Fußball

Drängendste Fragen in Dortmund Wird der BVB jetzt wirklich Deutscher Meister?

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Edin Terzić ist ein BVB-Versteher.

(Foto: IMAGO/Sven Simon)

25 Spieltage sind in der Bundesliga gespielt. Der FC Bayern ist nicht Tabellenführer. Es stellt sich nur noch eine Frage: Kann Borussia Dortmund wirklich Deutscher Meister werden? Ja, denn sie führen vor der Reise nach München am 1. April die Tabelle an, sagt ntv.de und beantwortet drängende Fragen.

Darauf war Edin Terzić nicht vorbereitet. Jetzt sollte der BVB-Trainer noch eine Ansprache halten. Nach dem 6:1 gegen den 1. FC Köln wollte er in seiner alten Heimat, der Dortmunder Nordstadt, bei der Eröffnung der Nordstadtliga dabei sein. Und jetzt stand er plötzlich da und redete. Darüber, wie wichtig es ist, gegenseitig Respekt voreinander zu haben und welche Rolle der Fußball dabei spielen kann. Mit einem Hoodie stand er dort neben dem Kopf der Liga, Mirza Demirovic, und sprach zu den Spielern der Dortmunder Straßenliga. Sie hörten ihm zu. Weil Terzić ihre Sprache beherrscht und weil es ihm ein Anliegen war.

Terzić kann momentan ohnehin kaum etwas verkehrt machen. Er hat den BVB wiederauferstehen lassen und das auch, weil dem Klub zum ersten Mal der viel beschworene Spagat zwischen Borsigplatz und Shanghai zu gelingen scheint. Der Bundesligist hat sich in den vergangenen Jahren auf der Sinnsuche zwischen Kommerzialisierung und Heimatverbundenheit aufgerieben und war zu einem Sinnbild für die Perspektivlosigkeit der Bundesliga geworden. Für die linke Spur zu langsam, für die rechte Spur zu schnell.

Hinter dem Übergiganten FC Bayern München waren die Dortmunder international zwar zu einem Leuchtturm geworden, doch der strahlte längst nicht so hell, wie sich der BVB-Boss Hans-Joachim Watzke das erdacht hatte. Immer neue Leuchtturmwärtern waren gekommen, hatten ihn aber nicht reparieren können. Die Tuchels, die Favres, die Roses wurden nicht glücklich im Westfalenstadion. Dann kam Terzić und wusste genau, was zu tun war.

Bis alle Schalter umgelegt waren, dauerte es seine Zeit. Noch im November 2022 war der BVB am Ende, sogar die Qualifikation für die Champions League schien in Gefahr. Doch dann startete der BVB einen Lauf. 28 Punkte von 30 möglichen Punkten nach der WM-Pause, aus Einzelspielern wurde eine Mannschaft und über allem wacht Terzić, der an diesem Sonntag, an dem der BVB erstmals seit 2019 wieder nach einem Spieltag die Tabellenführung überhaupt in die Heimat der Borussia, die Nordstadt, zurückkehrt. Nur wenige Stunden später träumte ganz Dortmund von der Meisterschaft. Auch wenn es noch keine konkreten Planungen der Fans zu einem eventuellen Platzsturm nach dem letzten Spiel gegen den FSV Mainz 05 gibt. Und ist eine Meisterschaft überhaupt realistisch? Für Sie, liebe Leser, beantwortet ntv.de, wie jeden Monat, die drängendsten Fragen rund um den BVB.

Wird der BVB jetzt Deutscher Meister?

Geduld. Geduld. Dazu kommen wir noch.

Anders gefragt: Hat der BVB jetzt plötzlich Mentalität?

Vor genau einem Monat gab es genau an dieser Stelle eine der berühmten Knallhart-Ansagen. Auf die unsägliche Frage nach dem Ende der Mentalitätsdebatte gab es nur diese eine Antwort: "Die wird so lange weitergeführt, bis das Wort Mentalität nicht mehr bemüht werden muss. Nicht im negativen, aber auch nicht im positiven Sinne. Bis das Wort Mentalität sich also wieder fest in die Dortmunder DNA eingebrannt hat." Das ist jetzt nun geschehen und die Debatte ist tatsächlich auch noch in Richtung Süden gewandert. Denn dort wollen sie jetzt endlich wieder "Mentalität und Gier auf den Platz bringen", wie Sportvorstand Hasan Salihamidžić nach der Pleite in Leverkusen ins Mikrofon schimpfte.

