Fußball

Schnellcheck Deutschland-Schweiz Vorne hui, hinten pfui

Auch Torwart Manuel Neuer zeigte Hochs und Tiefs im Spiel gegen die Schweiz.

Auch Torwart Manuel Neuer zeigte Hochs und Tiefs im Spiel gegen die Schweiz.

(Foto: imago images/Beautiful Sports)

Die deutsche Nationalmannschaft zeigt gegen die Schweiz zwei Gesichter. Offensiv spektakelt sie teilweise überragende Treffer herbei, in der Abwehr offenbart sie eklatante Fehler. Werden jetzt die Rufe nach Boateng und Hummels wieder laut? Ein 100-Millionen-Mann macht Hoffnung.

Was ist im Rhein-Energie-Stadion in Köln passiert?

Selten war der Druck auf Bundestrainer Joachim Löw so groß wie in dieser Woche. Zumal nicht ein großes Turnier unmittelbar vor der Tür steht. Zuletzt war der Trainer umstritten, weil er auf eine Dreierkette setzte, die sich defensiv zu einer Fünferreihe verschob und auf in ihren Klubs aussortierte Spieler setzte und dabei die Bayern-Stars schonte.

Im Nations-League-Spiel gegen die Schweiz baute Löw auf drei Positionen im Vergleich zum 2:1 in der Ukraine um. Timo Werner, Kai Havertz und Robin Gosens rückten in Köln für Niklas Süle, Julian Draxler und Marcel Halstenberg in die Startelf. Der Bundestrainer schien außerdem zumindest teilweise auf die Kritik gehört zu haben und wechselte von einer Dreier- zur Viererkette in der Abwehr.

Kritik war auf Löw von allen Seiten eingeprasselt. Selbst Rio-Held Bastian Schweinsteiger, ein loyaler Löw-Weggefährte, sagte in der ARD, dass man sich nicht mehr "einhundertprozentig identifizieren" könne mit dem DFB-Team. Zu unansehnlich hatte die Mannschaft zuletzt gespielt. Nun, unansehnlich wurde es in Köln nicht. Im spektakulären 3:3 (1:2) gegen die Schweiz zeigte vor allem die Offensivreihe, dass sie immer noch zu den besten Europas gehören kann. Die Kritik an Löw dürfte nun allerdings nicht abnehmen, denn das Defensivverhalten seiner Mannschaft war mehrmals eklatant, individuelle Fehler führten schließlich zu den Gegentoren. Zum fünften Mal in Folge konnte das DFB-Team keine Weiße Weste behalten.

"Am ehesten helfen einer Mannschaft in der Entwicklung Siege", sagte Löw direkt vor dem Anpfiff. Ein Sieg fürs Standing wurde gefordert, ein Sieg, um Selbstbewusstsein zu tanken. Daraus wurde nichts. Auf Trainer und Team wartet noch viel Arbeit, eine stabile Abwehrreihe scheint bis zum nächsten Sommer der wichtigste Punkt auf der To-do-Liste zu sein. Es könnten wieder die Rufe nach Jérôme Boateng und Mats Hummels laut werden.

Einen Grund zu feiern hatte dafür direkt beim Anpfiff bereits Toni Kroos. Der Profi von Real Madrid lief zum 100. Mal für Deutschland auf, als erst 15. Spieler überhaupt. Sein Debüt hatte Kroos kurz vor der WM in Südafrika im März 2010 gegen Argentinien gefeiert, als sein Team 0:1 verlor. Interessant: Sein 50. Länderspiel feierte er ausgerechnet beim 7:1 im WM-Halbfinale 2014 gegen Brasilien. 17 Tore hat er mittlerweile für sein Land geschossen, Fans konnten ihm diesmal beim Jubiläum im Geisterspiel nicht zujubeln.

