Der Klassenkampf in der Bundesliga Lottokratie, Kurzschluss und ein Kauz
19.03.2012, 13:56 Uhr
Dabei hatte er seine Spieler doch gewarnt: Otto Rehhagel, Hertha BSC.
(Foto: dpa)
Bayerns Sportchef weiß: "Abstiegskampf scheint interessanter als Meisterschaftskampf." Sechs Teams, vielleicht sogar neun, wehren sich gegen die Zweite Fußball-Bundesliga. Dabei haben Hertha BSC und der HSV die schlechtesten Karten. Der Trend jedenfalls spricht gegen sie.
13. | ![]() | Köln | 26 | 33:50 | 28 |
14. | ![]() | Hamburg | 26 | 30:48 | 27 |
15. | ![]() | Augsburg | 26 | 27:40 | 26 |
16. | ![]() | Freiburg | 26 | 33:53 | 25 |
17. | ![]() | Hertha | 26 | 26:47 | 23 |
18. | ![]() | K'lautern | 26 | 17:36 | 20 |
Nach einer Weile war Christian Nerlinger dann doch etwas pikiert. Da hatten die Fußballer des FC Bayern ihr Bundesligaspiel in Berlin mit 6:0 gewonnen - und kaum jemand wollte mit dem Sportdirektor der Münchner sprechen, der den grippegeschwächten Trainer Jupp Heynckes bei der Presskonferenz im Olympiastadion vertrat. "Christian, sag' Du doch mal was", forderte ihn Herthas Übungsleiter Otto Rehhagel auf, der Fragen nach der desolaten Vorstellung seiner Mannschaft überdrüssig. Nerlinger zwang sich zu einem Lächeln und sagte: "Abstiegskampf scheint interessanter zu sein als Meisterschaftskampf." Ein wahres Wort. Weil der Deutsche Meister aus Dortmund mit nur einem Tor gegen Werder Bremen ebenso drei Punkte ergatterte wie die Bayern mit ihrem Kantersieg, steht die Borussia weiter mit fünf Punkten vor den Münchnern an der Tabellenspitze. Im Keller allerdings spitzt sich die Lage zu. Sechs Mannschaften wehren sich gegen drei Abstiegsplätze, und auch der FSV Mainz und die TSG Hoffenheim, mit jeweils 30 Punkten auf den Rängen elf und zwölf platziert sowie der 1. FC Nürnberg als Tabellenzehnter dürfen sich acht Spieltage vor dem Ende der Saison noch nicht sicher fühlen. Der Abstiegskampf im Überblick
1. FC Kaiserslautern vor dem Kurzschluss
Beim Tabellenletzten ist, wie das so bei einem Tabellenletzten ist, der nicht gerade SC Freiburg heißt, die Stimmung im Keller. Oder wie es Klubchef Stefan Kuntz nach der 1:4-Niederlage gegen den FC Schalke 04 sagte: "Natürlich hat man Enttäuschung, Angst und auch Wut in sich." Das könnte auch ziemlich bald Trainer Marco Kurz zu spüren bekommen, da die Mannschaft bereits fünf Punkte Rückstand auf Platz 16 aufweist, der immerhin noch dazu berechtigt, zwei Relegationsspiele gegen den Tabellendritten der Zweiten Liga zu bestreiten. Und am kommenden Samstag geht es, genau, zum SC Freiburg. Dem Sechzehnten.
Dabei hatte das mit Abstand angriffsschwächste Team der Liga gegen die Gelsenkirchener sogar ein Tor geschossen, das 17. im 26. Spiel, zur Führung nach bereits drei Minuten. Am Ende aber musste Kurz zugeben: "Wir waren heute nicht gut genug." Auch wenn seine Spieler offensichtlich wollen, ist das zu wenig. Ihr ängstliches Spiel und die Zahlen sprechen gegen sie. Seit dem 22. Oktober 2011, dem Hinspiel gegen, ja den SC Freiburg, warten die Pfälzer auf einen Sieg. Nach 16 Partien in Folge ohne Erfolg steht die Mannschaft so schlecht da wie nie zuvor zu diesem Zeitpunkt. Selbst bei den Abstiegen in den Jahren 1996 und 2006 hatte der 1. FC Kaiserslautern mehr Punkte als momentan auf dem Konto.
