Happy End nach Trainer-Chaos? Der "Hoeneß-Effekt" reißt den VfB Stuttgart mit
06.05.2023, 10:08 Uhr
Sebastian Hoeneß hat den Erfolg zum VfB Stuttgart zurückgebracht.
(Foto: IMAGO/Pressefoto Baumann)
Lange Zeit sieht es für den VfB Stuttgart düster aus im Abstiegskampf. Dann kommt Sebastian Hoeneß. Unter ihm findet der Klub überraschend zu einer erstaunlichen Form. Trotzdem ist der Klassenerhalt für die Drama-Schwaben nicht sicher. Die Gründe für den Hoeneß-Effekt.
Beim VfB Stuttgart gibt es einen legendären Spruch, der gerade wieder inflationär bemüht wird. "Kommt Friehling, kommt VfB". Einst gesprochen vom damaligen Stuttgart-Trainer (1985/86) Otto Barić, als es für den Klub im Winter nicht lief. Und so wie der fühlbare Frühling in diesem Jahr erst mit Verzug in die Gänge kam, kam auch der Verein für Bewegungsspiele 1893 aus Stuttgart Bad Cannstatt mit reichlich Verspätung ins Rollen. Genauer gesagt erst nach dem 3. April.
Es benötigte einen vierten (!) Trainer in dieser Saison, Sebastian Hoeneß übernahm nach Bruno Labbadia, Michael Wimmer und Pellegrino Matarazzo, um mit den Schwaben einen Turnaround zu schaffen. Ob dieser noch rechtzeitig eingetreten ist oder der VfB für die bittere und erfolglose Episode mit Vorgänger Bruno Labbadia doch noch brutal bestraft wird, entscheidet sich in den kommenden Wochen. Ein richtungsweisendes Spiel steigt schon an diesem Samstag (15.30 Uhr/Sky und im ntv.de-Liveticker) bei Hertha BSC.
Die Lage ist so: Der VfB Stuttgart, der seit nun über 10 Jahren taumelnde Ex-Riese aus dem Süden, befindet sich wieder einmal mitten im Abstiegskampf. Vor allem die schwache Phase nach der WM-Pause drückte den Klub tief in den Tabellenkeller. Das ist die schlechte Nachricht. Die gute: Kein anderes Team in der gefährdeten Zone ist derzeit so in Form wie die Hoeneß-Elf. Dessen Gesicht als neuer Coach steht exemplarisch für den Aufschwung in Cannstatt, vom "Hoeneß-Effekt" ist die Rede. Und tatsächlich spielt der 40-jährige Trainer eine wichtige Rolle.
Hoeneß stellt um und erntet Erfolg
Der Sohn von Dieter Hoeneß brach die unter Ex-Trainer Bruno Labbadia festgefahrene und verunsicherte Mannschaft auf, stellte direkt das Spielsystem um. Das ineffektive 4-3-3 unter Labbadia wich einem 3-4-2-1-System. Hoeneß schaffte es, zuvor missachteten Spielern wie Josha Vagnoman wieder Selbstvertrauen einzuflüstern. Der Rechtsaußen war im März von DFB-Coach Hansi Flick erstmals für die Nationalelf nominiert worden. Dafür wurde er von vielen belächeltet, kannte Vagnoman in Stuttgart doch nur jeden Zentimeter der Ersatzbank. Auf dem Platz sah man ihn selten.
Hoeneß warf den Außenspieler auf der rechten Mittelfeld- bzw. Abwehrseite wieder in die Startelf - und wurde belohnt. Gegen Bochum erzielte der 22 Jahre alte Profi genauso wie im Spiel darauf gegen Dortmund einen wichtigen Treffer. Da Vagnoman auf die rechte Seite rückte, zog Hoeneß Defensivmann Waldemar Anton von der Abwehr-Außenseite zurück ins Abwehrzentrum. Dort zeigte der Defensiv-Hüne eine aufstrebende Form und seine vielleicht besten Leistungen im VfB-Dress. Wirkte der VfB in den Wochen zuvor wie eine handzahme und angeleinte Jugendtruppe, spielte sie nun teils entfesselt auf. Hoeneß ließ die schlummernde Power frei. Ein Beispiel dafür ist auch Mittelfeldmann Tanguy Coulibaly, der in den vergangenen drei Partien zweimal traf. Hinzu kommt die Rückkehr von Sturmspitze Serhou Guirassy nach überstandener Verletzung, dem besten Stuttgarter Torschützen (8 Treffer). Auch er traf nach seinem Comeback zweimal.
Hoeneß gelang ein Traumstart: Die ersten beiden Spiele im Pokal gegen Nürnberg (1:0) und gegen Bochum (3:2) gewann der Coach mit seinem neuen Team. Besonders letztere Partie war immens wichtig. Zuvor hatte der VfB 16 Monate nicht auswärts gewonnen. In der Liga ist Hoeneß mit dem VfB weiter ungeschlagen, holte in vier Spielen zwei Siege und zwei Unentschieden und damit mehr Punkte als Labbadia in seiner gesamten Amtszeit. Unter Hoeneß gelang der Sprung vom letzten Tabellenplatz auf Rang 15. Im Pokal scheiterte der Klub zwar in einer vogelwilden Partie hauchdünn (2:3) im Halbfinale an Eintracht Frankfurt, bewies aber in Unterzahl und VAR-Theater in der Nachspielzeit erneut Moral. Schon gegen Borussia Dortmund kamen die Schwaben mit einem Mann weniger und Zwei-Tore-Rückstand erstaunlich selbstbewusst zurück und erkämpften sich in den Schlusssekunden das 3:3-Unentschieden. Nicht das erste Last-Minute Drama in Cannstatt.
