Fußball

Coach Geraerts brüllt Spieler an Unterirdische Schalker verspielen wichtigsten Kredit

Die Schalker Fußballer bekamen die Wut der Fans zu spüren.

Die Schalker Fußballer bekamen die Wut der Fans zu spüren.

(Foto: IMAGO/RHR-Foto)

Ernüchterung statt Aufbruchstimmung - das Debüt von Trainer Karel Geraerts geht ganz böse in die Hose. Beim 0:3 in Karlsruhe wird deutlich, wie viel Arbeit noch auf den neuen Coach des FC Schalke 04 wartet. Und von den Tribünen kommt ein fatales Zeichen.

Was für eine Szene: Nachdem die Fußballer des FC Schalke 04 den nächsten Tiefpunkt erreicht hatten, nachdem sie zum vierten Mal in Folge verloren hatten und das rettende Ufer in der 2. Bundesliga immer mehr außer Sichtweite geriet, schlichen die gepeinigten Fußballer ganz langsam und mit gesenkten Köpfen zum Gästeblock. Dort, wo die treuen Fans warteten, dort gab es die nächste Demütigung. Laut schimpfend knöpfte sich ein Ultra-Vertreter die Spieler vor, die vom Karlsruher SC mit 0:3 hergespielt worden waren, die in den ersten 45 Minuten gar nichts auf die Kette brachten und ihrem neuen Trainer Karel Geraerts ein fürchterliches Debüt bescherten. Schon während des Spiels hatten die Anhänger die Fahnen abgenommen und die Unterstützung eingestellt.

Was die Fans den königsblauen Spielern ins Gewissen trichterten, darüber sprach der neue Mann an der Seite nur kurz. "Für sie ist das ihr Leben, es muss auch unser Leben sein", formulierte der überraschte Belgier direkt eine Handlungsanweisung für die kommenden Wochen. Die werden in Gelsenkirchen "brutal", wie der ebenso ratlose wie verärgerte Timo Baumgartl sagte. Jener Spieler, der vor wenigen Wochen mit einem Interview den Weg zur Entlassung von Trainer Thomas Reis geebnet hatte und vom Verein dafür abgestraft worden war.

Zwar sind erst zehn Spieltage gespielt, aber die Lage ist wahnsinnig prekär. Bereits fünf Punkte Rückstand haben die Schalker auf Rang 15, auf den ersten Rang, der den Ligaverbleib absichert. Um nichts anderes geht es mehr, nichts ist mehr mit der angepeilten, direkten Rückkehr ins Oberhaus. Das war das klar formulierte Ziel. Doch die zusammengestellte Mannschaft taugt dafür nicht. Sie taugt derzeit nicht mal dafür, den Absturz zu stoppen. Das für jeden Fan Erschreckende: Es klappt nicht nur nicht mit dem Fußballspielen, sondern dem Team gehen alle Basics ab: Leidenschaft und Maloche. Und das in einer Stadt, die auf diesen Tugenden gebaut ist. Der Abstieg in die 3. Liga ist realistischer als je zuvor.

Bielefeld als abschreckendes Beispiel

Und wer das nicht glaubt, der muss nur 136 Kilometer weit fahren, um sich zu vergewissern, dass dieses Horror-Szenario nicht bloß ein Szenario ist. Arminia Bielefeld hat erlebt, wie schnell man von einem Bundesligisten zu einem Verein werden kann, der in der 3. Liga um das Überleben kämpft. Zumindest versichern die Schalker, in Person von Baumgartl, dass sie verstanden haben, worum es jetzt geht. Um Punkte. Um irgendwie wieder den Anschluss zu bekommen. Wie das gelingen soll? Na klar, mit harter Arbeit. Das betonen sie seit Wochen. Aber wenn die Arbeit hart ist, die Ergebnisse aber katastrophal, was soll dann noch Mut machen?

Klar, Geraerts, der neue Mann. In der vergangenen Saison sorgte er mit dem belgischen Klub Union Saint-Gilloise in der Europa League für Furore, scheiterte erst im Viertelfinale an Bayer Leverkusen. Er formte unter anderem den Sturmgiganten Victor Boniface, der nun mit Bayer die Bundesliga aufmischt. Aus diesen Erzählungen speist sich die Hoffnung, dass der 41-Jährige auch in Gelsenkirchen gute Geschichten schreiben wird. Und immer noch aus dem Gefühl, dass es im Kader genügend Topspieler und Malocher gibt, die diese verunsicherte Ansammlung noch zu einer Einheit formen können. Allerdings verlassen sollte man sich nicht darauf.

