100-Millionen-Junge Bellingham Real Madrid reißt dem BVB das Herz raus
08.06.2023, 19:03 Uhr
Wo bitte geht es hier nach Spanien, Herr Stegemann?
(Foto: picture alliance / Dennis Ewert/RHR-FOTO)
Der nächste kommende Weltstar verlässt Borussia Dortmund. Auch Jude Bellingham geht durch die Vordertür. Er ist der Publikumsliebling und spült dem BVB unendlich viel Geld in die Kasse. Für 103 Millionen Euro erhält Real Madrid das Herz des Dortmunder Spiels.
Am Tag, an dem die Fußballwelt von Lionel Messi auf den Kopf gestellt wurde, verabschiedete sich auch Jude Bellingham aus der Bundesliga. Der eben erst von seinen Kollegen zum Spieler der Saison gekürte Engländer wird zukünftig bei Real Madrid das Mittelfeld anführen. Der 19-Jährige bringt alles mit, um den Fußball in den nächsten Jahren zu dominieren. Wieder einmal verliert Borussia Dortmund einen Jungstar. Wieder einmal kassiert der BVB eine dicke Ablöse. Bis zu 135 Millionen Euro kassieren die Dortmunder von Real Madrid.
Es gibt da dieses eine Bild: Der 16-jährige Bellingham sitzt am 16. Mai 2020 vor dem Fernseher. Es ist Pandemie. Weltweit wurde der Sport gestoppt. Nur in Belarus spielen sie weiter, weil Präsident Alexander Lukaschenko das Coronavirus für überschätzt und mit Wodka, Saunagängen und Traktorfahren bekämpfbar hält. Doch sonst vertreibt sich die Menschheit die Zeit mit Spaziergängen. Denn immerhin wird es im nördlichen Teil der Welt Frühling. Und dann entwickelt die Bundesliga ihr Hygienekonzept. Weltweit wird es geschätzt, in Deutschland ist es umstritten. Alles egal. Das erste Spiel ist gleich das Derby: Borussia Dortmund gegen Schalke.
Und Jude Bellingham sitzt, wie die ganze Welt, vor dem Fernsehen. Er trägt ein Trikot von Borussia Dortmund, von dem Verein, dem er sich bald anschließen wird. Nicht Manchester United, nicht der FC Chelsea und auch nicht Bayern München, die den Transfer in letzter Sekunde noch kapern wollten. Der Junge aus Birmingham will in dieses Stadion, das an diesem Samstag von Gott verlassen und doch die Unterhaltungszentrale der Welt ist. Der BVB gewinnt 4:0. Kurz nach seinem 17. Geburtstag am 29. Juni gibt Dortmund die Verpflichtung bekannt. 25 Millionen Euro für einen Zweitligaspieler aus England. Große Verwunderung setzt ein.
Der Ur-Dortmunder aus Birmingham
Dabei ist die Arbeit da längst getan. Über ein Jahr hat der BVB um Bellingham geworben, seine Fähigkeiten mehrfach abgeklopft. In Dortmund glauben sie, das wohl größte Talent seiner Generation verpflichtet zu haben. Und sie glauben auch, dass er ihnen auf einem ganz anderen Feld helfen kann. Bellingham soll dem nach Emotionalität lechzenden, nach Mentalität strebendem Klub neues Leben einhauchen. Beides gelingt ihm sofort. "Jude, Jude, Jude", hallt es durchs Stadion, wenn mal Zuschauer da sind. Die, die sich anfangs noch beschweren, dass beim "jungen Engländer immer seine Religion erwähnt wird", erfahren nun, dass dieser Jude Bellingham ein formidabler Fußballer ist.
