Fußball

Arsenals Revolutionär springt ab Wenger hinterlässt gigantisches Vakuum

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Als alles begann: Arsène Wenger beim Training mit Arsenal im Oktober 1996.

(Foto: imago sportfotodienst)

Er geht, und er geht gerade noch rechtzeitig. Nach 22 Jahren verlässt Trainer Arsène Wenger im Sommer den FC Arsenal. Was von ihm bleibt, ist die Verwissenschaftlichung des Fußballs. Sein Nachfolger ist nicht zu beneiden.

Es war klar, dass die Ära von Arsène Wenger beim FC Arsenal irgendwann ein Ende finden würde, der Trainer aus Frankreich hat in den vergangenen Jahren viel von seiner Magie verloren. Doch bis zuletzt hatte es so ausgesehen, als würde er zumindest in der kommenden Spielzeit noch auf der Bank des Vereins aus dem Norden Londons sitzen. Wengers Vertrag wäre bis Sommer 2019 gelaufen, und es waren von ihm keine Überlegungen bekannt, seinen Posten vorzeitig zu räumen. Der Trainer war immer stolz darauf, in seiner Laufbahn nie vertragsbrüchig geworden zu sein.

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Und nach dieser Saison ist dann Schluss.

(Foto: imago/PA Images)

Es muss also ein Umdenken bei ihm stattgefunden haben, möglicherweise auch auf sanften Druck seiner Vorgesetzten um Mehrheitseigner Stan Kroenke und Vorstand Ivan Gazidis, denn nun verkündete der Verein den Abschied des 68 Jahre alten Lehrmeisters zum Ende der laufenden Spielzeit. Die Übermittlung der Nachricht hatte Stil, wie es sich gebot vor dem Hintergrund von Wengers Verdiensten, die Trennung wurde als seine Entscheidung verkauft: "Ich habe das Gefühl, dass es richtig ist, zum Ende der Saison zurückzutreten", verkündete er mit Verweis auf "eingehende Überlegungen und Gesprächen mit der Vereinsführung". Kroenke lobte Wengers "einzigartige Klasse" und verfügte: "Jeder, der Arsenal und den Fußball liebt, schuldet ihm Dankbarkeit."

Der Klub verliert nach 22 Jahren einen Trainer, der den Fußball in England nicht nur geprägt, sondern revolutioniert hat. Als Wenger im Herbst 1996 in London vorstellig wurde, war er einer der ersten Übungsleiter vom europäischen Kontinent, der sich im heiligen Mutterland des Spiels versuchen durfte. Entsprechend skeptisch wurde er beobachtet. "Ich fragte mich, was dieser Franzose von Fußball versteht. Er sieht mit seiner Brille eher wie ein Lehrer aus. Spricht er überhaupt richtig Englisch?", sagte Arsenals damaliger Kapitän Tony Adams später. Solche Aussagen zeigen die Abwehrhaltung des englischen Fußballs in den 90ern gegenüber Einflüssen von außen.

Saison 2003/2004 ohne eine einzige Niederlage

Mittlerweile werden die Topklubs der Premier League ausschließlich von Fachleuten aus dem Ausland betreut, von Josep Guardiola aus Spanien, von José Mourinho aus Portugal und dem Deutschen Jürgen Klopp. Wenger hat ihnen den Weg bereitet. Außerdem brachte er dem englischen Fußball bei, dass neben richtigem Training auch ein gesunder Lebenswandel und die richtige Ernährung wichtig sind für den Erfolg. Als eine der ersten Amtshandlungen soll er seinen Spielern Schokolade verboten und damit die Mannschaft gegen sich aufgebracht haben. Was von Wenger bleibt, ist die Verwissenschaftlichung des Fußballs.

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Those were the days: Wenger und Thierry Henry am 15. Mai 2004.

(Foto: imago/Colorsport)

Mit einem Stil, der bis dahin in der Premier League nicht bekannt war, verbuchte er vor allem in der ersten Hälfte seiner Amtszeit herausragende Erfolge. Das einst langweilige Arsenal kam mit Technik und Ästhetik und Spielern wie Thierry Henry und Patrick Vieira aus Frankreich, Freddie Ljungberg aus Schweden und Marc Overmars und Dennis Bergkamp aus den Niederlanden zu drei Meisterschaften um die Jahrtausendwende, zweimal gelang zusätzlich der Gewinn des FA-Cups.

Die Saison 2003/2004 ohne eine einzige Niederlage in der Liga hat seinen festen Platz im kollektiven Gedächtnis des Fußballs. Insgesamt holte Wenger mit Arsenal 17 Trophäen. Trotzdem hat die jüngere Vergangenheit an seinem Denkmal gekratzt. Im Grunde ist Arsenal schon seit einem Jahrzehnt kein Kandidat mehr auf die Meisterschaft in England. Krachende Niederlagen wie ein 2:8 im August 2011 gegen Manchester United oder die obligatorischen Demütigungen durch den FC Bayern in der Champion League stechen heraus als unübersehbare Zeichen des Niedergangs. In der vergangenen Saison verpasste Arsenal zum ersten Mal überhaupt in Wengers Regentschaft die Qualifikation zur europäischen Königsklasse.

Abschied mit einem Triumph?

Am Ende dieser Spielzeit könnte sogar nur Rang sieben stehen. Und das, obwohl der Trainer in den vergangenen Jahren von seinem Prinzip abgerückt ist, auf dem Transfermarkt nur zurückhaltend zu investieren. In dieser Saison zum Beispiel kaufte er gleich zwei teure Stürmer: Alexandre Lacazette für 53 Millionen Euro aus Lyon und Pierre-Emerick Aubameyang für fast 64 Millionen Euro aus Dortmund. Mit seinem Ausstand zum Ende der Saison schafft Wenger seinen Absprung gerade noch rechtzeitig, um für seine Verdienste in Erinnerung zu bleiben, nicht als jemand, der verkannt hat, wann es Zeit ist zu gehen.

Und er hat die Chance, sich mit einem Triumph zu verabschieden. Arsenal steht im Halbfinale der Europaliga gegen Atlético Madrid. Einen internationalen Titel hat Wenger mit dem Klub noch nicht gewonnen. Es wäre ein rührender Abschluss, wenn er am 16. Mai in Lyon die Silbertrophäe in den Abendhimmel heben würde. Die Aussicht, dem Trainer zum Abschied einen Titel zu schenken, dürfte Arsenals oft rätselhaft lethargischer Mannschaft ein Ansporn für die letzten Wochen der Saison sein.

Der Verein hat den Umbruch schon eingeleitet, mit der Verpflichtung des Dortmunder Chefscouts Sven Mislintat zum Beispiel, er hat Vorkehrungen getroffen für die Zeit nach Wenger. Trotzdem hinterlässt der Trainer ein gigantisches Vakuum, ähnlich wie Sir Alex Ferguson vor fünf Jahren bei Manchester United. Von Arsenals Nachfolge-Lösung dürfte abhängen, ob sich der Verein wieder in der unmittelbaren Spitze des englischen Fußballs etablieren kann oder langfristig den Anschluss verliert. Als Kandidaten für Arsenals Trainerposten werden unter anderem Massimiliano Allegri von Juventus und Leonardo Jardim aus Monaco gehandelt, aber auch Wengers Zöglinge Henry und Vieira. Wer auch immer das Amt übernimmt - er tritt ein gigantisches Erbe an. Es ist Erbe eines Revolutionärs.

Quelle: ntv.de

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