Tore, Tränen, Tragik Michael Ballack, der Unvollendete
02.10.2012, 17:56 Uhr
Michael Ballack ist einer der größten deutschen Fußballstars der vergangenen Jahre.
(Foto: picture alliance / dpa)
Mit Michael Ballack verlässt ein Fußball-Profi die Bühne, der Großes geleistet hat. In fast 100 Länderspielen, Hunderten Auftritten in Bundesliga und Premier League geht er jahrelang immer voran, kämpft wie kaum ein anderer. Doch am Ende tritt der 36-jährige Sachse ab, ohne die ganz wichtigen Titel geholt zu haben.
Viele Tore und manch ein Titel, vor allem aber Tränen und Tragik - die Karriere von Michael Ballack bleibt trotz großer Momente die Geschichte eines ewig Unvollendeten. Die Krönung, der ersehnte WM- oder EM-Titel oder der Silberpokal der Champions League, blieb dem langjährigen Kapitän versagt. Ein Jahrzehnt lang prägte er in 98 Länderspielen die Fußball-Nationalmannschaft, in der Bundesliga war kaum ein Mittelfeldakteur seiner Zeit torgefährlicher. Nun beendet der ehemalige "Capitano" seine aktive Karriere.
Die Zeit war reif, räumte der gebürtige Görlitzer ein - dabei hatte der bittere Abschied auf Raten schon im Mai 2010 begonnen. Ein brutaler Tritt von Gegenspieler Kevin-Prince Boateng im englischen Pokalfinale beendete Ballacks Traum von einer dritten WM-Teilnahme. Mit finsterer Miene und tiefen Ringen unter den Augen stand er damals im Münchner Marienhof vor der Praxis von DFB-Arzt Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt. Ballacks Innenband und ein Teil des vorderen Syndesmosebandes im Sprunggelenk des rechten Fußes waren zerstört.
Tränen im Regen
"Ich bin sauer, ganz klar", stammelte Ballack nach der für ihn "schlimmsten Diagnose" der Karriere. Auf Krücken humpelte er davon - und ohne den für unersetzbar gehaltenen Anführer, der am 28. April 1999 gegen Schottland im Nationalteam debütiert hatte, spielte sich die junge deutsche Mannschaft angeführt von Ersatzkapitän Philipp Lahm beim WM-Turnier in Südafrika in die Herzen der Fans.
"Mit 36 Jahrenblicke ich auf eine lange und wunderbare Zeit im Profifußball zurück, von der ich als Kind niezu träumen gewagt hätte. Es war einPrivileg, mit erstklassigen Trainern und fantastischen Mitspielern zusammenzuarbeiten. Sicher wird es mir fehlen, nicht mehr vor 80.000 Fans zu spielenoder ein Tor zu schießen.
Die letzten Monate ohne aktiven Fußball habenmir aber gezeigt, dass die Zeit reifist, aufzuhören. Ich freue mich jetzt auf ein neues Kapitel in meinem Leben und danke meiner Familie und all den großartigen Menschen, die mich gefördert,gefordert, begleitet und unterstützthaben. Sie alle haben großen Anteil an meinem Erfolg."
Joachim Löws Auswahl und letztlich auch der Bundesliga-Fußball hatten sich von Ballack emanzipiert - dabei hatte er ihm an nationalen Ehren nie gemangelt. Als 21-Jähriger wurde er 1998 mit Aufsteiger 1. FC Kaiserslautern unter Trainer Otto Rehhagel erstmals deutscher Meister. Es folgten drei weitere Meistertitel und drei DFB-Pokalsiege mit dem FC Bayern München.
Den Wechsel zum FC Chelsea nach England begründete er 2006 mit dem unbedingten Willen, die Champions League gewinnen zu wollen. 2002 war er mit Bayer Leverkusen erst im Finale gescheitert. Doch ausgerechnet mit Chelsea wurde es noch dramatischer: Ein Pfostentreffer von John Terry im Elfmeterschießen verwehrte Ballack den Silberpokal - näher dran an einem internationalen Titel war der Sachse nie. Ballack weinte im strömenden Moskauer Regen wie ein kleiner Junge.
Ballacks Final-Trauma
"Glück ist eine andere Bezeichnung für Willensstärke", nannte der DFB-Leitwolf einmal sein Credo. Dass ihm selbst das Pech anhaftet, konterkariert das eigene Motto. Denn an Einsatz ließ es der 42-malige Torschütze in der Nationalmannschaft, der als Kind Altpapier und Flaschen sammelte, um sein Taschengeld aufzubessern, nie mangeln.
Sein mit Gelb bestraftes Not-Foul im WM-Halbfinale gegen Südkorea (1:0) kurz vor seinem Siegtreffer war Startschuss einer schmerzhaften Historie. Im Endspiel gegen Brasilien fehlte Ballack gesperrt, es ging mit 0:2 verloren. Zuvor hatte er mit Bayer Leverkusen das Vize-Triple in Meisterschaft, Pokal und dem verlorenen Champions-League-Finale gegen Real Madrid hingelegt - doch es blieben ja im Frühsommer einer damals hoffnungsvollen Karriere noch viele Chancen.
Ballacks Final-Trauma sollte sich jedoch fortsetzen. Bei der Heim-WM 2006 wurde der Einzug ins Sommermärchen-Endspiel gegen Italien (0:2 n.V.) in letzter Sekunde verspielt. 2008 bei der EM war Spanien (0:1) im Endspiel übermächtig und Ballack so gefrustet, dass er sich noch auf dem Rasen zu einem verbalen Disput mit Teammanager Oliver Bierhoff hinreißen ließ.
DFB würdigt Ballacks Verdienste
Trotz aller Auseinandersetzungen, auch im Zusammenhang mit seinem Abschied, zeigte sich die DFB-Führung nach Ballacks Rücktrittsankündigung versöhnlich. "Mit Michael Ballack beendet ein großer Fußballer, der auf der ganzen Welt bekannt ist, seine Karriere", erklärte Bundestrainer Joachim Löw. "Ich habe Michael stets als Stütze und sehr guten Spieler mit überragenden Qualitäten schätzen gelernt."
"Auf dem Platz strahlte er immer eine große Dominanz aus, für den Erfolg hat er alles getan", sagte Löw und fügte an: "Für die Zukunft wünscht ihm die gesamte Nationalmannschaft inklusive der Betreuer alles Gute."
DFB-Präsident Wolfgang Niersbach würdigte Ballack als einen außergewöhnlichen Spieler, der für den DFB und den Stellenwert des gesamten deutschen Fußballs enorm viel geleistet habe. "Es wäre schön, wenn Michael mit seiner großen Erfahrung dem Fußball erhalten bleibt, in welcher Funktion auch immer", sagte der DFB-Boss.
Auch Manager Oliver Bierhoff lobte den 36-Jährigen: "Michael Ballack gehört zu den verdienten National- und absoluten Ausnahmespielern, der viele Jahre ein prägendes Gesicht war. Auch wenn wir nicht immer einer Meinung waren, sind wir uns stets mit gegenseitiger Wertschätzung begegnet, wie es sich unter Sportlern gehört."
Quelle: ntv.de, Klaus Bergmann und Jens Mende, dpa