Königsklasse statt Gruppentherapie Wundersamer Schalker Wandel
12.03.2013, 12:36 Uhr
Hier jubeln Derbysieger: Schalkes Kapitän Benedikt Höwedes lässt es raus.
(Foto: dpa)
Was ist nur passiert mit diesen Schalkern? Neulich noch ein Fall für die Couch, präsentiert sich der Fußball-Bundesligist plötzlich in Topform, spielt Borussia Dortmund an die Wand, steht vor dem Einzug ins Viertelfinale der Champions League.
Schalke 04 auf Tabellenplatz vier der Bundesliga. Da beschleicht den neutralen Beobachter zunächst einmal, bei aller Wertschätzung der Gelsenkirchener Fußballkunst, der dringende Verdacht, dass das nicht allein an der Stärke der Mannschaft liegen könnte, sondern auch daran, dass die anderen eher auch nicht so gut sind. Denn Platz vier in der Tabelle, das heißt auch: 27 Punkte Rückstand auf den übermächtigen FC Bayern aus München. Aber nur 25 Zähler vor der nicht klassentauglichen Spielvereinigung aus Fürth und Vestenbergsgreuth.
FC Schalke 04: Hildebrand - Uchida, Höwedes, Matip, Kolasinac - Höger, Neustädter - Farfan, Draxler, Bastos - Pukki (Obasi). - Trainer: Keller
Galatasaray Spor Kulübü: Muslera - Eboué, Gökhan Zan, Kaya, Riera - Melo, Selcuk Inan - Hamit Altintop, Sneijder - Burak Yilmaz, Drogba. - Trainer: Terim
Schiedsrichter: Jonas Eriksson (Schweden)
Was die feine Leistung der Schalker beim Derbysieg am Wochenende geg en den immer noch amtierenden Meister aus Dortmund nicht schmälern soll. Die Mannschaft des arg gescholtenen Trainers Jens Keller scheint gerade noch rechtzeitig in die Spur zurückzufinden. Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" schwelgte gar: "Im ersten Durchgang beherrschte Schalke den ungeliebten Nachbarn derart, dass es beinahe surreal anmutete." So viel Lob war lange nicht mehr - und lässt nach Wochen des Rückschritts neue Hoffnung keimen. Zumal dieser Erfolg eben keineswegs allein auf die Schwäche der Borussia zurückzuführen war. Das hatte auch Dortmunds Trainer Jürgen Klopp so gesehen, sprach von einem "verdienten Sieg" und lieferte die Begründung gleich mit: "Erstens hat Schalke öfter geschossen, und zweitens haben sie deutlich mehr aufs Tor geschossen."
So bleibt der wundersame Wandel der Gelsenkirchener zwar nicht nur für die "Süddeutsche Zeitung" unerklärlich, aber irgendetwas muss passiert sein. "Vor vier Wochen war Schalke ein Fall für die Gruppentherapie, gegen den BVB war es eine starke Gemeinschaft." Da staunte auch Mittelfeldspieler Marco Höger: "Man gerät plötzlich in so einen Negativstrudel hinein, und ebenso plötzlich ist die Krise wieder vorbei." Vielleicht ist es einfach so, dass Trainer Keller doch besser arbeitet, als viele ihm zugestehen. Und vielleicht ist es so, dass er es geschafft hat, seinen Spielern jegliche Überheblichkeit zu nehmen, die sie, wie die "Zeit" schreibt, unter seinem Vorgänger Huub Stevens "selbst dann noch an den Tag legten, als die Leistungen längst nicht mehr Stimmten". Ob Innenverteidiger Joel Matip, Mittelfeldspieler Roman Neustädter, Atsuto Uchida oder Jefferson Farfan - sie alle spielen plötzlich wieder so wie zu Beginn der Serie, als ihnen der beste Saisonstart seit 41 Jahren gelang. Mit Leidenschaft, Spielfreude und taktischem Geschick geht halt doch was. Sogar gegen Dortmund.
