24 Jahre alte Innenverteidig er war der einzige Dortmunder in der Startelf. Und er war in seinem 27. Länderspiel der Spieler in der 113-jährigen Geschichte des Deutschen Fußball-Bundes, der das erste Tor in einem Trikot erzielte, das aussieht wie das des VfB Stuttgart. Was ihn nicht davon freispricht, dass er vor dem Ausgleich den Ball mit etwas zu viel Risiko zu Toni Kroos spielte. Ansonsten aber hatte er zum Beispiel Mario Balotelli gut im Griff. Bleibt die Frage, ob er es sein wird, der bei der Weltmeisterschaft den Platz neben Boateng bekommt. Oder doch Per Mertesacker, der in Mailand grippegeschwächt fehlte, am Dienstag in London aber schon wieder an Bord ist. Und auch spielen soll, wie Joachim Löw ankündigte.
Marcell Jansen: Woran liegt das eigentlich, dass der 28 Jahre alte Hamburger stets wie ein besonders eifriger Schüler wirkt? Wie einer von der Sorte, die beim Aufzeigen auch noch mit den Fingern schnipsen? Jedenfalls kommt der Linksverteidiger mittlerweile auf 43 Länderspiele. Und ist so etwas wie der Wiederkehrer des Jahres. Erst im März zum WM-Qualifikationsspiel gegen Kasachstan in hatte der Bundestrainer zurück in den Kreis seiner Eleven geholt. Davor hatte Jansen exakt zwei Jahre, sechs Monate und 23 Tage kein Länderspiel bestritten. Und nun? Glänzte er mit seinem Kommentar zum Spiel: "In diesem Spiel war alles drin: Zweikämpfe, Tumulte, Pfosten, Latte." Ansonsten aber könnte es gut sein, dass demnächst wieder der Dortmunder Marcel Schmelzer auf dieser Position spielt. Allerdings ist der auch kein Flankengott.
Philipp Lahm: Seit Karnevalsbeginn 30 Jahre alt, hat der Kapitän mit seinen nun 104 Länderspielen Franz Beckenbauer überholt. Ein für Statistikfreunde absehbares Ereignis. Als nächster, so viel sei schon jetzt verraten, ist Jürgen Kohler an der Reihe. Ansonsten schnurrte der Münchner in gewohnter Neigetechnikmanier zuverlässig wie auf Schienen über den Rasen - als defensiverer Teil der Doppelsechs vor der Viererabwehrkette. Was allerdings der Tatsache geschuldet war, dass mit Bastian Schweinsteiger Ilkay Gündogan zwei Kandidaten für diese Schlüsselposition verletzt fehlten. Joachim Löw aber kündigte bereits an: "Wenn alle fit sind bei uns, haben wir auch im Zentrum klasse Spieler und werden wieder Lahm auf der rechten Seite sehen. Als ob dem das ernsthaft etwas ausmachen würde. Er spulte sein Pensum gewohnt fehlerlos ab. Und sagte hinterher: "Wir hätten hier locker gewinnen können. Wir hatten die besseren Chancen. Vor allem noch einen Pfostenschuss in letzter Sekunde. Wir haben vieles gut gemacht, besser geht es immer noch."
Sami Khedira: Der 26 Jahre alte Madrilene hat sich i n seinem 44. Länderspiel am rechten Knie verletzt - als er versuchte, Andrea Pirlo zu foulen. Khedira wurde umgehend in ein Mailänder Krankenhaus gebracht und dort - was auch sonst? - untersucht. Eine genaue Diagnose steht aber noch aus, teilte der DFB in der Nacht mit. Und Mesut Özil ließ noch in der Nacht via Twitter ausrichten: "Gute Besserung Sami." Bis zur 65. Minute hatte Khedira als offensiver Teil des Doppelsechs mit Philipp Lahm im Rücken das Spiel gewohnt dynamisch und kraftvoll angetrieben, sein Schuss nach einer guten Viertelstunde landete am Pfosten. Für ihn kam der 24-jährige Dortmunder Sven Bender zu seinem 16. Länderspiel. Und hatte seine spektakulärste Szene, als er kurz vor Schluss seinem Vereinskollegen Marco Reus den Ball wegspitzelte.