Also hat der FC Bayern München jetzt eine Mentalitätsdebatte?

Ja. Und dazu ist der Serienmeister auch noch mit Untergrundarbeiten beschäftigt. Trainer Julian Nagelsmann ist regelrecht schockiert. Ein Maulwurf geht um und buddelt wieder die Geschichten aus, die nur der FC Bayern erzählt. Es ist zutiefst schockierend, dass der Coach der Münchener nun so ein Fass aufmacht. Maulwürfe sind ausdrücklich vom Gesetz geschützt. Es ist somit verboten, sie auch nur zu stören, geschweige denn sie zu töten. Es ist nicht das Problem des Maulwurfs, dass der von ihm aufgeworfene Schutt den 35-Jährigen derart verstört. Ein Maulwurf ist einer, der mit Erde wirft. Ein Erdwerfer also, der seine Lebensraumansprüche vor allem nach einem ganzjährigen Nahrungsangebot richtet. Fürs Futter ist immer noch der FC Bayern verantwortlich.

Es ging hier um Mentalität und nicht Maulwürfe!

Und aufgeworfene Fragen. Mentalität ist alles. Sie existiert oder nicht und die Frage danach nervt mittlerweile wie der VAR.

Anderes Thema: Was ist mit Borussia Dortmund passiert?

Gerade noch war die Mannschaft eine Ansammlung überbezahlter Stars. Ein nicht zu trainierender Sauhaufen, der so wankelmütig war, dass er dazu geeignet war, als manisch-depressiv bezeichnet zu werden. Der Klub hatte über all die Jahre seine Mitte verloren. Der BVB war zu einem Verein geworden, der es sich auf einem Hochplateau gemütlich gemacht hatte und mal fasziniert in Richtung Abgrund schaute und mal auf den Gipfel. Der Absturz war keine Option, der Weg nach oben zu gefährlich. Sie hätten zu viel riskieren müssen. Das Scheitern unter dem höhnischen Applaus der Menge erschien keine erstrebenswerte Option. So blieben sie auf ihrem Platz und freuten sich über zwei Pokalsiege. Der BVB verbrannte Trainer um Trainer, versorgte die zweitbesten Spieler des Landes mit guten Verträgen, wurde zu einem fantastisch bezahlten Karrieregrab.

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Drin der Fisch, wie man im Ruhrgebiet sagt. Guerreiro trifft schon wieder.

(Foto: IMAGO/MIS)

Aus dem sich jetzt, ganz anders als ein Maulwurf das je schaffen könnte, die Spieler herausbuddeln!

Exakt. Julian Brandt und Emre Can, Marius Wolf und Raphael Guerreiro. Sie alle sind plötzlich das Symbol für den Dortmunder Siegeslauf. Der ist längst kein Zufall mehr, weil er Rückschläge einpreist und einordnet. So war das Aus gegen Chelsea finanziell natürlich problematisch, aus sportlicher Sicht aber durchaus mit den Umständen zu erklären. Wie auch das 2:2 im Revierderby auf Schalke, bei dem die Nachbarn aus Gelsenkirchen ihrerseits daran erinnerten, dass sie auch noch existieren. Das beweisen sie Woche für Woche auf die erstaunlichste Art und Weise. Deswegen also war das Unentschieden vielleicht als Teambuilding-Maßnahme zu verstehen. Denn bei all dem "Unglück" in diesem Spiel gab es dort den Lichtblick Raphael Guerreiro. Der 29-jährige Portugiese spielt nicht nur um einen neuen Vertrag, er macht dies neuerdings im Mittelfeld.

Weil Terzić ihn dorthin geschoben haben. Kann der Trainer der Dortmunder Christian Streich werden?

Es wäre ideal für diesen Klub. Und vielleicht war es dann auch kein Zufall, dass die beiden heutigen Bundesliga-Trainer beim 5:2 des BVB gegen die Bayern im DFB-Pokalfinale beide in unmittelbarer Nähe zueinander im Berliner Olympiastadion in oder neben (Streich) der Dortmunder Kurve gestanden haben.

