Sechs Dinge, die wir am 9. Spieltag gelernt haben Phantom-Kießling schlägt Mario Messi
21.10.2013, 13:00 Uhr
Stefan Kießling berät sich mit Bayers Sportchef Rudi Völler über das Tor, das keines war. Die Chance auf Fairplay war da schon vertan.
(Foto: dpa)
Kießling der Buhmann, Referee Brych der Depp, Spielwiederholung alternativlos? Die Debatte ums Phantomtor beschäftigt die Fußball-Bundesliga. Was sonst noch geschah am 9. Spieltag? Mario Götze! Er ist für den FC Bayern so wertvoll wie Ribéry. Und der könnte nicht wertvoller sein.
1. Fußballlogik ist ziemlich unlogisch
Reflexe sind etwas Wunderbares im Fußball, Manuel Neuer und Co. werden das gerne bestätigen. Reflexe sind aber auch etwas Furchtbares, und da muss man gar nicht bei Reflex-Rambo Jürgen Klopp oder Gladbachs Handballer Dominguez nachfragen. Man muss sich nur die Debatte um das Phantomtor zu Hoffenheim anschauen. Das Spiel war noch nicht abgepfiffen, da hallte schon der Ruf nach einem Wiederholungsspiel durch Fußballdeutschland. Beim Helmer Thomas, damals 1994 in Nürnberg, da war das ja auch so. Das stimmt irgendwie und es stimmt irgendwie nicht, die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" hat das hübsch aufgeschrieben. Richtig ist nämlich, dass Helmer damals ein Tor erzielte, das keines war und die Partie FC Bayern gegen Nürnberg später noch einmal ausgetragen wurde. Falsch ist aber, dass es seitdem keine vergleichbaren Phantomtore gegeben hätte. Nur Wiederholungen gab es nicht - zu Recht, denn sonst müssten die Fußballoberen auch erklären, was einen irregulär anerkannten Treffer von einem nicht gegebenen regulären Tor unterscheidet. Die Antwort hierauf lautet sogar reflexartig: nix.
2. Felix Brych ist kein Depp

Schiedsrichter Felix Brych inspiziert das kaputte Tornetz. Da hatte er Kießlings Phantomtor allerdings schon offiziell anerkannt.
(Foto: imago sportfotodienst)
Das war schon unangenehm für einen der besseren deutschen Schiedsrichter. "Es ist keine tolle Situation für mich, dass ich ein Tor gegeben habe, das keines war", sagte Felix Brych hinterher. Er hatte es nicht gesehen, seine Assistenten halfen ihm nicht, die Spieler auch nicht. Und Felix Brych steht als Depp da. Dabei könnte alles so einfach sein. Klar, Chip im Ball, Torlinientechnik, das geht auch. Sagte Dirk Brochhausen der "Süddeutschen Zeitung". Er hat mit seiner Firma "Goal control" entwickelt, das die Fifa bei der Weltmeisterschaft in Brasilien einsetzt. Sieben Kameras beobachten jedes der beiden Tore. "Das System verfolgt den Ball und dessen Position kontinuierlich und automatisch in drei Dimensionen; X-, Y- und Z-Koordinaten mit einer Präzision von Millimetern." Klingt beeindruckend. Aber im Grunde hätte gereicht, dass einer der Schiedsrichter das machen darf, was normalerweise jeder der Zuschauer auf der Anzeigetafel oder dem Videowürfel tun kann - sich einfach die strittige Szene noch einmal auf dem Bildschirm anschauen. Und per Funk mitteilen: kein Tor. Videobeweis heißt das. Uns fällt kein Grund ein, warum das nicht möglich sein sollte. Es ist absurd. Doch Lebbe geht weiter, auch für Felix Brych. Am Dienstag darf er in der Champions League die Partie des AC Mailand gegen den FC Barcelona pfeifen.
3. Stefan Kießling ist nicht der Buhmann

Verhaltener Torjubel: Die Leverkusener freuen sich über das Phantomtor.
(Foto: imago sportfotodienst)
Stefan Kießling hätte dem Schiedsrichter sagen können: "Kann nicht sein. Ich habe den Ball neben das Tor geköpft - und mich deswegen auch geärgert und mir die Haare gerauft." Hat der Leverkusener Angreifer aber nicht. Warum, das ist Spekulation. Vielleicht war er verwirrt - schließlich war er plötzlich umringt von jubelnden Mitspielern. Und die Hoffenheimer liefen auch nicht Sturm. Vielleicht hat er aber auch nur die Gunst der Sekunde genutzt. Wie einer, der mit vollgepacktem Einkaufswagen an der Supermarktkasse steht und plötzlich nur 4,99 statt 44,90 Euro zahlen soll. Kann nicht sein, aber egal. Und dann schnell das Geld hinlegt und abhaut. Nur dass Stefan Kießling das in aller Öffentlichkeit getan hat. Kein feiner Zug, aber kein Grund, ihn nun zu verteufeln. In einer besseren Bundesligawelt hätten die Leverkusener dennoch ihre Chance nutzen können.
