EL-Remis nervt Coach mächtig Wie Arteta sein Wunder beim FC Arsenal gelang
10.03.2023, 07:12 Uhr
Arteta bastelt sich sein Team zurecht.
(Foto: REUTERS)
In der Europa League setzt es für den FC Arsenal einen Dämpfer, aber in der Premier League liegt der Klub auf Meisterschaftskurs. Das hat vor allem mit Trainer Mikel Arteta zu tun. Dabei wollten die Fans ihn schon zum Abschied bewegen.
Mikel Arteta lächelte kaum. Schnellen Schrittes ging er durch die Katakomben des Estádio José Alvalade in Lissabon, auch die Fragen der Journalisten beantwortete der Spanier im Eiltempo. Der Trainer des FC Arsenal wirkte unzufrieden. Im schwarzen Rollkragenpullover sprach er nach dem 2:2 im Achtelfinal-Hinspiel der Europa League bei Sporting Lissabon tatsächlich fast nur über die Defizite seiner Mannschaft: das aus seiner Sicht schwache Defensivverhalten, die Personalprobleme, die zu einfachen Gegentore. "Das müssen wir dramatisch verbessern in den nächsten Wochen, wenn wir Spiele gewinnen wollen", mahnte der 40-Jährige. Und nicht wenige dürften sich nach diesem Auftritt gefragt haben: Spricht da wirklich der Trainer der vielleicht größten Überraschungsmannschaft des europäischen Spitzenfußballs in dieser Saison?
Dank der Arbeit Artetas stehen die Londoner in der Premier League vor dem Gewinn des ersten Meistertitels seit 2004. Mit fünf Punkten Vorsprung führen die Gunners die Tabelle vor Topfavorit Manchester City an. Die vergangenen vier Spiele in der Liga haben sie alle gewonnen. Nach dem Remis in Lissabon besitzen sie auch im Europapokal gute Chancen auf den Einzug ins Viertelfinale, obwohl Arteta in der portugiesischen Hauptstadt einige seiner Stammkräfte geschont hatte. Es läuft also alles nach Plan. Oder? Wer den Ex-Profi nach dem Spiel erlebte, gewann eher einen gegenteiligen Eindruck. Genauso schnell wie er auf das Pressepodium geeilt war, verließ er es im Anschluss auch wieder.
Fans flehten Arteta um Rücktritt an
Es dürfte auch eine Warnung an seine Mannschaft gewesen sein. Arteta weiß, wie schnelllebig das Geschäft sein kann. Und er weiß, dass Arsenal trotz der bislang herausragenden Spielzeit noch gar nichts erreicht hat. Als die Arsenal-Bosse um den US-Milliardär Stan Kroenke ihn im Dezember 2019 überraschend als Chefcoach verpflichteten, war die Euphorie zunächst groß. Nach zuvor biederen Jahren unter dem einstigen Meistertrainer Arsène Wenger und seinen glücklosen Nachfolgern Unai Emery und Freddi Ljungberg wurde Arteta mit großen Hoffnungen begrüßt. Er kam von Manchester City als langjähriger Assistent von Pep Guardiola, bei den Gunners fingen die Fans sofort an zu träumen: von begeisterndem Offensivfußball, so wie Guardiola seit Jahren von seinen Mannschaften zelebrieren lässt. Die Euphorie um Arteta war riesig. Es dauerte jedoch nicht lange, bis die Fans ihn am liebsten wieder zurück zu City geschickt hätten.
Nach einem katastrophalen Saisonstart im Sommer 2021 standen sie flehend vor seinem Auto. "Bitte verlass den Verein!", riefen einige Anhänger dem gebürtigen Basken zu. So schnell war schon wieder vergessen, was Arteta einst als Kapitän für seinen Herzensklub geleistet hatte. Erste Zweifel an ihm waren bereits nach nicht mal einem Jahr laut geworden, als er zum bis heute einzigen Mal in der Premier League sieben Spiele am Stück ohne Sieg geblieben war.