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Um Jude Bellingham ist es stiller geworden. Er muss die Mannschaft nicht mehr allein tragen.

(Foto: IMAGO/MIS)

Terzić bleibt also für immer. Aber was wird aus Jude Bellingham?

Um den Superstar ist es ruhig geworden. Musste er in der ersten Saisonhälfte die Mannschaft beinahe allein tragen, fällt der immer noch 19-Jährige seit Wochen kaum noch auf. Wenn nicht die englische Presse gerade einen unglaublichen Wirbel veranstaltet, wenn nicht die Transferjournalisten mit seinem Namen Geschichten verkaufen, ist er nur einer unter vielen Spielern. Einer, der sich aufreibt, der mit seinen Ballverlusten im Derby sogar letztendlich für den Punktverlust sorgte. Aber auch das wurde ihm nicht aufs Brot geschmiert, genauso wie Terzić für seine zu offensiven Wechsel im Spiel in der Arena nicht tagelang einem medialen Dauerfeuer ausgesetzt war. Während die Spötter bereits höhnisch applaudierten und dem BVB vorwarfen, den Titel mit dem 2:2 achtlos weggeworfen zu haben, arbeiteten sie in Dortmund einfach weiter. Verbissen und voller Gier, mit Wut im Bauch über die abgeschenkten Punkte, aber mit dem Wissen, dass noch keine Mannschaft mit 17 Siegen durch ein Halbjahr marschiert ist. Das ist schlichtweg nicht möglich.

Und was aus Marco Reus?

Der Kapitän hat sich entschieden. "Ich würde meine Karriere gerne hier beenden", sagte er am Wochenende. Noch ist nichts unterschrieben, noch werden Gespräche geführt und die Frage ist natürlich: Will der BVB auch, dass Marco Reus die Karriere in Dortmund beendet? Bleibt noch ein wenig spannend. Sollte er in der Bierhauptstadt bleiben, würde er sich zum Rekordtorschützen des Vereins aufschwingen. Für ein Denkmal aber reicht das alles noch nicht. Weil die Bayern immer Meister wurden.

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Rummenigge und Hoeneß haben beim FCB keine tragenden Rollen mehr.

(Foto: imago images/Sammy Minkoff)

Aber in diesem Jahr nicht?

Am Ende ist es doch so: In einem Leben kann ein Mensch nur eine begrenzte Menge Wein trinken. Und irgendwann braucht es eine Pause, irgendwann ist die letzte Flasche leergetrunken und neue Menschen kommen und trinken neuen Wein. Bei den Bayern suchen sie nach dem Abgang der Vereinsikonen Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge noch nach dem nächsten richtigen Rausch. Und das wäre dann dieses kurzes Zeitfenster für andere Klubs, sich endlich einmal so richtig zu betrinken. Jetzt wäre es so weit. Vielleicht können die Bayern einfach keine Begeisterung mehr für den grauen Liga-Alltag aufbringen.

Wer wird denn jetzt Deutscher Meister?

In Dortmund beantworten sie diese Frage aktuell singend. "BVB Borussia" schallt es dann von der Südtribüne, auf der sich die Fans sonst ein wenig wundern, wie ruhig der Rest des Stadions noch ist. Es scheint beinahe so, als hebe sich der Rest des Stadions noch ein wenig auf für das Spiel gegen Mainz Ende Mai. Und wenn es nicht so kommt, hat der BVB es wenigstens mal probiert. An der grundlegenden Dominanz der Bayern würde sich ohnehin nichts ändern. Dafür hat der Verein zu viel Geld und nicht jeder verschwendet das so sinnlos wie Hertha BSC. Ein wie Windhorst-Hertha wirtschaftender FCB wäre jedoch die Grundvoraussetzung für eine Wachablösung in der Bundesliga. Manchmal reicht jedoch ein Schluck vom herrlichen Wein, um durch die nächsten Jahre der Dürre zu kommen.

Si tacuisses, philosophus mansisses.

Wir bleiben im Gespräch.

Mit Stephan Uersfeld sprach Stephan Uersfeld

Quelle: ntv.de

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