Schalkes Krise wird zum Debakel Nübel patzt, Abwehr dilettiert, Coach ratlos
23.02.2020, 09:58 Uhr
Wo ist die Form der Hinrunde geblieben?
(Foto: imago images/osnapix)
Im fünften Spiel in Folge bleiben die Gelsenkirchener ohne Erfolgserlebnis. Schlimmer als die Heimblamage gegen Leipzig ist der Auftritt der Mannschaft, die letztlich kapituliert. Um die erträumte Rückkehr nach Europa nicht zu verspielen, müssen Siege her. Nur wie?
Am Ende reagierten die Fans in der berüchtigten Nordkurve mit Trotz und feierten ihren Klub, als hätte der gerade den Titel gewonnen. Noch Minuten nach dem Schlusspfiff sangen sie und schwenkten ihre Fahnen, sodass die Spieler des FC Schalke 04 anerkennend Applaus spendeten. Dabei hatte das blau-weiße Fußball-Ensemble gerade die Bundesliga-Partie gegen RB Leipzig mit 0:5 (0:1) vergeigt und dabei vor 61.433 Besuchern in der Arena eine Vorstellung geboten, die über weite Teile der 90 Minuten einer Bankrotterklärung nahe kam. "Das ist unglaublich, was unsere Fans da abgezogen haben", sagte ein sichtlich beeindruckter Jonjoe Kenny nach Spielende. "Sie geben uns das Gefühl, dass sie immer hinter uns stehen."
Diese Deutung des Schalker Rechtsverteidigers dürfte in diesen Augenblicken wohl nicht von allen geteilt worden sein. Man konnte auch den Eindruck gewinnen, dass die Supporter angesichts der spielerischen Magerkost ihrer Mannschaft ganz einfach beschlossen hatten, sich selbst zu feiern. Denn während die Leipziger nach grandiosem Auftritt im Meisterschaftszug weiterhin weit vorne sitzen und zudem vom Viertelfinale in der Champions League träumen dürfen, plagen die Kicker des Gelsenkirchener Traditionsvereins ganz andere Sorgen.
Wagner hat keine Erklärung
Tore: 0:1 Sabitzer (1.), 0:2 Timo Werner (61.), 0:3 Halstenberg (68.), 0:4 Angelino (80.), 0:5 Forsberg (89.)
FC Schalke 04: Nübel - Kenny, Kabak, Nastasic, Oczipka - Mascarell - McKennie (55. Schöpf), Serdar (70. Gregoritsch) - Harit - Raman, Matondo (46. Kutucu). - Trainer: Wagner
RB Leipzig: Gulacsi - Klostermann, Upamecano, Halstenberg - Laimer (65. Haidara) - Mukiele, Angelino - Sabitzer, Nkunku - Schick (54. Poulsen), Timo Werner (75. Forsberg). - Trainer: Nagelsmann
Schiedsrichter: Sascha Stegemann (Niederkassel)
Zuschauer: 61.433
Auf Schalke sind sie seit Wochen auf der Suche nach der verlorenen Form und haben sich in eine veritable Krise gespielt. Die furiose Entwicklung aus der ersten Saisonhälfte ist dramatisch ins Stocken geraten. Auch S04-Trainer David Wagner zeigte sich angesichts dieses Auftritts ratlos und rang sichtlich um Worte. "Wir haben heute ein schlechtes Spiel gemacht gegen eine Mannschaft die Champions-League-Niveau angeboten hat", sagt er. Eine Erklärung hatte er zunächst nicht.
Das debakulöse Ergebnis gegen den Titelkandidaten aus Leipzig, der den höchsten Auswärtssieg seiner noch jungen Bundesligageschichte feiern durfte, reiht sich damit nahtlos in die Serie der aktuellen Fehlleistungen der Schalker ein. Nach dem fulminanten Rückrunden-Auftakt der Knappen gegen Borussia Münchengladbach (2:0) hagelte es Resultate, die allesamt schlechter waren als erwartet. Mag man das 0:5 in München noch als Ausrutscher angesehen haben, so waren das magere 0:0 in Berlin, das 1:1 daheim gegen den Aufsteiger aus Paderborn, das 0:0 in Mainz und nun am Samstagabend das 0:5 gegen RB Leipzig allesamt deutlich zu wenig, um dem angestrebten Ziel - Rückkehr in den Europacup - nahe zu kommen. Eklatant dabei: In den fünf Begegnungen gelang gerade mal ein mageres Tor. Das erinnert fatal an die zahlreichen schwachen Auftritte der Blau-Weißen in der Vorsaison.
