Ein Weltstar im Wartemodus Ronaldos ungewöhnliche Ungewissheit
10.05.2020, 18:19 Uhr
Für Ronaldo läuft es gerade nicht wie geplant.
(Foto: imago images/PanoramiC)
Vor wenigen Tagen kehrt Cristiano Ronaldo nach Italien zurück. Nun befindet er sich in Quarantäne und kann über die nächsten Jahre seiner Karriere sinnieren. Eventuell geht diese nicht bei Juventus zu Ende. Eine ungewisse Zeit für den ansonsten so Unantastbaren.
Cristiano Ronaldo lebt ein Leben auf der Überholspur. Den portugiesischen Modellathleten mit der exzentrischen Spielweise und einem überdimensionierten Trophäenschrank kann eigentlich nichts aufhalten - weder sportliche Rückschläge, noch Verletzungen, noch ernsthafte Probleme mit dem Gesetz. Doch selbst "CR7", die fleischgewordene Weltmarke, ist nicht Herr der Lage in Corona-Zeiten.
Die vergangenen Wochen verbrachte der Portugiese auf seiner Heimatinsel Madeira in einer Villa mit Dachpool und Ausblick auf den Atlantik. Im Vergleich zu den meisten anderen Menschen klingt das wie ein paradiesischer Ort, um die aktuelle Krise mitzuerleben. Der Aufenthalt auf Madeira war allerdings nicht frei von Kontroversen, denn Ronaldo verließ im März, vor Inkrafttreten der Ausgangsbeschränkungen, eine angeordnete Quarantäne in Turin, nachdem ein positiver Corona-Befund in der Mannschaft vorlag. Seine Mutter hatte einen Schlaganfall erlitten, was natürlich Grund genug für die Abreise war. In Italien sagten einige Ronaldo trotzdem nach, auf der "Flucht" zu sein.
"Alter macht sich bemerkbar"
CR7 soll zunächst auch Zweifel gehegt haben, ob er überhaupt zu seinem Klub Juventus nach Italien zurückkehrt, wenn noch unklar wäre, inwieweit die Serie A ihre Saison fortsetzen kann. Nun hörte Ronaldo jedoch auf den Ruf und landete am vergangenen Montag auf italienischem Boden, um sich umgehend in eine routinemäßige vierzehntägige Quarantäne zu begeben, die aufgrund seiner Einreise aus dem Ausland notwendig war.
Dort verweilt der Startstürmer noch einige Tage. Eine ungewöhnliche Situation für jemanden, der normalerweise alles unter Kontrolle hat und selbst über sein Schicksal auf und neben dem Rasen bestimmen kann. Aber die Quarantäne gibt Ronaldo weitere Zeit zum Nachdenken. Eigentlich wollte er mit den Turinern einen weiteren Meilenstein in seiner Karriere - nämlich den Gewinn der Champions League - erreichen.
"Das Alter macht sich bemerkbar", schreibt Giovanni Tosco von der italienischen Sportzeitung Tuttosport. "Ronaldos Ehrgeiz kennt keine Grenzen. Er hat noch ein Ziel: Die Champions-League mit drei verschiedenen Klubs gewinnen - das hat bisher nur Clarence Seedorf mit Milan, Real und Ajax geschafft."
Juventus strauchelt
Ronaldo verließ etwas überraschend im Sommer 2018 Real Madrid, mit dem er zuvor dreimal in Folge in der Königsklasse triumphieren konnte. Er hätte es sich bei den Madrilenen auch gemütlich machen und noch den einen oder anderen großen Titel gewinnen können, bevor er seine Karriere hätte ausklingen lassen. Aber das passte nicht zum ultraehrgeizigen Portugiesen.
Sein Wechsel zu Juventus erfolgte unter der Maßgabe, in einer weiteren großen europäischen Liga seine unnachahmlichen Spuren zu hinterlassen und am besten mit den Bianconeri auf internationaler Bühne Großes zu erreichen. Allerdings war Ronaldos Engagement in Turin bisher nur bedingt von Erfolg geprägt. Ja, er gewann den Scudetto, den italienischen Meistertitel, aber das ist für einen Serienmeister wie Juventus keine allzu außergewöhnliche Errungenschaft. In der Champions League war hingegen bereits im Viertelfinale Schluss.
In dieser Saison lief es noch um Einiges durchwachsener. Zeitweilig konnte man in der Hinrunde den Eindruck gewinnen, als würde Ronaldo leistungstechnisch langsam abbauen. Er selbst erholte sich von einem offensichtlichen Formtief, das Team als Ganzes blieb jedoch hinter den Erwartungen zurück. Vor der Corona-bedingten Unterbrechung der Saison lieferte sich Juventus einen engen Titelkampf mit Lazio. In der Champions League drohte unterdessen das Aus gegen Olympique Lyon im Achtelfinale (0:1 im Hinspiel). Die Turiner Souveränität der Vergangenheit schien verflogen.