Prognose: Enttäuschung + Wut + Angst = Abstieg
Lottokratie statt Ottokratie bei Hertha BSC
Auch beim Tabellenvorletzten ist die Laune eher gedämpft. Zwei Stunden soll Manager Michael Preetz am Tag nach dem Debakel gegen den FC Bayern auf die Spieler eingeredet haben. Otto Rehhagel weilte unterdessen im Reichstag und wählte im Auftrag der CDU Joachim Gauck zum Bundespräsidenten. Gegen die Münchner hatte der Trainer-Methusalem mit einer Aufstellung überrascht, die eher der Zahlenziehung beim Lotto als fachlichen Überlegungen entsprungen schien. Und brachte damit sogar die treuen Fans in der Ostkurve des ausverkauften Olympiastadions gegen sich auf.
Hinterher gab er zu Protokoll, doch vor den bayerischen Flügelspielern, Franck Ribéry und Arjen Robben, gewarnt zu haben." Was ungefähr so tiefgreifend ist wie die Frage an einen Fußballspieler, ob er Lionel Messi kenne. Herthas Christian Lell, der statt wie gewohnt auf der rechten Seite der Abwehrviererkette im Mittelfeld auflaufen musste, ist sich sicher: "Wenn wir immer solche Leistungen abliefern, steigen wir ab, das ist gar keine Frage." Der Effekt jedenfalls, den sich die Berliner mit der Verpflichtung Otto Rehhagels als Spiritus Rector erhofft hatten, ist nach nicht einmal vier Wochen, einem Sieg, drei Niederlagen und 1:10 Toren wirkungslos verpufft.

"Vielleicht haben wir ein wenig mehr Ruhe hier als anderswo": Christian Streich, SC Freiburg.
(Foto: dpa)
Prognose: Christian Lell hat Recht.
Unprätentiöser SC Freiburg mit Ruhe und Streich
Christian Streich heißt der Mann, der die Breisgauer, seitdem er das Team im Winter als Trainer von Marcus Sorg übernommen hat, wieder auf Kurs gebracht hat. Leidenschaftlich, unbeirrt, mit flackerndem Blick und einem klaren Ziel: Seine Mannschaft soll ordentlich Fußball spielen. Oder wie Streich, der seit 17 Jahren im Verein ist und ein wenig als Kauz gilt, dem "Hamburger Abendblatt" sagte: "Vielleicht haben wir ein wenig mehr Ruhe hier als anderswo. Ganz wichtig ist, dass wir nicht nur gute Trainer haben, sondern auch richtig gute Pädagogen. Für sie ist es eine Lebensaufgabe, die Jungs zu begleiten. Und wir reduzieren die Jungs nicht darauf, nur ein Fußballtalent zu sein.
Wenn es am Ende für Platz 16 oder gar 15 reicht - wunderbar. Wenn nicht, dann machen die Freiburger halt in der Zweiten Liga weiter. Das scheint das richtige, weil unprätentiöse Rezept zu sein. Sie haben die Abwehr stabilisiert, den Bayern, Bremern und Gladbachern einen Punkt abgetrotzt, die Schalker geschlagen und nun mit 3:1 in Hamburg gewonnen. Torhüter Oliver Baumann sagte hinterher: "So wie wir jetzt spielen, steigen wir nicht ab. Das ist auch ein Verdienst des Trainers."
Prognose: Oliver Baumann hat Recht. Platz 16 ist drin, vielleicht sogar Rang 15,
FC Augsburg zieht sie runter – und punktet
"Meister im Runterziehen" hat die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" die Augsburger nach dem 2:1 gegen Mainz genannt, dem ersten Sieg in ihrer kurzen Bundesligageschichte, der ihnen nach einem Rückstand gelang. Will meinen: Die Mannschaft des Trainers Jos Luhukay hat ein Händchen dafür, den Gegner mit einer Mischung aus Laufstärke, Aggressivität und taktischer Disziplin so sehr zu nerven, dass der etwas schlechter als normalerweise spielt.
