
Gerald Asamoah, ein Typ, der immer am Lachen ist.
(Foto: imago sportfotodienst)
Heute vor zehn Jahren feierten die Fans des FC St. Pauli den legendären Derby-Triumph ihrer Mannschaft im Hamburger Volksparkstadion. Held des Abends war Gerald Asamoah. Sein Treffer sicherte die große Party, die später im Unglück enden sollte!
Derby-Siege sind gut für die Seele - aber nicht immer gut für die Tabelle. Aber da das am 16. Februar 2011 noch niemand aufseiten des FC St. Pauli ahnen konnte, ist die Partynacht nach dem historischen Sieg beim Hamburger SV bis auf den heutigen Tag legendär und unvergessen. Schließlich hatte man nach 34 endlos langen Jahren den innerstädtischen Konkurrenten endlich einmal wieder in einem Ligaspiel besiegen können.
Eigentlich hatte die Partie bereits zehn Tage vorher stattfinden sollen - doch der neu verlegte Rollrasen im Volksparkstadion hatte bei typisch Hamburger Wetter einem Belastungstest nicht standgehalten. Das hatten auch alle Fans soweit mitbekommen - bis auf einen. Das "Abendblatt" berichtete in seiner Ausgabe vom 7. Februar über einen gewissen Fritz Dönselmann aus Rahlstedt. Der 46-Jährige musste vor den verschlossenen Stadiontoren überrascht und enttäuscht wieder kehrtmachen.
Als ein Ordner ihn damals fragte, wieso er denn nichts von der Spielabsage gewusst habe, antworte Dönselmann noch sichtlich verwirrt: "Naja, meine Familie ist grippekrank. Ich konnte nicht wie sonst fernsehen, sondern musste mich kümmern." Eine durchaus plausible und nachvollziehbare Begründung. Und so blieben Dönselmann und den anderen Fans beider Vereine noch zehn weitere Tage der Vorfreude.
"St. Pauli kennt in Europa keiner"
Bei den Spielern des Hamburger SV hielt sich die Begeisterung für die Partie gegen den Stadtrivalen allerdings in Grenzen, wie die Aussage von David Jarolim kurz vor der Begegnung zeigte: "Es geht doch nur um dieses Spiel. Für mich gibt es ohnehin keinen Zweifel. Wir haben jahrelang international gespielt - St. Pauli aber kennt in Europa keiner." Jarolim hatte sich ganz offensichtlich auch mental mittlerweile schon ganz gut beim verdienstvollen Bundesliga-Dino eingelebt. Und auch sein Mitspieler Heiko Westermann machte keinen Hehl daraus, dass die Partie eigentlich schon im Vorhinein zugunsten der Rothosen entschieden war: "St. Pauli kann uns nicht das Wasser reichen!"
So viel Hochmut wollten die Spieler des FC St. Pauli nicht ernsthaft kommentieren und wählten deshalb, wie in diesem Fall Florian Bruns, die eher locker-flockige Variante, als er Westermanns Spruch konterte: "Er ist ja schon lange Jahre dabei und ein erfahrener Nationalspieler. Also wird er schon recht haben." Doch wie es tatsächlich in den Spielern des FC St. Pauli an diesem denkwürdigen Abend vor zehn Jahren aussah, konnte jeder Fußballfan spätestens nach Abpfiff der Partie sehen. Denn als der Pauli-Keeper Benedikt Pliquett nach dem 1:0-Sieg mit Vollkaracho sein ausgestrecktes Bein gegen die Eckfahne mit dem HSV-Emblem donnerte, rief er zeitgleich und unüberhörbar Richtung Kurve: "Und ihr habt mich vom Hof gejagt!" Pliquett hatte einmal in der U23 des HSV gespielt, doch dort hatten sie ihn nicht länger haben wollen. Glück für den FC St. Pauli - und Benedikt Pliquett.
Und dann war da nur noch Jubel aufseiten der St. Paulianer. Der damalige HSV-Sportdirektor Bastian Reinhardt, der diese Minuten später als die "bittersten Momente überhaupt, seit ich beim HSV bin" bezeichnen sollte, meinte sichtlich angeschlagen: "Wenn ich das sehe, wie die St. Paulianer in unserem Stadion feiern, dann könnte ich kotzen, ehrlich." Und ein Mann feierte ganz besonders ausgelassen. Der ehemalige Schalker Gerald Asamoah, den Rudi Assauer stets nur "Blondie" nannte, konnte sein Glück hinterher kaum fassen.
HSV erwacht böse
In der 59. Minute war der damalige Kapitän des FC St. Pauli nach einer Vorlage von Fabian Boll zum Kopfball hochgestiegen und hatte das alles entscheidende 1:0 erzielt. Ohnehin stets eher gut gelaunt ("Ich bin so ein Typ, der immer am Lachen ist"), vergaß Asamoah direkt nach Spielschluss sofort wieder seine Verletzung, die ihn kurz zuvor noch zur vorzeitigen Aufgabe gezwungen hatte. Und so zelebrierte "Blondie" gemeinsam mit seinen Mitspielern diese historische Nacht von Hamburg - als der FC St. Pauli zum ersten Mal seit 1977 den Hamburger SV in einem Derby vernascht hatte.
Ben Redelings ist ein leidenschaftlicher "Chronist des Fußballwahnsinns" (Manni Breuckmann) und Anhänger des ruhmreichen VfL Bochum. Der Autor, Filmemacher und Komödiant lebt im Ruhrgebiet und pflegt sein Schatzkästchen mit Anekdoten. Für ntv.de schreibt er dienstags und samstags die spannendsten und lustigsten Geschichten auf. Weitere Informationen zu Ben Redelings, seinen aktuellen Terminen und Projekten gibt es auf seiner Seite www.scudetto.de.
Welche Gefühle genau solch ein Triumph bei den Anhängern der Braun-Weißen auslöst, schrieb die "Süddeutsche Zeitung" im Anschluss an die Partie auf wunderbare Art und Weise nieder: "Für einen Fan des FC St. Pauli ist ein Sieg gegen den Hamburger SV eine durchaus feine Sache. Eine sehr feine Sache. Eine so unglaublich feine Sache, dass einige der feinsten Sachen der Welt im Vergleich wirken wie ein Rachenkatarrh, wie Hammerzehen oder eine Steißbeinprellung."
Doch nach all den Feierlichkeiten kam schließlich das böse Erwachen. Nach dem Derbysieg konnte der FC St. Pauli in den restlichen zwölf Punktspielen lediglich noch einen Zähler ergattern - und stieg am Ende der Spielzeit als abgeschlagener Tabellenletzter ab. Und auch für den neuen Fan-Liebling Gerald Asamoah endete die Zeit in Hamburg im Sommer bereits wieder. Doch noch heute kommen die Anhänger des FC St. Pauli freudestrahlend auf ihn zu, meinte er einmal, und bedanken sich herzlich bei ihm für sein unvergessliches Tor im Derby gegen den Hamburger SV vor zehn Jahren.
Quelle: ntv.de