Fußball

"Welttorhüter" zur WM in Katar "Musiala könnte großer WM-Gewinner werden"

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Jamal Musiala steht vor dem nächsten ganz großen Schritt, glaubt Lutz Pfannenstiel.

(Foto: picture alliance / Laci Perenyi)

Die Fußball-WM in Katar ist umstritten, findet aber statt. Wie ist der sportliche Wert dieser Titelkämpfe? Fliegt Deutschland in der Vorrunde raus? Welche Spieler drücken der WM ihren Stempel auf? Gibt es eine große Sensation? "Welttorhüter" Lutz Pfannenstiel verrät es im ntv-Interview.

ntv.de: Herr Pfannenstiel, die Fußball-WM in Katar steht an. Sie ist seit der Vergabe umstritten: Spiele im Winter, Menschenrechtsverletzungen, Homophobie. Trotzdem findet sie nun statt. Welchen sportlichen Wert haben die Titelkämpfe?

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Lutz Pfannenstiel: "Welttorhüter", TV-Experte, Sportdirektor in der MLS.

(Foto: Lutz Pfannenstiel)

Lutz Pfannenstiel: Sportlich gesehen ist und bleibt das Turnier eine Weltmeisterschaft. Das Turnier der Besten! Spieler und Trainer können nichts dafür, dass diese WM in Katar stattfindet. Sie sollten sich auf ihr Knowhow, den Fußball konzentrieren. Da bin ich ganz bei Jürgen Klopp. Von der politischen und gesellschaftlichen Seite ist die Kritik an der WM in Katar absolut verständlich und nachvollziehbar. Ich kann jeden Fußballfan verstehen, der diese Titelkämpfe boykottiert, der sagt: 'Ich schenke mir das'. Klar ist: Katar wird für die kommenden Wochen international im Fokus stehen - und die Welt wird sehr genau draufschauen, was dort passiert. Sportlich, politisch, gesellschaftlich!

Abgesehen von der Austragung in Katar mit klimatisierten, völlig geschlossenen Stadien - die WM findet erstmals im Winter statt. Mitten in der Bundesliga-Saison …

Das ist absolutes Neuland! Sportmedizinisch und sportwissenschaftlich sind die Folgen schwer einzuschätzen. Die Leistungsteuerung am Ende eines Kalenderjahres mit Blick auf die Vorbereitung der zweiten Saisonhälfte ist ausgesprochen schwierig. Einige Spieler werden die Quittung für diesen Wahnsinn in der Rückrunde, in 2023 bekommen: mit Leistungsabfall, mit Leistungslöchern und vor allem mit erhöhtem Verletzungsrisiko. Die fehlenden Spielpausen und die mangelnde Regeneration der Spieler, bedingt durch den verdichteten nationalen und internationalen Terminkalender, werden ihren Tribut fordern.

Keine schönen Aussichten. Aber wer hat denn das Zeug dazu, Weltmeister 2022 zu werden?

(Lacht) Business as usual, will sagen: die üblichen Verdächtigen. Die Großen machen den Titel am Ende unter sich aus. Die komplettesten und tiefsten Kader haben aus meiner Sicht Frankreich und Brasilien. Aber auch mit Argentinien, Spanien, England und Deutschland ist zu rechnen. Die großen Südamerikaner und die großen Europäer machen den Titel unter sich aus. Wie immer...

Deutschland ist also unter den Mitfavoriten. Nach der Pleite bei der Fußball-WM in Russland: Was stimmt Sie so zuversichtlich.

Ich habe mit Hansi Flick gearbeitet, kenne ihn sehr gut, schätze ihn sehr. Ich bin absolut davon überzeugt, dass wir den besten Mann auf dem Trainerstuhl haben! Das Team ist ausgeglichen, hat viel individuelle Qualität und Offensivpower. Nach wie vor steht der beste Torhüter der Welt bei uns zwischen den Pfosten - und wir haben eine Gruppe, die zwar keinen Fehler verzeiht, die aber durchaus machbar ist. Jeder erwartet das Erreichen der K.o.-Phase und dann ist alles möglich.

Spanien, Japan und Costa Rica heißen die deutschen Gegner …

Spanien und Deutschland sind die klaren Favoriten. Aber keine der beiden anderen Mannschaften sollten unterschätzt werden. Japan schätze ich stärker ein als Costa Rica, aber trotz geballter Bundesliga-Power denke ich nicht, dass sie an Deutschland oder Spanien vorbeikommen werden.

Wie schaut es bei den anderen Gruppen aus? Gibt es die berühmte sogenannte Todesgruppe?

Die Gruppe D mit Argentinien, Saudi-Arabien, Mexiko, Polen sowie die Gruppe H mit Portugal, Ghana, Südkorea und Uruguay halte ich jeweils für brandgefährlich. Als Todesgruppe kann man wohl am ehesten die Gruppe G bezeichnen mit Brasilien, Serbien, Schweiz, Kamerun: Über Brasilien muss man nichts mehr sagen. Serbien ist ein Team, das an einem guten Tag jeden schlagen kann. Die Schweiz hat bei der EM Frankreich rausgeworfen. Und Kamerun ist körperlich robust, schwer zu bespielen, mit viel Talent und einem Eric Maxim Choupo-Moting, der momentan alles trifft. Das dürfte am Ende die spannendste Gruppe sein.

Bei der letzten WM sorgte Kroatien für die Sensation, erreichte das Finale. Wer hat bei diesem Turnier das Zeug, alle zu überraschen?