Zu viel läuft nicht gut, läuft gar nicht. Die Abwehr ist den Namen nicht wert. 23 Gegentore hat es schon gegeben. Nur einmal hatte sich ein Absteiger zu diesem Zeitpunkt mehr gefangen: der FC St. Pauli in der Saison 2002/03. Lust auf Schönfärberei hat der neue Mann schon mal nicht. Das ist vielleicht die beste Nachricht für die Schalker. "Ich war sehr enttäuscht. Ich schreie nicht oft, aber heute habe ich es in der Halbzeit getan." Zuvor hatte er bei Sky schon gesagt: "Wir haben das ABC des Fußballs nicht respektiert. Wir haben keine Duelle gewonnen, nicht auf die Intensität reagiert." Aber er sagte auch: "Die Spieler machen es nicht absichtlich. Jemand muss ihnen sagen, was gut oder schlecht ist. Ich werde nicht gegen die Mannschaft schießen, das ist nicht meine Art. Es geht da unten nur zusammen raus."

Von "unterirdisch zu schlecht"

Dass dies mit das Schlechteste war, was es zuletzt von den Königsblauen gegeben hatte, ist angesichts der doch teils erschütternd schwachen Leistungen zuletzt kaum vorstellbar. Dass es nach der Pause etwas besser wurde, damit wollten sich die Gäste nicht schmücken. Von "unterirdisch zu schlecht" sei nicht der Anspruch, sagte Baumgartl. "So kann es nicht weitergehen. Das sind Phasen im Fußball, die tun unfassbar weh. Wir müssen schauen, dass wir schleunigst punkten, auch mal einen dreckigen Sieg mitnehmen." Lars Stindl (22. Minute) und Igor Matanovic (37.) trafen für den KSC, der seine Sieglos-Serie beendete und sich wieder etwas von der Abstiegszone absetzte. Zudem unterlief Schalkes Verteidiger Henning Matriciani ein Eigentor (75.).

Doch nicht nur die letzte Kette ist eine Großbaustelle. Auch das Spiel nach vorn verdiente erneut nur in ganz seltenen Momenten diesen Namen. Gegen den KSC ließ Bryan Lasme in der ersten Halbzeit eine Topchance liegen. Er vergab fast kläglich. Kreativität und Überzeugung, die haben sich aus Gelsenkirchen längst verzogen. Der neue Coach setzte auf Urgestein Ralf Fährmann im Tor, eine Dreierkette in der Abwehr und eine sehr offensive Ausrichtung. Doch der Schuss ging nach hinten los: Mit dem Keeper alter Schule wählte Schalke im Spielaufbau meist den langen Ball, der aber beständig beim Gegner landete.

"Jeder darf erwarten, dass wir mehr investieren"

Von der "Gewinnermentalität", die Geraerts von seinen Spielern sehen wollte, gab es nichts, gar nichts. "Dass wir sechs Kilometer weniger gelaufen sind als der Gegner, das kann nicht sein", schimpfte Baumgartl. Diese Zahlen sind wichtige Indikatoren für die Leidenschaft. Es sind aus Schalker Sicht erschütternde Indikatoren. "Ich habe der Mannschaft gesagt, dass man nicht gewinnen kann, wenn man nicht läuft. Zahlen lügen nicht, das habe ich im ersten Durchgang live auf dem Platz gesehen", sagte auch Geraerts. "Jeder darf erwarten", versprach der neue Coach, "dass wir mehr investieren."

Er wird das weitgehend mit demjenigen Personal tun müssen, das ihm derzeit zur Verfügung steht. Eine Offensive auf dem Transfermarkt scheint ab Januar kaum denkbar. Der Traditionsklub schiebt Verbindlichkeiten in dreistelliger Millionenhöhe vor sich her, Ende des vergangenen Jahres stand Schalke mit 180 Millionen in der Kreide. Jetzt meldete auch Ärmelsponsor Hülsta noch Insolvenz an. Wenn es nicht läuft, dann schwappt eben auch gleich noch die ganze Emscher über den Deich.

Im vergangenen Winter lieh sich der Klub Spieler aus, die dem Verein eine furiose Rückrunde ermöglichten. Bis zum Ende blieb der Klassenerhalt nach einer Horror-Hinrunde möglich. Er wurde verpasst, die Leihspieler gingen. Um das nicht noch einmal erleben zu müssen, gab sich der Klub eine neue Transfer-Philosophie. "Wir wollen sie grundsätzlich minimieren und im Idealfall vermeiden", sagte Sportdirektor André Hechelmann über Leihspieler. Zumindest wolle man im Fall einer solchen kurzfristigen Verpflichtung die Verträge künftig so gestalten, "dass wir Optionen ziehen können. Kaderwert aufbauen bedeutet, dass die Spieler uns gehören sollen. Das ist ganz klar unsere Strategie." Ob sich Schalke das weiter leisten kann? Aber was kann der Klub sich überhaupt noch leisten? Nun scheint abermals der wichtigste Kredit aufgebraucht: der Rückhalt der Fans.

Quelle: ntv.de

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