Pleite im Zeichen des Ausverkaufs Wie die DDR ihre letzte WM verspielte
15.11.2014, 14:25 Uhr
Da waren sie noch optimistisch: Anhänger des DDR-Teams vor dem Anpfiff.
Matthias Sammer, Andreas Thom, Ulf Kirsten - große Namen prägen die Fußball-Nationalmannschaft der DDR 1989. Für die Qualifikation zur WM 1990 fehlt nur ein Punkt in Österreich. Doch dann fällt die Mauer, und alles kommt ganz anders.
Die Hochachtung schwingt noch 25 Jahre später mit, wenn Josef Hickersberger von den Gegnern von damals spricht. "Sammer, Kirsten, Thom, Doll - das waren außergewöhnliche Spieler." Außergewöhnliche Spieler, die sechs Tage nach dem Fall der Mauer ihrem Land einen letzten großen Auftritt auf der großen Bühne des Weltsports verschaffen sollten. Sie waren mit der Auswahl der DDR nach Wien gereist, um das Ticket zur Weltmeisterschaft 1990 in Italien zu lösen. Ein Punkt im letzten Qualifikationsspiel gegen Österreich hätte gereicht. Doch der Mauerfall, der so viele Menschen befreite, lähmte die Spieler.
Österreich: Lindenberger - Pfeffer, Pecl, Aigner, Linzmaier, Keglevits, Hörtnag, Artner, Zsak, Ogris (75. Herzog/81. Pfeifenberger), Polster. Trainer: Hickersberger
DDR: Heyne - Stahrmann, Schößler, Lindner, Kreer, Döschner (42. Doll), Stübner, Steinmann, Sammer (79. Weidemann), Kirsten, Thom. Trainer: Geyer
Schiedsrichter: Werner (Polen)
Zuschauer: 55.000 im Wiener Ernst-Happel-Stadion
Tore: 1:0 Polster (2.), 2:0 Polster (23. FE), 3:0 Polster (61.).
Eduard Geyer, der letzte Nationaltrainer der DDR, erinnert sich nicht gern, wie im Interview mit n-tv.de deutlich wird. Aber, das gibt er zu, er wollte unbedingt zur Weltmeisterschaft. Aber: "Man wusste nicht, wo es langgeht. Es ging auch los mit dem Ausverkauf. Die Situation war für mich als Trainer bedrückend und äußerst schwierig." Statt sich in der Leipziger Sportschule konzentriert auf das Spiel vorzubereiten, planten viele Spieler schon ihren Wechsel in die Bundesliga.
450 Kilometer entfernt bereitete Hickersberger, damals Trainer der Österreicher, sein Team im Trainingslager in Wien auf die Partie vor. Die Berichte über die Ereignisse in Berlin am 9. November verfolgt er im ORF - und gerät ins Grübeln. "Es war anzunehmen, dass die DDR-Spieler aufgrund ihrer Klasse Verträge im Ausland bekommen können. Ein Sieg in Wien hätte viele zu Millionären gemacht." Ein Trugschluss. Sammer, Kirsten und Co. mussten sich gar nicht mehr präsentieren. Die Scouts aus dem Westen hatten die Jagd schon längst eröffnet.
Erst Kohl stoppt Calmund
Den größten Appetit auf neue Stars aus dem Osten hatte, natürlich, Reiner Calmund. Der Leverkusener Manager hatte angeblich schon am Tag nach dem Mauerfall die entscheidende Eingebung: "Wir müssen uns um die Spieler kümmern." Er schickte seinen Adjutanten Wolfgang Karnath nach Wien. Angeblich schaffte der es mit einem Presseausweis und einem Sanitäterpass bis auf die Auswechselbank des DDR-Teams. Auch wenn Ede Geyer diese Geschichte dementiert - sie illustriert, wie vehement Calmund um die großen Stars warb.
Karnaths Mission, egal wo sie genau stattfand, sie führte zum Erfolg: Andreas Thom verpflichtete Bayer schon am Tag nach dem Spiel in Österreich, für 2,8 Millionen Mark. Später kam auch Ulf Kirsten - und selbst Matthias Sammer unterschrieb zunächst in Leverkusen. Doch Bundeskanzler Helmut Kohl wies die Bosse der Bayer AG darauf hin, dass es nicht gut aussähe, wechselte auch noch Sammer nach Leverkusen. Also wurde der Vertrag auf Geheiß Kohls wieder aufgelöst, Sammer verstärkte zunächst den VfB Stuttgart.
"Wir sind beschissen worden"
Gemeinsam waren sie mit dem Team der DDR die zweitstärkste Mannschaft der Qualifikationsgruppe 3, hinter Vize-Europameister Sowjetunion, der sich klar qualifiziert hatte. Vor dem Anpfiff zum entscheidenden Spiel sah auch Österreichs Trainer Hickersberger die DDR als Favorit an. Doch plötzlich netzte Toni Polster schon in der 2. Minute zur Führung. "Im Nachhinein habe ich das Gefühl, dass sich der Mauerfall für die Spieler der DDR eher belastend ausgewirkt hat", erinnert sich Josef Hickersberger.
Ede Geyer hadert noch heute mit dem Schiedsrichter. Der DDR verweigert der Pole Piotr Werner früh einen Strafstoß, stattdessen bekommen die Gastgeber in der 23. Minute einen Elfmeter, "den nicht jeder gibt" (Hickersberger). Wieder Polster, wieder Tor, 2:0. Dann hat Rico Steinmann, später beim 1. FC Köln, in der 31. Minute die Chance, vom Elfmeterpunkt auszugleichen. Er scheitert an Klaus Lindenberger. "Das war schon ein optimaler Spielverlauf", sagt Hickersberger heute. "Aber die DDR hat auch nicht zu ihrer normalen Spielstärke gefunden."
Am Ende steht es 3:0, Österreich fährt zur Weltmeisterschaft 1990 nach Italien, wo das Team schon in der Vorrunde scheitert. Weltmeister wird das westdeutsche Team, und Teamchef Franz Beckenbauer fabuliert, mit der Verstärkung aus dem Osten werde die Mannschaft "auf Jahre hin unschlagbar sein". Die Länderspielgeschichte der DDR endet versöhnlich: Zwar bekommt Ede Geyer zum letzten Spiel gegen Belgien am 12. September 1990 in Brüssel gegen Belgien gerade einmal 14 Spieler zusammen. Aber zwei Tore von Matthias Sammer sorgen für ein 2:0. Dann verschwindet die DDR von der Fußball-Landschaft.
Quelle: ntv.de, mit sid