Wie die Spieler des englischen Zweitligisten Yeovil Town im Pokal gegen Birmingham City Ende August. Sie hatten in der letzten Minute der regulären Spielzeit den Ausgleich erzielt - auf unsportliche Art und Weise. Weil Birminghams Verteidiger Dan Burn verletzt am Boden lag, spielten seine Kollegen den Ball ins Aus. Doch Yeovil warf den Ball nicht, wie üblich, zum Gegner, sondern griff an. Byron Webster überlupfte Birminghams verdutzten Torhüter Colin Doyle, der weit vor seinem Tor stand - 2:2, Verlängerung. Nach 104 Minuten brachte Luke Ayling Yeovil mit 3:2 in Führung. Doch in der 105. Minute geschah das Unglaubliche. Beim Anpfiff zur zweiten Hälfte der Verlängerung taten Yeovils Spieler - nichts. Auf Anweisung ihres Trainers Gary Johnson. Birminghams Lee Paul Novak durfte ungehindert den Ball zum 3:3 ins gegnerische Tor befördern. Am Ende siegten die Gäste im Elfmeterschießen, Yeovil war raus. Für Johnson war das nicht das Wichtigste. Er habe noch einmal über das Tor zum 2:2 nachgedacht, sagte der der BBC. Und sich in der Halbzeit der Verlängerung bei Lee Clark, dem Trainer Birminghams, dafür entschuldigt, seine Spieler abgehalten zu haben, den Ball nicht zurückzuspielen. Das sei nicht die feine Art gewesen. "It was ungentlemanly." So geht's auch.
4. Der BVB-Kader ist jetzt in der Spitze breiter
Nach der unglückseligen Auswärtsniederlage in Gladbach und vor dem Heimspiel gegen Hannover musste BVB-Trainer Jürgen Klopp wieder einmal jene Frage beantworten, die an Borussia Dortmund haftet wie das Liebespech an Lothar Matthäus: Ob denn der BVB-Kader nicht doch zu dünn besetzt sei für den Tanz auf drei Hochzeiten. Klopps Gesicht war zur Faust geballt, als er die Frage unwirsch zurückwies und wissen wollte, wie viele Sechser ein Kader denn aufweisen müsse, um den Ausfall von vier Spieler zu kompensieren. Noch besser dürfte ihm aber die Antwort gefallen haben, die seine Spieler auf dem Platz gaben. Obwohl mit Mats Hummels, Lukasz Piszek und Marcel Schmelzer drei Viertel der etatmäßigen Abwehrreihe ausfielen, obwohl Herzschrittmacher Ilkay Gündogan fehlt, erarbeitete sich der BVB einen verdienten 1:0-Heimsieg – weil der BVB-Kader nicht durch Einkäufe, sondern auch organisch durch beförderte Spitzentalente wie Erik Durm und Jonas Hofmann gewachsen ist. Falls also nochmal jemand fragt: nein.
5. Es geht auch ohne Tore
So ganz zufrieden waren hinterher weder die Bremer noch die Freiburger. So richtig unzufrieden allerdings auch nicht. Oder wie es Freiburgs Trainer Christian Streich formulierte: "Mühsam ernährt sich das Eichhörnle." Viel mehr gab es auch nicht zu sagen zu dieser Partie im Weserstadion, dessen Einzigartigkeit allein darin bestand, dass es das erste 0:0 in dieser an Toren so reichen Bundesligasaison war. Und die 999. Nullnummer in der Geschichte der Liga. Ansonsten fielen an diesem neunten Spieltag 26 Treffer, exakt 2,89 pro Partie, wenn wir Stefan Kießlings Phantomtor mal mitzählen, 264 sind es bisher insgesamt in dieser Saison. Das sind so viele wie seit der Spielzeit 1985/1986 nicht mehr. Da war Kießling gerade einmal anderthalb Jahre alt.
6. Götze ist in München angekommen
Der aktuelle Kader des FC Bayern gilt gemeinhin als bester der Ligageschichte. Charakterlich einwandfrei, exzellent ausbalanciert und auf allen Positionen mehrfach exquisit besetzt, bisweilen sogar vierfach, wenn man auf die halbierte Doppelsechs schaut. Selbst für den unersetzlichen Philipp Lahm gibt es rechts hinten jetzt einen Rafinha. Nur einer schien immer noch unabkömmlich beim FC Bayern: Franck Ribéry. Es gibt Kollegen, die den Franzosen für maßlos überschätzt halten. Es gibt Kollegen, die ihn zu "Europas Fußballer des Jahres" gewählt haben. Bayern-Coach Pep Guardiola hält Ribéry für seinen Münchner Messi und dessen Statistiken legen den Schluss nahe, dass er zu gut ist für die Fußball-Bundesliga. Unstrittig ist, dass der FC Bayern mit seinem französischen Messi eine Klasse besser spielt als ohne ihn. Würde FSV-Coach Thomas Tuchel Halbzeitinterviews geben, hätte er das am Samstag bestätigt, da fehlte Ribéry verletzt. Das Problem mit allen Messis ist, dass es von ihnen so wenige gibt, schon gar nicht zwei in einem Verein.
Bislang zumindest, denn der Luxus-Kader des FC Bayern gibt offenbar auch für dieses Problem eine Lösung her: Mario Götze. Nach seinen brillanten 45 Minuten gegen Schweden ließ der offiziell als Jahrhunderttalent beglaubigte Dribbelkönig 45 brillante Minuten gegen Mainz folgen, in denen der FC Bayern aus einem Pausenrückstand noch ein 4:1 machte. Ohne Kießlings Phantomtor wäre Götze der Mann des Spieltags gewesen, denn mit ihm spielte der FC Bayern plötzlich wie sonst nur mit Ribéry, mit Zug zum Tor, Verve, Unberechenbarkeit, Esprit. Es sieht so aus, als wäre Götze endlich angekommen in München. Jetzt muss er nur noch zeigen, dass er auch mit Ribéry zusammen zaubern kann - und Pep Guardiola bei der DFL beantragen, künftig zwölf Spieler in seine Startelf stellen zu dürfen. Damit Platz ist für Mario Messi.
Quelle: ntv.de