
Ansgar Brinkmann: Einer wie keiner.
Vor zwanzig Jahren atmete die Bundeliga auf. Endlich war da wieder einmal einer dieser echten Typen, die auf und neben dem Platz für Schlagzeilen sorgen. Ansgar Brinkmann konnte mit seinen Abmahnungen sein Wohnzimmer tapezieren - aber auch genial Fußball spielen. Sein Motto war dabei Programm: "Es lebe das Laster!"
"Wer mich holt, holt sich Ärger ins Haus." Es ist genau zwanzig Jahre her, als Ansgar Brinkmann, diesen Satz sagte. Der Mann, den sie auf dem Platz den "weißen Brasilianer" nannten, war im Herbst 2002 in aller Munde. Eine große Sportillustrierte widmete ihm unter dem Titel "Der liebenswerte Rebell" eine Doppelseite. Endlich war da wieder jemand, der in der Bundesliga aus der Reihe fiel und für Schlagzeilen sorgte. Ganz nach dem Lebensmotto von Brinkmann: "Es lebe das Laster, denn wer immer nur brav ist, wird nirgendwo vermisst." Es ist die Zeile aus einem Lied von Udo Jürgens. Sie passt zum "weißen Brasilianer", wie die berühmte Faust aufs Auge.
In diesen Tagen des Herbstes vor zwanzig Jahren sagte Brinkmann auch einen anderen Satz, der mittlerweile legendär ist: "Ich habe in meiner Karriere schon so viele Abmahnungen bekommen, damit könnte ich mein Wohnzimmer tapezieren." Und tatsächlich hatte ihm Arminia Bielefeld damals gerade erst zwei neue schicken müssen. Angeblich hatte er zusammen mit einem Freund im Winter zu nächtlicher Stunde eine Eisbahn besuchen wollen und war dabei von einem Ordner überrascht worden. Der Mann vom Sicherheitsdienst behauptete später, tätlich angegriffen worden zu sein. Die Sache landete vor Gericht - und Arminia musste reagieren.
3000 Euro in kleinen Scheinen
Die zweite Abmahnung kassierte Brinkmann dafür, dass er trotz Verletzung mit ins Trainingslager gereist war, dort ausgiebig seinen Geburtstag feierte und erst tief in der Nacht ins Mannschaftsquartier zurückkehrte. Die Strafe in Höhe von 3.000 Euro bezahlte der "weiße Brasilianer" übrigens kurz darauf reumütig in kleinen Scheinen direkt an seinen Trainer Benno Möhlmann.
Doch der Burgfrieden zwischen seinem Coach und ihm hielt anschließend nicht lange. Nach einer Niederlage faltete Brinkmann in der Kabine zuerst seine Mitspieler und danach seinen Trainer zusammen. Doch diesen Disput löste das Team schließlich ohne Strafe - denn alle sahen ein, dass Brinkmann nur das Beste für den Verein wollte und sein Argument - "Mit Klappehalten kannst du nicht die Klasse halten" - in der Tat nicht von der Hand zu weisen war.
Kurz darauf kam es dann vor dem Auswärtsspiel am 30. November in Bochum zu einem weiteren Höhepunkt im Binnenverhältnis von Brinkmann und seinem Trainer. Der "liebenswerte Rebell" hatte am Morgen das Frühstück verpasst und nun kurz vor der Partie Hunger. Und so zog Brinkmann los und hatte Glück. Direkt am Kirmesplatz an der Castroper Straße in Abwurfweite zum Ruhrstadion stand eine Pommesbude. Kurzentschlossen holte sich Ansgar eine Portion und kehrte ins Hotel zurück.
Heute sagt er über die Aktion: "Ich war ein Freigeist. Ich habe vor einem Bundesligaspiel Pommes rot-weiß gegessen. Welcher Spieler macht das? In der Mannschaftsbesprechung, erste Reihe, vor dem Bochum-Spiel, vor Benno Möhlmann. Anfangs hat er es nicht gewagt, mich anzusprechen, dann hat er geschrien: 'Ansgar, bist du bekloppt?' Meine Antwort war: 'Das ist das Benzin für gleich!'"