2018 hatte niemand Kroatien vorher auf dem Zettel. Aber auch damals war das Team gespickt mit absoluten Topspielern. Auf meinem Überraschungszettel habe ich Dänemark und mit Abstrichen die USA. Die Dänen haben eine mit jungen Spielern gespickte Mannschaft mit einer großen Offensivpower. Das Team hat bei der EM schon gezeigt, dass eine Menge in ihr steckt. Die USA haben eine unglaubliche Physis und mit Christian Pulisic vielleicht einen der Stars dieser WM in ihren Reihen. Dazu mit Gio Reyna ein absolutes Toptalent. Von den Underdogs ist eigentlich Senegal am unberechenbarsten, aber leider müssen die ihren Topstar Sadio Mané ersetzen.

Was ist mit Portugal?

Da heißt es: Achtung! Mit dem Trio Ruben Dias, Joao Cancelo und Bernardo Silva von Manchester City, mit dem Mittelfeldstrategen Vitinha von PSG sowie dem "rising star" der italienischen Serie A, Rafael Leao vom AC Mailand, darf man die Portugiesen nicht unterschätzen. Ihr Trainer Fernando Santos strotzt vor Selbstbewusstsein und traut seinem Kader sogar den Titel zu.

Und der ewige Geheimfavorit Belgien?

Der Welttorhüter

Lutz Pfannenstiel ist der erste Fußballer, der in seiner Karriere auf sechs Kontinenten gespielt hat: 25 Vereine in 13 Ländern - nachzulesen in "Unhaltbar - Meine Abenteuer als Welttorhüter". Seit seinem Karriereende verantwortete er unter anderem den Bereich International Relations und Scouting beim Fußball-Bundesligisten 1899 Hoffenheim. Er war von 2018 bis 2020 Sportdirektor beim Bundesliga-Traditionsverein Fortuna Düsseldorf. Seit August 2020 ist er Sportdirektor beim MLS-Verein St. Louis City SC.

Pfannenstiel ist zudem als TV-Experte für verschiedene nationale und internationale Sender wie ESPN, SRF, BBC und DAZN tätig. Er ist Auslandsexperte beim DFB und Trainerausbilder bei der FIFA. Pfannenstiel ist zudem der Gründer von Global United FC.

Über Belgien reden wir bei jedem großen Turnier: Jetzt muss es doch mal passen. Und am Ende passt es eben wieder nicht. Lange hieß es, das Team wäre jung, supertalentiert. Mittlerweile spielt da eine gestandene Mannschaft mit starken Einzelkönnern. Man sollte die Belgier nicht abschreiben, aber es braucht eine gewisse Konstanz bei einem Großturnier um Titel zu gewinnen. Belgien muss das vorhandene Talent in knallharte Ergebnisse transformieren. Es ist die letzte große Chance der goldenen Generation um Kevin De Bruyne.

Apropos gestanden: Für eine ganze Fußballgeneration großer Namen dürfte das die letzte WM sein: Lionel Messi, Cristiano Ronaldo, Robert Lewandowski, Luka Modric. Wird es eine WM der Altstars oder werden die jungen Wilden wie beispielsweise Kylian Mbappé dem Turnier schon ihren Stempel aufdrücken?

Ich glaube vor allem, dass es eine WM der perfekten Mischung werden kann. Einige der gereiften Weltstars werden ihr Können noch einmal zeigen, ihre letzte WM nochmal zu nutzen wissen. Gleichzeitig gehe ich auch fest davon aus, dass es einige junge Spieler geben wird, die noch keiner richtig auf dem Zettel hat, die sich bei dieser WM in den Vordergrund spielen werden - etwa Kameruns Frank Anguissa von Napoli oder Frankreichs Youssouf Fofana. Allerdings kann ich mir auch Jamal Musiala als den ganz großen Gewinner dieser WM vorstellen. Der spielt gerade eine Riesensaison.

Als Welttorhüter haben Sie auch in Asien und Afrika gespielt. Wie schätzen Sie die Chancen der Teilnehmer von diesen Kontinenten ein?

Japan spielt sehr diszipliniert, sehr organisiert und kommt wie immer über den Teamgedanken. Südkorea ist physisch unheimlich stark und hat einige Unterschiedsspieler im Kader. Son Heung-min ist eine absolute Rakete. Nach seiner erfolgreichen Gesichts-OP kommt er hoffentlich schnell wieder auf Betriebstemperatur.

Und die Teams aus Afrika?

A never ending story! Vor jeder WM sagen alle, es wäre doch mal an der Zeit, dass eine afrikanische Mannschaft Weltmeister werden könnte oder zumindest mal unter die Top vier kommen sollte. Und am Ende heißt es dann wieder: hat wieder nicht gereicht. Es ist ein strukturelles Problem: Talent ist genug vorhanden, aber leider noch mehr schlechte Organisation.

Die Hoffnung stirbt doch aber bekanntlich zuletzt …

Richtig! Und ich hoffe, dass ich bei dieser WM falsch liegen werde und es einen unerwarteten Weltmeister geben wird. Das wäre eine Sensation und würde genau zu diesen exotischen Titelkämpfen passen. Exotisch deshalb, weil sie im Winter stattfindet. Exotisch aber auch wegen der Temperaturen, den vollklimatisierten Stadien. "Arenas on the rocks" und dazu passend ein Weltmeister vom heißesten Kontinent. Das Ganze mitten in der Wüste! Das wäre die größte Sensation in der Geschichte des Weltfußballs und irgendwie würde es zu der ungewöhnlichsten WM aller Zeiten passen.

Mit Lutz Pfannenstiel sprach Thomas Badtke

Quelle: ntv.de

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