Mit seiner Gier, mit seinen Zweikämpfen, seiner Athletik und seiner Körperlichkeit wird er innerhalb kürzester Zeit der Ankerpunkt des Dortmunder Spiels. Er ist der Spieler, der den Dortmunder in ihren Träumen erschienen ist. Er verkörpert Borussia Dortmund und trägt den Verein aus Westfalen. Für zwei Jahre spielen der kämpfende Stratege und das norwegische Torungeheuer Erling Haaland in einer Mannschaft, im ersten Jahr steht auch noch Jadon Sancho an ihrer Seite. Eine irrwitzige Ansammlung an Talent, Potenzial und Starpower. Die immerhin im Jahr 2020/2021 den DFB-Pokal gewinnt, sonst aber den Weg aller Dortmunder Mannschaften geht.
Der ungeduldige Kapitän
Die Talente kommen, laden sich in Dortmund mit Emotionen auf, vermengen ihre Geschichte mit der des Vereins und gehen kurz bevor sie den Weg in die absolute Weltklasse finden. Nicht allen gelingt das. Sancho floppte bei Manchester United, dagegen erhob sich der ohnehin schon überlebensgroße Haaland zum kommenden Weltfußballer. Den Norweger kann nur noch eine Serie von Eigentoren seiner Citizens im Finale der Champions League von Gewinn des Ballon d'Or abhalten.
Bellingham wird nun wird bei Real Madrid mit gerade einmal 20 Jahren seinen Dienst antreten. Er bringt die Erfahrung aus 132 Einsätzen für den BVB mit. Dabei erzielte er 24 Tore, bereitete weitere 25 vor. Manchmal schlägt sein Ehrgeiz in Unmut um. Dann winkt er ab, resigniert, staucht seine Mitspieler zusammen, diskutiert mit dem Schiedsrichter, sieht unnötige Gelbe Karte. Er will immer alles, und er will es sofort. Die Schwarzgelben führt er in der abgelaufenen Saison häufiger als Kapitän aufs Spielfeld. In England wird er vergöttert, doch noch hält er sich von der besten Liga der Welt fern. Er will sich weiter mit Geschichte aufladen, will seinen eigenen Weg gehen und den Plastikklubs wie Manchester City seine Qualitäten nicht schenken.
Das letzte Tor im Westfalenstadion
Borussia Dortmund spült der Wechsel wieder mächtig Geld in die Kassen. Rund 60 Prozent der Basisablöse sollen direkt reinvestiert werden. Neue Spieler werden kommen. Sie werden das wilde Herz des BVB ersetzen müssen. Nicht alle werden so jung sein. In den letzten Jahren hat der BVB die Transferstrategie ein wenig verändert. Schaut nicht nur auf den Wiederverkaufswert, schaut auch auf den Charakter. Wer auch immer kommen wird, kann optimistisch sein. In der zweiten Halbserie der letzten Spielzeit ist Bellingham, dem bei der WM in Katar auch international der endgültige Durchbruch gelingt, nicht mehr der prägende Spieler des BVB. Die Rolle übernehmen andere.
Bellingham kann ein wenig zurücktreten und sich auch daran erfreuen, wie wunderbar Julian Brandt auf einmal Fußball spielen kann. Beide ergänzen sich und respektieren sich. Es ist bei jeder Ballberührung zu sehen. Doch dass der Optimismus allein nicht ausreichen wird, zeigen die letzten 90 Minuten der Saison. Bellingham kann nicht auflaufen. Nach dem Spiel gegen Mainz steht er einsam im Stadion rum, mit leerem Blick klatscht er mit den Fans ab, wird von Trainer Edin Terzić in den Arm genommen, weint bittere Tränen.
Als die Meisterschaft ohne den verletzten Bellingham also verspielt ist, als Dortmund Ende Mai um die vergebene Chance trauert und die Mannschaft sich zerstreut, zieht es den Engländer noch einmal ins Westfalenstadion. Er schnappt sich einen Ball und trifft ein letztes Mal in das Tor vor der Südtribüne. Er trägt kein Trikot. Es hat sich in seine Erinnerung gebrannt.
Quelle: ntv.de