Am Scheideweg
Die Corona-Krise hat Italien hart getroffen, was auch Auswirkungen auf die Serie A haben wird. Davon ist bereits zum jetzigen Zeitpunkt auszugehen. Juventus' internationale Wettbewerbsfähigkeit wird aufgrund der Investorenunterstützung von Exor nicht unmittelbar in Gefahr sein, aber ob die Bianconeri auf dem Transfermarkt große Sprünge machen kann, bleibt doch fraglich.
Somit könnte Ronaldo schon zwei Jahre nach seinem Wechsel vor einem erneuten Scheideweg stehen: Verbringt er die letzten Jahre seiner Karriere, die letzten Jahre auf athletischem Spitzenniveau bei Juventus und versucht den Klub zum Champions-League-Titel zu führen? Oder schlägt er doch recht schnell einen neuen Weg ein?
Selbst die Zeit von CR7 läuft irgendwann ab. Er ist mittlerweile 35 Jahre alt. Und zumeist sind die letzten Jahre in einer Karriere die schwierigsten für Ausnahmeerscheinungen in einer Sportart. Ronaldo könnte sich bei Juventus abstrampeln und verzweifelt nach dem nächsten großen Triumph greifen, bis er irgendwann nicht mehr die gewohnte Führungsrolle innehat, sondern allenfalls noch als sportlicher Elder Statesman fungieren darf.
Schon immer wandelbar
Sollte Ronaldo hingegen Wechselabsichten haben, so muss er sich genau überlegen, wie seine Rolle bei einem neuen Verein aussehen würde. Wenige Trainer bei europäischen Spitzenklubs würden ihr Team um einen alternden Star - mag er noch so gut sein - formen. Sie würden Ronaldo vielmehr als i-Tüpfelchen und weniger als Herzstück betrachten.
Insofern müsste Ronaldo sich auf neue Gegebenheiten einstellen. Das gelang ihm in seiner Karriere bereits mehrmals. Immerhin hat er sich über die Jahre merklich gewandelt. Angefangen als dribbelverliebter Jungspund bei Manchester United mit dem Hang zum nutzlosen Übersteiger wurde er spätestens bei Real Madrid zu einer Kontermaschine mit hyperdynamischem Zug zum Tor. In den vergangenen Jahren ist er wiederum immer häufiger als Kopfballspieler und Strafraumstürmer in Erscheinung getreten.
Auch seine öffentliche Persona hat sich über die Jahre gewandelt. War Ronaldo zu Beginn noch der weinerliche Schönling, porträtiert er heute doch vielmehr den coolen, abgeklärten Superprofi mit abgeschwächter Theatralik. Inwieweit er sich jedoch in einer Mannschaft unterordnen könnte, das steht in den Sternen, denn Ronaldo hat eine besondere Art auch im Umgang mit Teamkollegen.
"Er steht über allen anderen"
"Während seiner Karriere konnte er immer etwas frech sein in der Art, wie er mit Leuten sprach. Sie konnten ihn nicht verstehen und waren frustriert, weil sie nicht in seiner Liga waren. Er steht so über allen anderen, dass es für jeden komisch klingt, wenn er mal normal spricht", erzählt Louis Saha, mit dem Ronaldo zeitweilig bei Manchester United kickte und der ihm schon in jungen Jahren einige Ratschläge gab.
Saha und andere sahen in Ronaldo immer eine Art Fußballgenie. Nicht unbedingt jemanden, der über die großen Spielphilosophien der letzten 50 Jahre Vorträge halten würde, aber jemanden, der ganz genau versteht, wie der Fußball funktioniert und was man machen muss, um erfolgreich zu sein. Ronaldo genoss aber auch das Vertrauen der Entscheidungsträger
Normalerweise schneidern Trainer Teile ihrer taktischen Systeme auf ihn zu, entbinden ihn von defensiver Verantwortung und versuchen gerade das Konterspiel über CR7 zu forcieren. Carlo Ancelotti, Zinédine Zidane, Massimiliano Allegri und nun auch Maurizio Sarri haben sich gewissermaßen der Notwendigkeit gebeugt, Ronaldo nicht als ganz normalen Teamspieler zu betrachten, der in eine taktische Rolle gepackt wird und diese dann bestmöglich auszufüllen hat. Für Ronaldo wurde es zum selbstverständlichen Luxus.
Genau das könnte sich in absehbarer Zeit ändern. Vielleicht würde er bei Juventus noch für einige Zeit der große Offensivregent bleiben, vielleicht auch nicht. Vielleicht könnte er bei einem anderen europäischen Spitzenklub sein Ziel vom Champions-League-Titel mit einem dritten Verein erreichen, auch wenn nur in einer Rolle als Teamspieler, vielleicht aber auch nicht. Ronaldo muss in jedem Fall bald schon eine Entscheidung treffen, was er vorhat. Planlos war er in seiner mittlerweile 18 Jahre langen Profikarriere nahezu nie.
Quelle: ntv.de