Teams und Tore

Deutschland: Neuer/Bayern München (34 Jahre/94 Länderspiele) - Klostermann/RB Leipzig (24/10), Ginter/Borussia Mönchengladbach (26/33) ab 77. Can/Borussia Dortmund (26/30), Rüdiger/FC Chelsea (27/35), Gosens/Atalanta Bergamo (26/4) ab 58. Halstenberg/RB Leipzig (29/8)- Kimmich/Bayern München (25/50), Kroos/Real Madrid (30/100) - Havertz/FC Chelsea (21/10) ab 77. Draxler/Paris St. Germain (27/56), Goretzka/Bayern München (25/27), Gnabry/Bayern München (25/15) - Werner/FC Chelsea (24/33). - Trainer: Löw
Schweiz: Sommer/Borussia Mönchengladbach (31 Jahre/57 Länderspiele) - Elvedi/Borussia Mönchengladbach (24/21), Schär/Newcastle United (28/57), Rodriguez/FC Turin (28/76) - Widmer/FC Basel (27/12), Freuler/Atalanta Bergamo (28/24) ab 85. Benito/Girondins Bordeaux (28/9), Xhaka/FC Arsenal (28/87), Zuber/Eintracht Frankfurt (29/30) ab 66. Fernandes/1. FSV Mainz 05 (24/17) - Shaqiri/FC Liverpool (29/84) ab 66. Sow/Eintracht Frankfurt (23/11) - Seferovic/Benfica Lissabon (28/68) ab 85. Itten/Glasgow Rangers (23/4), Gavranovic/Dinamo Zagreb (30/25) ab 75. Mehmedi/VfL Wolfsburg (29/68). - Trainer: Petkovic
Schiedsrichter: Ruddy Buquet (Frankreich)
Tore: 0:1 Gavranovic (5.), 0:2 Freuler (26.), 1:2 Werner (28.), 2:2 Havertz (55.), 2:3 Gavranovic (57.), 3:3 Gnabry (60.)
Zuschauer in Köln: keine
Gelbe Karten: Gosens, Kroos, Rüdiger - Gavranovic, Schär, Xhaka
Gelb-Rote Karte: - Schär wegen Foulspiels (90.+4)

Das wilde 3:3 im Spielfilm

1. Minute: Serge Gnabry setzt gleich mal Havertz in Szene, der in den Strafraum sticht und versucht querzulegen. Ecke.

3. Minute: Konzentrierter Beginn der DFB-Elf. Frühes Pressing, Ballkontrolle: Leon Goretzka versucht es aus gut 20 Metern einfach mal, aber der Schuss geht klar über den Kasten.

5. Minute: Toooooooor für die Schweiz. 0:1 Mario Gavranović. Zunächst eine Großchance für die Schweizer: Gnabry verliert den Ball an der linken Außenlinie und auf einmal steht Xherdan Shaqiri völlig frei am Fünfmeterraum, aber Manuel Neuer pariert glänzend zur Ecke. Diese klärt Gosens zunächst, aber der zweite Ball wird auf Gavranović hoch weitergeleitet. Kein Abseits, seine Kopfball-Bogenlampe landet im langen Eck. Ein herber Dämpfer für eine engagiert startende DFB-Elf.

14. Minute: Halbchance für die deutsche Nationalmannschaft, aber Goretzka steckt zu ungenau auf Gnabry durch. Die anschließende Ecke verpufft. Die Schweiz steht jetzt sehr kompakt.

15. Minute: Was für ein Geschenk! Neuer lädt die Schweiz ein und hat ein Riesenglück, dass es hier nicht 2:0 steht. Einen Rückpass spielt er viel zu lässig zu Ginter zurück, sodass Seferovic den Ball blocken, aber nicht direkt aufs Tor bringen kann. Gavranović versucht es im Anschluss, aber scheitert am Keeper.

23. Minute: Shaqiri leitet die Kugel clever per Hacke auf Seferovic weiter nach einem guten Pass durchs Zentrum. Stark gemacht, aber das geht zu einfach. Seferovic' Schuss saust knapp über Neuers Gehäuse.

25. Minute: Kroos fängt einen Ball im Mittelfeld ab und schickt direkt Timo Werner. Der Chelsea-Stürmer agiert aber zu hektisch und kann alleine vor dem Keeper nicht mehr Druck hinter den Ball bringen.

26. Minute: Toooooooooooor für die Schweiz. 0:2 Freuler. Zwei Pässe und die deutsche Abwehr ist komplett überspielt! Jubilar Kroos verliert einen Ball im Mittelfeld. Mit etwas Glück landet der Ball auf der linken Außenseite, wo Ginter zu weit weg vom Mann steht. Den Pass in die Mitte lupft Freuler akrobatisch über Neuer ins Tor.

28. Minute: Tooooooooooooooooor für Deutschland. 1:2 Werner. Die Antwort der DFB-Elf folgt prompt. Havertz spitzelt die Kugel auf Werner, der es mit vier Schweizern aufnimmt. Sein Linksschuss gegen die Laufrichtung von Torwart Sommer schlägt flach unten rechts im Kasten ein.

35. Minute: Was wäre das für ein Treffer gewesen! Gosens geht einem geklärten Ball energisch nach und nimmt ihn direkt mit dem linken Außenrist. Mit einer wunderschönen Flugkurve saust die Kugel auf Sommer zu, der ebenso spektakulär mit einer Hand abwehrt.

42. Minute: Starker Ballgewinn von Kroos gegen Shaqiri. Statt aber links Werner mitzunehmen, versucht der Real-Profi es mit einem zu komplizierten Zuspiel auf Goretzka. Sommer ist da.