Jedenfalls waren sie hinterher sogar zu Scherzen aufgelegt. "Ein Derbysieg wäre kein Derbysieg ohne ein Bierchen hinterher", sagte Schalkes 19 Jahre alter Jungstar Julian Draxler, der in seinem 100. Spiel für seinen erklärten Lieblingsverein das erste Tor schoss, überragte und der Diskussion, ob nun er oder der Dortmunder Mario Götze als größtes deutsches Talent gelten darf, neue Argumente in eigener Sache lieferte. Und auch Draxler weiß: Platz vier im Klassement bedeutet den Qualifikationsplatz für die Champions League. Über den würden sie sich in Gelsenkirchen am Ende der Saison durchaus freuen. Falls sie doch nicht wider Erwarten die Königsklasse gewinnen. Scherz. Aber die Chance besteht. Und das ist aller Ehren wert.
Kann klappen. Oder auch nicht
Heute empfängt der FC Schalke 04 im Rückspiel des Achtelfinales (ab 20.45 Uhr im Liveticker bei n-tv.de) die Mannschaft von Galatasaray aus Istanbul. Nach dem 1:1 im Hinspiel ist, wie Kenner wissen, alles drin. Kann klappen. Oder auch nicht. Manager Horst Heldt ist so ein Kenner, und da ihn jobgemäß besondere Interessen leiten, gibt er vor dem Duell mit dem türkischen Meister den Optimisten: "Ich bin überzeugt, dass wir den nächsten großen Schritt machen können." Und der Kaufmann in ihm dürfte auch auf die 3,9 Millionen Euro spekulieren, die es von der Uefa gibt, erreichen die Schalker das Viertelfinale.
Das müssen sie allerdings ohne den gesperrten Abräumer Jermaine Jones versuchen. Und ohne den verletzten niederländischen Angreifer Klaas-Jan Huntelaar. Der läuft zwar seit Monaten seiner Form aus der vergangenen Saison hinterher, hat aber für die in der Champions League in dieser Spielzeit noch ungeschlagenen Gelsenkirchener bereits vier Tore erzielt, mehr als jeder andere in seinem Team. Und gegen den BVB am Samstag traf er auch. Vor allem aber offenbart Huntelaars Ausfall den Mangel an einer soliden Alternative.
Der Rumäne Ciprian Marica ist nach einer Operration am Knie dabei, sich wieder zu erholen, der ehemalige Hoffenheimer Chinedu Obasi gehörte zuletzt wegen andauernder Formschwäche nicht einmal mehr zum Kader, und dem Finnen Teemu Pukki gelang nach seiner Einwechselung gegen Dortmund wenig. Was also schlägt Trainer Jens Keller vor? "Es hilft nichts zu jammern, wir müssen das so annehmen." Ein Kenner halt. Und er verspricht: "Wir werden nicht abwartend spielen und nicht den Fehler machen, uns hinten reinzustellen."
Und die Gäste? Müssen erst einmal eine Heimniederlage gegen Genclerbirgli Ankara in der türkischen Süperlig verdauen, die allerdings nichts an der Tatsache änderte, dass Galatasaray nach 25 Spieltagen weiter die Tabelle mit vier Punkten vor dem Stadtrivalen Fenerbahce anführt. Und auch Trainer Fatih Terim hat einen Plan, er probiert's mit einem Appell an seine Spieler: "Rafft euch auf. Gegen Schalke will ich euch nicht in dieser Verfassung sehen." Und noch ein Kenner hat sich zu Wort gemeldet. Christoph Daum, der jüngst verkünden ließ, dass er dringend einen Trainerjob sucht, ließ via Bezahlsender Sky ausrichten: "Die Euphorie um das Team ist ungebrochen. Gala ist nach wie vor der Überzeugung, die bessere Mannschaft zu haben. Sie wissen, dass sie besser spielen können, als sie es im Hinspiel getan haben." Vielleicht hat er noch nichts von den surrealen Schalkern gehört.
Quelle: ntv.de