Provinzklub vorm Aufstieg Paderborn ist der kleine FC Hollywood
05.05.2014, 17:41 Uhr
Jubel in Sandhausen: Nur ein Sieg trennt Paderborn noch vom direkten Aufstieg in die 1. Fußball-Bundesliga. Die Relegationsspiel hat der SC sicher.
(Foto: imago/Eibner)
Von Fans und Experten lange belächelt, steht der SC Paderborn plötzlich vor einer der ganz großen Sensationen der Fußball-Geschichte: dem Aufstieg in die 1. Liga. Nun muss der Klub nur noch seine Spießbürger euphorisieren.
Obwohl die Geschichte des SC Paderborn aus dem beschaulichen Ostwestfalen kaum der Rede wert ist, hat der Provinzklub einiges zu bieten: einen Präsidenten mit Visionen, einen Spieler mit Knast-Hintergrund und eine Nachbarschaft mit "Spießbürgern" - was die DFL noch vor große Probleme stellen könnte.
Fragt man den Otto-Normal-Verbraucher, was er mit Paderborn in Verbindung bringt, viel würde ihm wohl nicht einfallen. Dass das Städtchen im südöstlichsten Winkel der Westfälischen Tieflandsbucht liegt, wissen wohl nicht viele; dass dort mehr als 144.000 Menschen leben, dürfte überraschen. Große Attraktionen hat die Stadt nicht zu bieten, das 2011 neu eröffnete Theater darf schon als kulturelles Highlight bezeichnet werden. Darüber hinaus gibt es zwölf Museen, die neben Kunst und historischen Sammlungen auch Exponate aus der Industriekultur zeigen, darunter auch das Deutsche Traktoren- und Modell-Auto-Museum, das laut eigenen Angaben eine Sammlung von mehr als 100 Traktoren bedeutender deutscher Hersteller beherbergt - eine Weltstadt sieht anders aus.
Gegründet als graue Fußballmaus
Da passt es ins Bild, dass die Stadt mit dem SC Paderborn einen Fußballverein beheimatet, der das Image als graue Maus gefühlt schon bei seiner Gründung 1907 auf den Briefkopf gedruckt bekommen hat. Stars haben hier nie gespielt, Erfolge sucht man in den Geschichtsbüchern vergebens. In die aktuelle Zweitliga-Saison startete der Provinz-Club mit dem zweitkleinsten Etat der 18 Vereine. Umso überraschender, dass Paderborn die 2. Bundesliga aufmischt und einen Spieltag vor Saisonende als Tabellenzweiter vor der ganz großen Sensation steht: dem direkten Aufstieg ins Oberhaus.
Zu verdanken ist die sportliche Entwicklung einem Mann, der den Verein einst rettete: Wilfried Finke. Der 62-jährige Möbel-Unternehmer bewahrte den SCP vor dem finanziellen Ruin und leitet mittlerweile als Präsident die Geschicke des Vereins. Er war es auch, der schon in der Winterpause vom Aufstieg redete, zu einem Zeitpunkt, als Paderborn nur Siebter war. "Es hat keiner so richtig ernst genommen. Aber ich glaube an die Kraft der Gedanken", sagte Finke jüngst: "Ohne Vorstellungskraft wird man nicht aufsteigen. Und wenn man das Saisonziel Klassenerhalt ausgibt, wird man maximal Elfter. Ich habe bisher in jeder Saison eine Vorhersage gemacht - und wir sind immer im Zielkorridor gelandet."
Euphorie soll Spießbürger bekehren
Die Rahmenbedingungen für das Bundesliga-Oberhaus hat Finke schon lange geschaffen. Einer Erstliga-Lizenz steht nichts im Wege, das 15.000 Zuschauer fassende Stadion genügt vorerst den Ansprüchen, wenn Gegner wie Bayern oder Dortmund in der kommenden Saison in Paderborn gastieren. "Ein Jahr dürfen wir laut DFL-Recht mit dieser Größe spielen", erklärt der Präsident und denkt schon einen Schritt weiter: "Sollten wir tatsächlich die Klasse halten, könnte man das Stadion mit den Erfahrungen aus der ersten Saison in der Winterpause aufstocken. Das wurde schon beim Bau so berücksichtigt."