Ein Verdienst von Hoeneß und der Mannschaft ist, dass sie den Rückhalt der Fans wieder gewonnen haben - der Schulterschluss mit den Anhängern ist rechtzeitig vor der wichtigsten Endphase gelungen. Bildlich rund wurde dies, als der kroatische Nationalspieler Borna Sosa nach dem Heimsieg gegen Gladbach in die Cannstatter Kurve stieg, um den Chef-Anheizer vor dem Team und für die Fans zu machen. Einige Wochen zuvor, im Anschluss an die ernüchternde Pleite (0:3) bei Union Berlin, hatten die Fans noch getobt, die Botschaft unmissverständlich auf ein Banner gepackt: "Stellt jetzt alles infrage".
Zumindest der Trainer wurde anschließend infrage gestellt - und entlassen. Am 3. April musste Labbadia gehen. Seine dürftige Bilanz: sechs Punkte in elf Spielen. Sein Punkteschnitt ist der drittschlechteste der Vereinshistorie nach Markus Weinzierl und Meistertrainer Armin Veh (in dessen zweiter Amtszeit).
Kein Feuerwehrmann
Als Nachfolger präsentierte der VfB dann nicht Markus Gisdol, wie es überall raunte, sondern überraschend Sebastian Hoeneß, der im Jahr zuvor das Kapitel TSG Hoffenheim auf Platz 9 beendet hatte. Als Feuerwehrmann war der frühere Drittliga-Meister mit der Zweitvertretung des FC Bayern bislang nicht in Erscheinung getreten. Als solcher war er aber auch nicht von VfB-Sportvorstand Fabian Wohlgemuth und Vorstandsboss Alexander Wehrle verpflichtet worden. Der Vertrag mit Hoeneß (Laufzeit bis 2025) gilt auch für die 2. Bundesliga. Hinzu kommt: Hoeneß hat als ehemaliger A-Jugendmeister mit dem VfB den viel zitierten "Stuttgarter Stallgeruch".
Einen wichtigen Schritt Richtung Klassenerhalt kann der VfB Stuttgart an diesem Samstag gehen. Dann trifft der Klub auf den Tabellenletzten Hertha BSC im Duell der unterschiedlichen Gemütslagen. Auch in Berlin entschieden sich die Verantwortlichen für die Trainer-Notbremse, wechselten von Sandro Schwarz (wieder mal) auf Pal Dardai, allerdings noch später als der VfB. Die ungarische Klub-Ikone hat die undankbare Aufgabe, die Blau-Weißen noch ans rettende Bundesliga-Ufer zu dirigieren. Während in Stuttgart der Hoeneß-Effekt einschlug, verpuffte der Trainerwechsel im Berliner Westend bisher ergebnistechnisch. Gegen Werder Bremen und den FC Bayern ging die Hertha leer aus. Für die restlichen Spiele lautet der Dardai-Plan fast schon verzweifelt: vier Spiele, vier Siege! Der Rückstand auf einen Relegationsplatz beträgt sechs Zähler. Ein Sieg gegen den VfB ist Pflicht. Was gegen die Hertha spricht: Der Berliner sind seit acht Partien ohne Sieg, offensiv viel zu harmlos. Allerdings schlägt sich auch der VfB gerne mit eigenen Fehlern und Unkonzentriertheiten. Eine Schwäche, die auch Hoeneß nicht abstellen konnte.
Manchmal dann doch wie eine überforderte Jugendmannschaft
Bisweilen wirkte es so, als stellte das Team nach guten Phasen, überrascht von eigener Courage, das Fußballspielen ein. Überfordert von der Realität Abstiegsangst. Und das obwohl (oder eher: weil) viele technisch starke und talentierte Spieler in den Reihen stehen. Sosa, Silas, Konstantinos Mavropanos - sie alle könnten wohl auch in Teams spielen, die nicht gegen den Abstieg ackern, sondern im Europapokal tänzeln. Die Realität heißt aber Hertha statt Benfica.
Und was ist nun mit den Frühlingsgefühlen des VfB? Schon was dran. In vergangenen Jahren packte der Verein tatsächlich in der Rückrunde und im Frühling oft einen Turnaround, wurde mit einer famosen Siegesserie 2007 zum Beispiel Deutscher Meister oder stürmte 2009 noch in die Champions League. Gegenbeispiel ist das Abstiegsjahr 2016, als der Klub im Frühjahr einbrach.
Davon ist man aktuell auch nicht weit entfernt. Hinzu kommt eine "schlechte Nachricht" für die Stuttgarter: Am Samstag sind in Berlin 10 Grad und Regen vorhergesagt - ganz unfrühlingshaft. Für Ex-Trainer Otto Barić endete trotz seiner "Kommt Friehling, kommt VfB"-Ansage die Zeit in Stuttgart übrigens vorzeitig. Er wurde Anfang März entlassen - danach ging es für den VfB bis auf Platz 5 nach oben.
Quelle: ntv.de