Königsgrau statt königsblau
Gerade das Gastspiel des blau-weißen Fußballkollektivs in Mainz hatte neben der Enttäuschung der Fans über eine königsgraue Leistung beim 0:0-Langweiler, der schwer an den Tedesco-Fußball der schlimmen Vorsaison erinnerte, auch Verwunderung hervorgerufen. Trainer Wagner hatte in der Schlussphase Ballkünstler Amine Harit ausgewechselt und stattdessen mit Juan Miranda einen Defensivmann auf den Platz geschickt und damit das Zeichen gesetzt, den einen Punkt zu sichern. Verständnis erntete er dafür nicht. Der Schalker Coach, der seit Saisonbeginn eher für kompromisslosen Offensivfußball steht, hatte nach Spielende eine aus Fansicht nicht durchweg nachvollziehbare Erklärung parat. "Wenn du spürst, dass du Spiele nicht gewinnen kannst, dann solltest du sie wenigstens nicht verlieren."
Das klingt ein wenig nach Mutlosigkeit, doch dürfte wohl kaum jemand besser die allgemeine Gemengelage im Team der Gelsenkirchener kennen als der Chefübungsleiter selbst. Angesichts der Länge des ärztlichen Bulletins, in dem neben den Langzeitverletzten Salif Sane, Benjamin Stambouli und Daniel Caligiuri auch Suat Serdar auftauchte, sind solche unpopulären Entscheidungen zumindest nachvollziehbar, da der Kader nicht über die erforderliche Breite verfügt, um das zu kompensieren. Vor allem der Neu-Nationalspieler fehlte den Blau-Weißen in den Wochen zuvor. Ohne ihn gelang den Schalkern noch kein einziger Sieg in dieser Saison.
"So viele Akteure unter ihrer Form"
Doch auch mit ihm blieb das ersehnte Erfolgserlebnis am Samstagabend nur frommes Wunschdenken. Serdar war zurück im Team, doch der nächste Nackenschlag folgte früh. Nach dem ersten offensiven Vorstoß der Hausherren gelang Leipzigs Marcel Sabitzer mit einem sehenswerten 25-Meter-Schuss schon in Spielminute eins der frühe Führungstreffer, bei dem Schalkes Keeper Alexander Nübel keine gute Figur abgab. Der Torsteher, der im Sommer zu den Bayern nach München wechselt, patzte schwer und offenbarte auch in der Folge viele Unsicherheiten, was die Nordkurve zunächst mit wachsendem Unmut und Pfiffen, später sogar mit Spott quittierte. Man kann auch sagen, der Torsteher war am Samstagabend der torgefährlichste Schalker Akteur. Allerdings wollte Wagner sich zur Causa Nübel im Speziellen nicht äußern. "Das verbietet sich aus meiner Sicht, über Einzelspieler zu reden", sagte er. "Heute waren so viele Akteure unter ihrer Form, dass wir dann über acht, neun Spieler sprechen müssten."
Tatsächlich wirft der aktuelle Auftritt seiner Mannschaft Fragen auf. Nicht ein einziger Torschuss gelang den Gastgebern bis zum Pausenpfiff, die Leipziger kontrollierten das Geschehen und müssen sich lediglich vorwerfen, nicht früher nachgelegt zu haben. 0:11 lautete das Torschussverhältnis zum Seitenwechsel, insgesamt hieß es in dieser Statistik am Ende 3:24. Das Tore schießen holten die Gäste dann aber nach: in der 61. Minute, als Timo Werner sträflich frei vor Nübel auftauchte und das vorentscheidende 2:0 markierte, in der 68. durch Marcel Halstenberg, in der 80. durch Angelino und in der 89. durch Emil Forsberg. Schalkes Probleme blieben einmal mehr offensichtlich: offensiv zu einfallslos, defensiv unfassbar anfällig und in der Gesamtheit ganz einfach zu schwach. Für Zählbares kamen die Blau-Weißen an diesem aus ihrer Sicht enttäuschenden Abend ganz sicher nicht infrage.
Vom Vorsprung ist nicht mehr viel übrig
Noch belegen die Gelsenkirchener in der Tabelle der Bundesliga den sechsten Platz, der zur Teilnahme an der Europa League berechtigt. Aber die Luft wird dünner und der komfortable Vorsprung aus der Hinrunde ist allmählich aufgebraucht. Zudem bleibt der Schalker Weg aktuell rätselhaft. Seit dem 0:5-Debakel in München wirkt die Mannschaft, als hätte ihr jemand den Stecker gezogen. Die von Wagner mehrfach herbeigeredete Personalmisere darf zumindest für den Offensivbereich nicht mehr als Ausrede gelten, da alle wichtigen Akteure wieder fit sind.
Schon in der nächsten Woche steht das Auswärtsspiel bei den aktuell formstarken Kölnern an, danach das Pokal-Viertelfinale gegen die Bayern (3. März). Wagner muss nun rasch Lösungen anbieten, die allein in der täglichen Trainingsarbeit zu finden sind. "Ich habe schon häufiger Spiele verloren", sagte er am Ende eines denkwürdigen Abends. "Das ist nicht schön, aber es geht nun ganz einfach darum, die Spieler wieder in die Form der Vorrunde zu bringen." Klingt eigentlich ganz simpel, Zuversicht aber hört sich anders an …
Quelle: ntv.de