Trotz aller Widerstände und Misserfolge hielt die Klubführung um Kroenke und Sportdirektor Edu Gaspar immer am Trainer fest. Und Arteta hielt dem Druck stand. "Es gibt Schwierigkeiten und Herausforderungen in diesem Job, besonders wenn du verlierst, aber auch wenn du gewinnst", sagte er erst vor Kurzem. "Aber du kannst dir davon nicht das Leben zerstören lassen, das verdienen deine Familie, deine Freunde und all die geliebten Menschen um dich herum nicht." Aber er habe professionelle Hilfe gebraucht, um das erkennen zu können. Auch das dürfte dazu beigetragen haben, dass er mittlerweile als einer der begehrtesten Trainer Europas gilt.
Arsenal-Legende Wenger lobt seinen Nachfolger
"Sie können den ganzen Weg bis zum Ende gehen. Sie haben alles, was man braucht. Ich sehe keine Schwächen", sagte Wenger jüngst über die starke Saison der Londoner. Dabei wird das aktuelle Team längst nicht mehr von großen Namen geprägt, so wie es einst unter dem Franzosen der Fall war. Es gibt keinen Thierry Henry, keinen Dennis Bergkamp, keinen Robin van Persie mehr. Die aktuellen Schlüsselspieler unter Arteta heißen Martin Ödegaard, William Saliba oder Oleksandr Zinchenko. Und sie sind alle weniger als 27 Jahre alt.
Arteta hat den Kader komplett nach seinen Vorstellungen umgekrempelt. Er trennte sich von den größten Stars wie Pierre-Emerick Aubameyang oder Mesut Özil, was ihm vorab kaum jemand zugetraut hatte. Wie auch? Arteta brachte ja außer als Assistent von Guardiola überhaupt keine Erfahrung als Trainer mit. Trotzdem zog er sein Ding durch. Auch diese harten Personalentscheidungen haben dazu beigetragen, dass Arsenal heute die Tabelle der Liga anführt. Weil sie Arteta Standing und Respekt verschafft haben. Nicht nur innerhalb der Mannschaft.
Mannschaft folgt Arteta bedingungslos
In seiner allerersten Pressekonferenz im Winter 2019 sagte er: "Wir müssen eine Kultur bauen, die den Rest trägt. Wenn wir nicht die richtige Kultur haben, wird der Baum in schwierigen Momenten wackeln. Meine Aufgabe ist es also, alle davon zu überzeugen." Wer Teil seiner Mannschaft sein wolle, müsse sich auf diese Kultur einlassen. Özil und Aubameyang wollten das nicht. Also spielten sie in seinen Planungen irgendwann keine Rolle mehr. "Kultur", dieses Wort benutzt Arteta auch heute noch gerne. Es ist der Kern seiner Philosophie. Eine "Kultur", die auf einer entscheidenden Säule ruht: Disziplin - in taktischer und moralischer Hinsicht. Stück für Stück hat er sich eine Mannschaft aufgebaut, die ihm bedingungslos folgt. Die Sommertransfers von Gabriel Jesus und Zinchenko waren vielleicht die letzten Puzzlestücke, die ihm auf diesem Weg gefehlt haben.
Mittlerweile trainiert er die im Schnitt jüngste Mannschaft der Premier League, auch er selbst zählt zu den jüngsten Trainern der Liga. Und er steht vor dem bislang größten Erfolg seiner noch jungen Laufbahn. Zwölf Spiele bleiben den Gunners noch, um den Vorsprung gegenüber City und Artetas einstigem Lehrmeister Guardiola ins Ziel zu retten. Den nächsten Schritt wollen sie am Sonntag beim FC Fulham gehen.
Die Meisterschaft wäre die vorläufige Krönung einer bislang außergewöhnlichen Trainer-Laufbahn. Auch, wenn Arteta selbst noch lange nicht so weit denken will. Das machten Gestik und Mimik am späten Donnerstagabend in Lissabon deutlich. Denn lächeln sah man ihn kaum. Obwohl er derzeit viele Gründe dafür hätte.
Quelle: ntv.de