Beim torlosen Remis gegen Borussia Dortmund in der Vorwoche hatten sie Spielmacher Shinji Kagawa sogar in Manndeckung genommen - wenn das Otto Rehhagel wüsste. Das mag nicht schön aussehen, und der Mainzer Trainer Thomas Tuchel schimpfte diesmal, das Spiel "war das Schlechteste, was wir in dieser Saison abgeliefert haben". Aber der FCA steht weiter auf dem ersten Nichtabstiegsplatz. Das nährt die Hoffnung, "am Ende der Saison vielleicht das Unerwartete zu erspielen", wie Luhukay sagte.
Prognose: Jos Luhukay könnte Recht haben. Dass die Augsburger in der Liga bleiben, damit hatte wirklich keiner gerechnet. Das ist ihre Chance.
Hermann Rieger weint um den Hamburger SV
Thorsten Fink heißt der Mann, der seit Oktober vergangenen Jahres, als er die Mannschaft von Michael Oenning übernahm, vergeblich versucht, den Hamburgern zu erklären, was das Bayern-Gen ist. Oder anders ausgedrückt: Gewinnermentalität sieht anders aus. Nach dem 1:3 gegen Freiburg, der dritten Niederlage in Folge, befindet sich der HSV im freien Fall. Nur noch zwei Punkte trennen den Klub, der als einziger in allen 49 Erstligaspielzeiten dabei war, von einem Abstiegsplatz. Das liegt auch daran, dass die Hamburger mit zwei Siegen in 14 Partien im Volkspark die schlechteste Heimbilanz aller Mannschaften haben.
Und während Fink sich in Durchhalteparolen übt - "Wir haben jetzt acht Endspiele" -, sieht einer, der den HSV so gut kennt wie kaum jemand, eher schwarz. Hermann Rieger, 70 Jahre alt und langjähriger Physiotherapeut mit dem Status des Kult-Masseurs, sagte am Samstag mit Tränen in den Augen der "Süddeutsche Zeitung" nach dem Spiel: "Das war eine Beerdigung." Während die Konkurrenz aus Freiburg und Augsburg seit einiger Zeit verlässlich punktet, gelingt dem HSV genau das nicht. Dabei hatten sie sich in Hamburg zu Beginn der Rückrunde schon auf der sicheren Seite gewähnt.
Prognose: Genau das ist das Problem. Auch wenn wir es Hermann Rieger wirklich nicht gönnen würden.
Der 1. FC Köln hofft auf - Lukas Podolski
Erst haben sie kein Glück, und dann kommt auch noch Pech dazu. In Köln sind sie mit sich, der Blindheit ihres Stürmers Milivoje Novakovic im Konkreten und dem Schicksal im Allgemeinen nach der letztlich deutlichen Niederlage in Hannover sehr unzufrieden. Aber es hilft ja nichts: Die Rheinländer müssen sich wieder ernsthaft mit dem Thema Abstiegskampf befassen. Drei Punkte sind es noch bis Relegationsplatz 16. Vor diesem Hintergrund mag es zu erklären sein, dass Trainer Stale Solbakken den katastrophal glücklosen Novakovic in Schutz nahm: "Ich bin sehr zufrieden mit ihm. Wenn er nicht in die Positionen gekommen wäre und Angst gezeigt hätte, dann müsste ich mir Sorgen machen. Aber so wird er seinen Weg gehen. Er wird bald wieder die Chancen verwerten."
Die Kölner Hoffnung heißt, wie so oft, Lukas Podolski. Der mit 16 Toren erfolgreichste Angreifer des FC fehlte in Hannover wegen einer Tätlichkeit beim Sieg gegen Berlin in der Vorwoche, die definitiv keine war. "Am nächsten Wochenende gegen Dortmund ist Lukas wieder dabei", sagte Torhüter Michael Rensing. Und schien sich auch ein wenig selbst beruhigen zu wollen: "Mit ihm ist immer etwas möglich." Noch ist er ja da.
Prognose: Et hätt noch immer joot jejange.
Den schönsten Satz des 26. Spieltages, quasi stellvertretend für alle Klassenkämpfer der Liga, hat übrigens Herthas Christian Lell nach dem 0:6 gegen die Bayern gesagt: "Ich hoffe, dass wir unterm Strich überm Strich stehen."
Quelle: ntv.de