44. Minute: Diesmal behauptet Havertz die Kugel energisch. Über mehrere Stationen kommt die Kugel zu Kroos, der seinen Gegenspieler zu einem Tänzchen einlädt. Mit links knallt er das Spielgerät schließlich ans Außennetz.

Halbzeit

48. Minute: Werner läuft mit Tempo aufs Tor, dreht sich und jagt die Kugel auf den Kasten. Knapp drüber.

49. Minute: Pfosten! Über Gnabry und Goretzka landet der Ball bei Havertz. Der Chelsea-Profi setzt sich gegen zwei Schweizer durch und scheitert nur am Aluminium. Die DFB-Elf will es jetzt wissen.

55. Minute: Tooooooooooooor für Deutschland. 2:2 Havertz. Der 100-Millionen-Mann spekuliert und fängt einen Ball im Spielaufbau der Schweizer wunderschön ab. Kurz zündet das Megatalent seinen Turbo und schließt dann präzise mit rechts ins linke Eck ab. Beide neuen Chelsea-Stars haben nun getroffen.

57. Minute: Tooooooooooor für die Schweiz. 2:3 Gavranović. Was ist hier denn los? Rüdiger lässt sich rauslocken, dadurch ist das Abwehrzentrum viel zu offen. Wieder spekuliert die deutsche Abwehr auf Abseits, wieder klappt es nicht. Neuer pariert zunächst überragend gegen Seferovic. Kimmich schafft es nicht, den Ball zu klären. Einen Strahl aus dem Rückraum von Gavranović kann Neuer dann auch nicht mehr halten.

60. Minute: Toooooooooooooooooor für Deutschland. 3:3 Gnabry. Jetzt geht es hin und her und die DFB-Elf zeigt Charakter und ihre Qualität. Werner nimmt rechts Tempo auf, endlich geht es mal schnell und präzise, so wie Löw es gefordert hatte. Werners harten Pass veredelt Gnabry elegant per Hacke ins lange Eck. Ein wunderschöner Treffer!

70. Minute: Kroos zirkelt einen Freistoß von halblinks knapp am Tor vorbei.

80. Minute: Deutschland hat die Schweiz nun in die eigene Hälfte gedrängt und versucht, den entscheidenden Pass zu finden.

81. Minute: Goretzka mit einem ganz starken Ballgewinn am eigenen Sechszehner. Draxler schickt darauf Gnabry, der zurück auf den Pariser spielt. Sein Schuss aus dem rechten Strafraum landet am Außennetz.

89. Minute: Draxler noch einmal mit einem seiner altbewährten Übersteiger am Strafraum der Schweizer. Der Pass findet dann aber keinen Abnehmer.

Abpfiff

Was war gut?

Die deutsche Nationalmannschaft begann mit ordentlich Dampf. Frühes Stören am Schweizer Strafraum - teilweise pressten dort fünf DFB-Kicker gleichzeitig - sorgte immer wieder für Ballgewinne oder Abspielfehler der Eidgenossen. Generell war endlich mal wieder ein gewisser Hunger erkennbar. Diesmal fiel kein spätes Gegentor und die Mannschaft zeigte Charakter, indem sie sich zweimal nach einem Rückstand zurückkämpfte.

"Was bei uns intern immer das Thema ist, dass wir unsere Spielidee verfolgen", hatte Löw zur Kritik nach dem Ukraine-Spiel gesagt. Die offensive Spielidee war in Köln tatsächlich erkennbar. Schnell und schnörkellos wurde oft nach vorne gespielt und Kimmich und Goretzka strahlten die geforderte Dynamik im Zentrum aus.

Werner sorgte mit seinem Tempo für gute Situationen und Havertz bewies endlich einmal, dass ihm die Zukunft auch im DFB-Team gehören kann. Besonders Havertz, der zum ersten Mal in einer wirklichen A-Elf starten durfte, zeigte sich sehr agil und spielte immer wieder schlaue Pässe. Für die Schweizer Verteidigung war er schwer zu greifen, weil er stets zwischen Angriff und offensivem Mittelfeld hin und her pendelte. Beim 2:1 durch Werner setzte der Ex-Bayer sich energisch durch. Das 2:2 erzielt der 100-Millionen-Mann schließlich selbst, indem er einen Ball abfing und seinen Zug zum Tor und seine Beidfüßigkeit unter Beweis stellte. Havertz nutzte die Chance, die Löw ihm gab - ganz anders als zuletzt Draxler.

"Die Spieler hinten müssen schnell beginnen", sagte Löw direkt vor der Partie. Schnell und explosiv müsse das Spiel aus der Abwehr heraus geschehen, sonst stelle jeder Gegner so was ganz einfach zu, erklärte er. Viel zu träge war der Spielaufbau in der Partie gegen die Ukraine gewesen. Vor allem Rüdiger zeigte mit einigen senkrechten und scharfen Bällen nach vorne, dass es auch anders gehen kann. Verbesserungswürdig war das Ganze aber dennoch.