Thomas Müller: Der 24 Jahre alte Münchner musste sich in seinem 47. Länderspiel mit dem Kollegen Höwedes auf der rechten Seite abstimmen. Er sagte es zwar hinter nicht, aber so richtig toll hat das nicht geklappt. Was ihn nicht davon abhielt, sich auf seiner Angriffsseite so reinzuhängen, wie er es stets tut. Mit Käpt’n Lahm auf der Sechserposition hingegen war er sehr zufrieden. Und sagte das auch: "Philipp hat man immer gerne hinter sich." Ansonsten hätte er "das Spiel gerne gewonnen, aber der Pfostenschuss in der Nachspielzeit passte zu dem Spiel." Mit der mitunter nicht zimperlichen Spielweise des Gegners war er nicht einverstanden: "Die Italiener haben so gespielt, wie man sie kennt. Und der Schiedsrichter hat es das ganze Spiel über mitgemacht." Apropos das ganze Spiel: Drei Minuten vor dem Ende ging er raus, nachdem er unglücklich auf die Hand gefallen war. Der Leverkusener Sven Bender, erstaunlicherweise genauso alt wie sein Zwillingsbruder Lars, kam rein und zu seinem 16. Länderspiel. Wir tippen übrigens: Ein Bender fliegt mit nach Brasilien.
Toni Kroos: In seinem 40. Länderspiel verdiente sich der 23 Jahre alte Münchner einen Punkt als Vorlagengeber - mit einer Ecke, die Mats Hummels dann ins Tor köpfte. Kam allerdings vor dem Ausgleich mit dem Ball nicht zurecht, den ihm eben jener Hummels zugespielt hatte. Und sonst? Zeigte er auf der Position des Spielmachers eine ordentliche Partie, hatte aber gegen die robusten italienischen Abwehrspieler so seine Probleme. Zehn Minuten vor Toresschluss wurde er noch einmal richtig agil und sorgte für tumultartige Szenen auf dem Rasen. Thiago Motta hatte ihm mit der Hand durchs Gesicht gewischt, was ihn mächtig aufregte. "Die Aktion nennt man wohl Tätlichkeit. Aber wurscht." Ansonsten war er zufrieden: "Nur solche Spiele bringen einen weiter. Es war ein guter Test."
André Schürrle: Der Flügelspieler des FC Chelsea hatte als dreifacher Torschütze im letzten WM-Qualifikationsspiel beim 5:3 in Schweden derart geglänzt, dass er den Vorzug gegenüber dem seinerzeit verletzten Dortmunder Marco Reus auf der linken Seite erhielt. Traf nach einer guten halben Stunde mit einem Schuss aus der Distanz die Latte, ansonsten eher unauffällig. Nach einer knappen Stunde war Schluss, und der 24 Jahre alte Reus kam zu seinem 18. Einsatz für die DFB-Elf. Fiel aber auch nicht groß auf. Und konnte sich nicht durchsetzen, als ihm Sven Bender nach dem Pfostenschuss von Höwedes den Ball klaute und so den Siegtreffer verhinderte.
Mario Götze: Nach seiner Verletzungspause wirkte der 21 Jahre alte Münchner in seinem 25. Länderspiel immer noch nicht ganz fit. Und auf der Position des Mittelstürmers ist er irgendwie verschenkt. Er machte das als vorderste Anspielstation gar nicht so schlecht. Aber Götze ist einer, von dem man ob seines Talents mehr erwartet. Einen unbedingten Drang zum Tor des Gegners zeigte er nicht, ließ sich lieber häufig ins Mittelfeld zurückfallen; also dorthin, wo er zu Hause ist. Ein gebrauchter Abend. Für ihn durfte es nach einer knappen Stunde mit dem 25-jährigen Mesut Özil vom FC Arsenal ein weiterer hochbegabter Mittelfeldspieler im Angriffszentrum versuchen. Grippegeschwächt konnte er in seinem 52. Länderspiel nicht glänzen. Wird Zeit, dass Miroslav Klose und Mario Gomez wieder gesund werden. Oder der Bundestrainer versucht es in London doch noch mal mit dem Mönchengladbacher Max Kruse. Özil sagte zu dem Thema nichts, konstatierte aber: "Ich glaube, beide Seiten können damit leben, dass das Spiel 1:1 ausgegangen ist. Wir brauchen uns vor keiner Mannschaft der Welt zu verstecken."
Quelle: ntv.de