"Ist nur der Ansgar. Kein Problem!"
Und Benno Möhlmann? Der meint heute nach so vielen Jahren: "Wie soll man darauf reagieren? Ich hatte keine Vergleichsmöglichkeiten, weil Ansgar der einzige Spieler war, der solche Dinger brachte. Als Trainer war man bei ihm immer wieder gefordert. Es wurde nie langweilig mit ihm." Arminia gewann die Partie an diesem Tag mit 3:0. Brinkmann spielte herausragend. Die Probleme sollten in den folgenden Wochen aber nicht weniger werden.
Doch Bielefeld wusste damals ganz genau, wen sie da verpflichtet hatten. Schließlich hatte Brinkmann zu diesem Zeitpunkt schon einige Stationen mit teils irren Geschichten hinter sich. Und spätestens die Story aus dem Jahr 1996 hätte alle Alarmglocken erklingen lassen sollen. Denn damals beim FC Gütersloh war folgendes passiert: Die Gütersloher Mannschaft hatte nach langer Zeit endlich mal wieder gewonnen. Einen Tag vor der geplanten Weihnachtsfeier. Trainer Hannes Linßen bat deshalb sein Team, doch bitte den Sieg nicht allzu ausschweifend zu feiern - dazu wäre ja noch einen Tag später ausreichend Gelegenheit.
Das versprachen die Spieler auch, doch der Plan ging leider nicht ganz auf. Als die Männer um den weißen Brasilianer in der Innenstadt aus ihrem Taxi ausstiegen, sprang Ansgar Brinkmann direkt oben auf das Dach des Autos. Von dort ging es über sechs weitere Taxidächer, bis er wieder auf den Boden sprang. Sofort öffneten sich sieben Türen und heraus traten sechs wütenden Fahrer. Nur der Mann, neben dem Brinkmann gelandet war, lächelte. Er rief zu den anderen rüber: "Ist nur der Ansgar. Kein Problem!"
"Komplett in Schutt und Asche gelegt"
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Der weiße Brasilianer sagt heute noch, dass es für alle Beteiligten gut gewesen wäre, wenn die Taxifahrer an dieser Stelle des Abends die Polizei geholt hätten. Alles wäre glimpflich ausgegangen und am nächsten Tag hätten alle mit voller Kraft voraus Weihnachten gefeiert. Doch dieser Abend endete anders. Im Polizeibericht steht wortwörtlich, dass Ansgar und seine Teamkollegen eine "Straße auf 80 Metern komplett in Schutt und Asche gelegt" haben. Zwischendurch auf dieser Strecke hatte Brinkmann sogar die glorreiche Idee, in das Schaufenster eines Möbelhauses zu springen. Er war müde geworden und hatte ein Bett entdeckt. Erstaunlicherweise zog er sich beim Sprung durch die Scheibe nur klitzekleine Schnitte am Körper zu. Die Reise konnte nach einer kurzen Pause weiter gehen.
Dem Polizisten, der die Truppe am Ende des Straßenzugs schließlich in Empfang nahm, schaute Ansgar Brinkmann fast schon glücklich in die Augen. Mit zittriger Stimme fragte der weiße Brasilianer: "Sheriff. Ist vorbei, ne?!" Und der Polizist antwortete mit den legendären Worten: "Ansgar, das Spiel ist aus!" Der Abend endete hier, doch die Karriere ging noch weiter. In Bielefeld lieben sie ihren Ansgar noch heute. Einerseits, weil er neben all den Kapriolen abseits des grünen Rasens auch ein fantastischer Fußballer war. Und andererseits, weil er eben dieser "liebenswerte Rebell" ist, den man einfach gernhaben muss.
Quelle: ntv.de