Offensivspektakel und Defensivgewackel Die "Rocky"-Bayern suchen die Balance
10.08.2013, 07:06 Uhr
Pep Guardiola, ein Spanier in bayerischer Emphase.
(Foto: REUTERS)
Pep Guardiola hatte Offensive versprochen, und seine Bayern lösten es ein: Mit offenem Visier wollten sie Gladbach erdrücken. Doch die Borussia wehrte sich tapfer – und knockte sich am Ende mit einer Slapstick-Einlage selbst aus. Das neue System von Guardiola überzeugt derweil nicht alle Spieler.
Für die SPD ist es ein Jammer, dass Lucien Favre Schweizer ist. Die Sozialdemokraten könnten einen fähigen Kanzlerkandidaten gebrauchen, und der Trainer der Borussia aus Mönchengladbach wäre ihr Mann. Denn Favre kann etwas, das Peer Steinbrück nur von sich behauptet: Klartext reden. Er beendet sogar seine Sätze gerne mit: "Das ist klar." Nach der 1:3-Niederlage in München sagte Favre über das Spiel seiner Mannschaft: "Hier kannst du nur etwas erreichen, wenn du mitspielst. Wir sind ein hohes Risiko gegangen – und dadurch gab es dann für meinen Geschmack zu viele Torchancen, das ist klar."

Es war ein Kampf der Systeme, aber auch eine Frage des Gleichgewichts: Rocky Balboa gegen Ivan Drago.
(Foto: imago stock&people)
Da hatte der Klartextredner Favre dann doch fast untertrieben. Es gab wirklich unfassbar viele Torchancen in diesem Spiel. Was auf der einen Seite nicht weiter verwunderlich ist bei der Offensivstärke der Bayern. Insgesamt 26 Torschüsse gab der Meister ab – aber er ließ eben auch 11 Torschüsse der Gladbacher zu. Das liegt daran, dass sich der FC Bayern unter Guardiola verwandelt hat: Zumindest Stand jetzt wirken die Bayern wie ein ungestümer Boxer, der seinen Gegner in den ersten Minuten ausknocken möchte, und dabei zuweilen die Deckung vergisst. Ein bisschen wie Rocky Balboa aus den "Rocky"-Filmen von Sylvester Stallone. Ein Puncher, eine Dampfwalze, aber kein Stratege. In der letzten Saison dagegen ähnelten die Bayern noch Ivan Drago, der gnadenlosen sowjetischen Kampfmaschine ohne Schwächen.
Anfällig für Konter
Der Garant der bayrischen Unverwundbarkeit war die Doppelsechs aus Bastian Schweinsteiger und Javi Martinez. Martinez war mit 62,6% gewonnenen Duellen zweikampfstärkster Mittelfeldspieler der Liga, keine seiner 27 Partien verlor sein Klub. Insgesamt 21 Mal spielten die Bayern zu Null, das ist aktueller Ligarekord. Momentan spricht nicht viel dafür, dass die Münchner ihre eigene Bestmarke verbessern. Pep Guardiola hat einen der Sechser ins offensive Mittelfeld verschoben. Die Folge: eine atemberaubende Offensivkraft. Robben über rechts und Ribery über links landeten einen Wirkungstreffer nach dem anderen, schon in der 16. Minute führten die Bayern 2:0, die erste La Ola machte in der 24. Minute die Runde.
Sobald aber die Bayern den Ball los waren, schalteten die Borussen sehr schnell und überrannten die Bayern, die bei Borussen-Kontern im defensiven Mittelfeld schlicht unterbesetzt waren. Neuer parierte in der 29. Minute noch in Weltklasse-Manier, beim Eigentor von Dante kurz vor der Pause war der Nationaltorhüter dann chancenlos.
"Zu wenig Ballkontrolle" hätten seine Spieler dann in der 2. Halbzeit gehabt, sagte Pep Guardiola nach dem Spiel. Nur: 100 Prozent Ballbesitz sind nicht möglich, auf 60 Prozent brachten es die Bayern, sie ließen die Gladbacher mit ihren 40 Prozent einfach zu viel anstellen. Symptomatisch die 60. Minute, als Toni Kroos mit einem platzierten Schuss nur den Pfosten traf – und die Gladbacher dann mit einem schnellen Konter gefährlich vor das Bayern-Tor kamen, Kramer dann aber seinen eigenen Mann Raffael abschoss. "Das kann nicht sein", sagte Toni Kroos zu dieser Szene. "Die Spieler, die nicht an der Offensivaktion beteiligt sind, müssen die Kontersituation kontrollieren."
"Zu wenig Tore haben wir nicht gemacht"
Erst das 3:1 brachte schließlich den Gladbacher Vorwärtsdrang zum Erliegen – ein bitteres Gegentor. "Das 3:1, oh je", sagte Trainer Lucien Favre nur, und was könnte man Klareres über diese Situation sagen? Alvaro Dominguez prallt der Ball im eigenen Strafraum an die Hand, unglücklich, aber es gibt Elfmeter. Thomas Müller läuft an, der Gladbacher Torhüter pariert, aber die Borussia bekommt den Ball nicht aus dem Strafraum. Robben dringt von rechts ein, nimmt den Ball mit der Brust mit – und Dominguez geht zum Ball wie ein Basketballer, der auf einen Steal aus ist. Schon wieder ein Pfiff, wieder die richtige Elfmeterentscheidung, diesmal mit der Gelben Karte für den bedauernswerten Dominguez. Alaba tritt an und versenkt sicher, das Spiel ist entschieden.
Torschütze Arjen Robben war danach voll des Lobes für das neue System Guardiola. "Mir gefällt, dass wir sehr offensiv spielen", sagte er – keine sonderlich überraschende Aussage für Robben, der Defensivaufgaben schon immer bestenfalls für ein notwendiges Übel hielt. Sein Kollege Toni Kroos scheint da schon skeptischer zu sein: "Wir spielen jetzt ein bisschen offensiver - mal sehen, wem das zugute kommt", sagte der Mittelfeldmann und setzte vielsagend nach: "Ich glaube, zu wenig Tore haben wir letzte Saison nicht gemacht."
Solange die Bayern Siege einfahren, ist die Diskussion über Guardiolas Ausrichtung ohnehin müßig, das weiß auch der Trainer, der offenbar erstmal nur über die Runden kommen will: "Wir brauchen Ergebnisse in den ersten drei, vier Spielen, denn einige Spieler sind noch nicht bei 100 Prozent." Ein Javi Martinez zum Beispiel ist einer dieser Spieler – er kam erst für die letzten 5 Minuten ins Spiel. Vielleicht kann er ja dafür sorgen, dass die Bayern wieder so unbezwingbar aussehen wie die Kampfmaschine Ivan Drago.
Quelle: ntv.de