Was beim ersten Spatenstich im Sommer 2005 nicht berücksichtigt wurde, sind die Anwohner, die dem Fußball im beschaulichen Ostwestfalen offenbar nichts abgewinnen können. Weil es ihnen zu laut ist, wenn in Paderborn der Ball rollt, reichten die Nachbarn der Benteler-Arena eine Klage ein - und bekamen Recht. Laut einem Urteil müssen die Spiele des SCP bis 22 Uhr beendet sein. Das wird sich auch im Falle eines Aufstiegs nicht ändern, "es sei denn, diese spießbürgerlichen Leute verfallen ebenfalls in die Euphorie um den Verein und man findet aus dem Wir-Gefühl heraus eine Lösung", so Finke.
An Freitagsspiele unter Flutlicht ist in Paderborn also vorerst nicht zu denken. Trotzdem wird sich der Verein umstellen müssen, sollte Sonntag gegen den VfR Aalen der letzte Schritt gemacht werden. Der Jahresetat würde von 6 auf 15 Millionen Euro steigen und sich damit auf dem Niveau von Bundesliga-Schlusslicht Eintracht Braunschweig bewegen. Halsbrecherische Investitionen wird es nicht geben. "Als Unternehmer weiß ich, dass man die gravierendsten Fehler macht, wenn es einem gut geht", erläutert Finke, der vier gestandene Neuzugänge verpflichten und dazu zwei neue Talente einbinden will.
Talent aus der "Macheten-Bande"
Das grobe Gerüst des Zweitliga-Kaders bleibt bestehen. Mal abgesehen von Mahir Saglik, der schon für den VfL Wolfsburg gespielt hat, besteht die Truppe von Trainer Andre Breitenreiter überwiegend aus No-Names. Hinten zählt der Ex-Dortmunder Martin Amedick noch zu den bekanntesten SCP-Profis. Vorne sind es Kicker wie Alban Meha und Elias Kachunga, auf deren Schultern die Hoffnungen der Paderborner liegen. Die Spieler passen in das Bild, das Paderborn nach außen abgibt - mit einer Ausnahme: Süleyman Koc.
Der Rechtsaußen absolvierte in dieser Saison zwar nur zehn Spiele, wird in den Medien in diesen Tagen aber gerne als Sinnbild des SC Paderborn herangezogen. Koc ist im Laufe seiner Karriere auf die schiefe Bahn geraten. Vor gut drei Jahren war der Deutsch-Türke an sechs Überfällen in seiner Heimatstadt Berlin beteiligt. Seine Komplizen räumten mit Macheten bewaffnet Spielhöllen aus. Es wurden Menschen verletzt. Laut Gerichtsurteil war Koc am Tatort allerdings nie unmittelbar dabei. Weil er als einziger der so genannten "Macheten-Bande" einen Führerschein hatte, musste das damals hoch gehandelte Talent des SV Babelsberg den Fluchtwagen fahren - eine kriminelle Karriere, die die sportliche gefährdete: Wegen schweren bandenmäßigen Raubes wurde Koc zu drei Jahren und neun Monaten Haft verurteilt.
Genau wie Paderborn im Laufe der letzten Jahre wie Phoenix aus der Asche auferstanden ist, hat es auch mit Koc ein gutes Ende genommen. Er hielt sich in der Zelle fit, stemmte Sprudelkästen und durfte wegen guter Führung in den offenen Vollzug wechseln. Weil er bei Babelsberg herausragte, wurde der SCP auf ihn aufmerksam und verpflichtete den einstigen Ganoven Anfang dieses Jahres.
Koc bedankte sich für das Vertrauen auf seine Art: Beim 2:2 am 31. Spieltag gegen den direkten Aufstiegskandidaten Greuther Fürth erzielte er genauso den wichtigen Führungstreffer wie eine Woche später beim 2:0 gegen den SV Sandhausen - und könnte damit maßgeblichen Anteil daran haben, dass Paderborn sein Image als graue Maus am Sonntag endgültig los ist.
Quelle: ntv.de, sport.de