Was war schlecht?

Die Defensive, die geprägt war von eklatanten Aussetzern. Stabilität ist in der Abwehrreihe des Nationalteams nach wie vor nicht gegeben. Das konnte man heute genauso wie in allen anderen Partien seit der Corona-Pause beobachten. Es wackelte an allen Ecken und Enden im Defensivverhalten der gesamten Mannschaft. Zwei erfahrene Abwehrrecken in Boateng und Hummels stünden bereit, die auch jüngere Spieler an die Hand nehmen könnten. Aber diesen Schritt wird Löw sicherlich nicht gehen.

Zu einfach fielen die Schweizer Treffer. Mit individuellen Fehlern (Gnabry, Neuer, Kroos) und schlechter Zuordnung lud die Nationalmannschaft die Eidgenossen zu Chancen und Toren ein. Nach den Fehlpässen reagierte der Rest des Teams jedes Mal zu langsam, so konnte beispielsweise Shaqiri vor der Ecke, die zum 1:0 führte, völlig frei stehen. Beim 3:2 wurde das Zentrum zu wenig abgesichert und Löws Männer schafften es mehrmals nicht, die Situation zu klären und sich - wie beim 1:0 schon - den zweiten Ball zu sichern.

Geschwindigkeit und Präzision hatte Löw gefordert. Obwohl es meist temporeich nach vorne ging, fehlte auch offensiv mehrmals die letzte Durchschlagskraft und die Präzision gegen kompakte Schweizer. Ein Leroy Sané in Topform, der diesmal noch verletzt fehlte, und eine erste Elf, die sich über mehrere Spiele einspielen kann, würden hier sicher helfen.

Das sagten die Beteiligten:

Joachim Löw (Bundestrainer): "Vor dem Spiel ist das nicht angebracht, aber nach dem Spiel werden wir das tun." (Auf die Frage, ob Toni Kroos zu dessen 100. Länderspiel ein Ständchen gesungen bekomme)

Löw: "Es war heute wahnsinnig intensiv. Beide Mannschaften haben nach vorne viel riskiert, aber natürlich auch viele Fehler gemacht. Wir sind schlecht ins Spiel gekommen, aber es war eine gute Moral zu sehen. Das war positiv. Hinten haben wir natürlich den einen oder anderen Fehler gemacht. Wir haben bewusst viel riskiert und überall Mann gegen Mann gespielt. Das war natürlich auch Risiko. Natürlich sehen wir auch die Fehler, das müssen wir beheben. Gut war, dass wir zurückgekommen sind. Das zeigt, dass die Mannschaft unbedingt will. Diese Fehler gehören auch zum Prozess. Aus solchen Rückschlägen kann man auch stark zurückkommen."

Kai Havertz: "Wir sind nach vielen Rückschlägen immer zurückgekommen, haben eine gute Moral bewiesen. Wir befinden uns noch immer in einem Prozess, haben eine junge Mannschaft. Wir lassen uns von unserem Weg nicht abbringen."

Manuel Neuer: "Natürlich ist es nicht schön, wenn es 3:3 ausgeht. Wir hätten gerne gewonnen, haben aber zu viele Gegentore kassiert. Wir haben uns aber im Laufe des Spiels gefangen und haben zum Ende hin besseren Fußball gespielt. Grundsätzlich hat man heute gute Sachen gesehen. Wir geben uns nicht auf und schauen nach vorne."

Toni Kroos: "Beim ersten und dritten Tor haben wir schon sehr mitgeholfen. Wir haben nicht gut angefangen, danach haben wir aber ein gutes Spiel gemacht. Klar: Wenn es drei Gegentore gibt, ist es defensiv nicht gut. Am Ende sind wir mit dem Punkt nicht zufrieden. Wir haben den Anspruch, solche Spiele zu gewinnen."

Joshua Kimmich: "Man hat schon gemerkt, dass wir uns heute was vorgenommen haben. Wir wollten dynamisch offensiv spielen, dann kommt so ein ekliges Gegentor, ich fand überhaupt alle Tore etwas kurios. Das müssen wir besser verteidigen. Das war heute aber insgesamt ein anderer Auftritt als gegen die Ukraine. Es war ein Schritt in die richtige Richtung. Wir müssen unsere Qualität noch besser auf den Platz bringen."

Yann Sommer (Schweiz): "Wenn du dreimal führst, musst du gewinnen. Wir haben Deutschland zu Fehlern gezwungen, haben uns aber durch eigene Fehler aus dem Gleichgewicht gebracht. Das war zu wenig."

Der Tweet zum Spiel

Quelle: ntv.de

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