
Maurizio Gaudino, ein Autonarr.
(Foto: imago/Pressefoto Baumann)
30 Jahre ist es her, dass der damalige Eintracht-Profi Maurizio Gaudino gleich doppelt für Aufregung sorgt. Erst sitzt er in der RTL-Late-Night-Show "Gottschalk", anschließend wird er von der Polizei verhaftet. Der Fall führt zu einer Diskussion über die verführerische "Scheinwelt" Bundesliga.
"Mein Mindset heute ist so: Man muss nicht drei Stunden Mittagsschlaf machen, wenn man zwei Stunden Training hatte. Ich tätowiere zweimal die Woche und bin manchmal TV-Experte in Österreich. Ich liebe es, weil ich damit den Kopf beschäftige", hat der 37-jährige Union-Kapitän Christopher Trimmel die Tage erst gesagt. Vor dreißig Jahren forderte der Neuseeländer in Diensten von Werder Bremen, Wynton Rufer, dass bei "jedem Verein ein Sozialarbeiter" angestellt sein solle, um den Spielern bei der Bewältigung ihres Alltags zu helfen. Krasser könnten die Gegensätze kaum sein!
Tatsächlich stellte man sich in Fußball-Deutschland im Dezember 1994 die Frage, ob die Bundesliga und das viele Geld die Profis möglicherweise auf eine gewisse Art und Weise verrückt machen und die Spieler zu "Sünden verführen" würde. Und so kann man auch den Tipp eines renommierten Anwalts verstehen, der damals meinte: "Eigentlich kann ich jedem Verein nur raten, allen Luxus-, Gebrauchtwagen- und Schmuckhändlern dieser Welt Stadionverbot zu erteilen!"
Anlass für die große Sorge um die Bundesliga war damals eine Nachricht, die noch in der Nacht des 14. Dezember 1994 in den Abendzeitungen für Schlagzeilen sorgte. Nach der RTL-Sendung "Gottschalk Late Night" war der von Eintracht Frankfurt freigestellte Autonarr Maurizio Gaudino verhaftet worden. Der Bundesliga-Star und Nationalspieler musste damals sogar eine Nacht hinter Gittern verbringen. Für TV-Moderator Thomas Gottschalk war die Geschichte direkt nach seiner Live-Sendung natürlich eine Steilvorlage - und so meinte er lächelnd: "Der übliche Weg ist es ja, erst verhaftet zu werden und dann in eine Talkshow zu gehen. Dass das jetzt andersherum abläuft, ist mir auch neu."
Fußball plötzlich eine Showbühne
Es war damals eine wilde Zeit für den Fußball in Deutschland. Die neuen Player am TV-Rechte-Himmel holten die Bundesliga aus der Mottenkiste und präsentierten den Profi-Fußball plötzlich als Showbühne. Aus Fußballspielern wurden Stars, die sich der Öffentlichkeit gerne zeigten - auch um ihren Markt- und Werbewert zu erhöhen. Einer von ihnen war Stefan Effenberg. Der gebürtige Hamburger war erst im Sommer 1994 aus Italien zurückgekehrt und war gleich wieder zum umjubelten Star der Bundesliga geworden. Nach einer verlorenen Wette in Thomas Gottschalks "Wetten, dass …?"-Sendung ließ sich der Neu-Gladbacher in der RTL-Late-Night-Show, die ebenfalls die blonde TV-Legende aus Bamberg moderierte, schließlich eine aufsehenerregende Frisur verpassen. Der englische Punk-Coiffeur Collin Watkins durfte damals den Hinterkopf des Fußballprofis scheren und einen Tigerkopf aufmalen. Natürlich war "Tiger" Effenberg anschließend bei der nächsten Partie seines Klubs der Star in der Manege Bundesliga.
Bezeichnend für die damalige Zeit war auch eine andere irre Idee des um Aufmerksamkeit buhlenden Klubs aus Krefeld, dem KFC Uerdingen. Die Vereinsoffiziellen entschlossen sich damals, einen Kino-Spot rund um den bärtigsten Trainer der Liga, Friedhelm Funkel, zu drehen - und zwar in der Rolle seines Lebens als Superman. Mit strengem Scheitel und den Hoden unter den roten Shorts eng zusammengedrückt, präsentierte sich der KFC-Coach in einem Klassiker der Kinospotwerbung. Der frisch umbenannte Verein KFC Uerdingen (vormals Bayer) hatte für den Imagefilm den prägnanten wie irreführenden Titel "Natural Born Winners" gewählt. Und der ewige Sunnyboy und Liebling der Massen Funkel musste dafür nicht nur die Rolle des Superman, sondern auch des charmanten Humphrey Bogart geben. Mit einem schicken Hut auf dem Kopf und einem Trenchcoat um die Lenden sagte der Trainer zu einer Blondine den berühmten Satz: "Schau mir in die Augen, Kleines." Ein Stück Hollywood in der Bundesliga!
Kein Wunder, dass die "Sport Bild" damals schrieb: "Fußball ist inzwischen Showbusiness, und der Fußballprofi von heute erreicht, ob er mag oder nicht, im Expressverfahren Popularität. Er wird wie ein Schlagerstar bewundert und wie eine Primadonna verhätschelt." Und dann zitierte die umsatzstarke Sportillustrierte, die damals selbst mit ihrer Berichterstattung den Fußball in seiner Erscheinungsform revolutionierte, noch den damaligen Werder-Manager Willi Lemke, der über die neuen Probleme eines Fußballspielers in der Bundesliga kurz und knapp meinte: "Er lebt in einer Scheinwelt"!
Braucht es Sozialarbeiter für manche Profis?
Angesichts der Verhaftung von Maurizio Gaudino wegen seiner verschiedenen Delikte rund um seine geliebten Autos ("Ich hatte leider die falschen Bekannten. Meine Gutmütigkeit ist höllisch bestraft worden") verspürte der damalige DFB-Präsident Egidius Braun einen "schweren Schmerz" und zeigte sich besorgt, dass eines seiner Hauptanliegen - "dem Fußball sein Ansehen zu geben, das er aufgrund seiner Millionen ehrenamtlicher Mitarbeiter verdient" - zu scheitern drohe. Doch mit dieser Ansicht irrte Braun.
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Der Siegeszug des Fußballs und damit auch das öffentliche Ansehen und die mediale Aufmerksamkeit war nicht mehr aufzuhalten. Noch zehn Jahre zuvor hatte Matthias Kleiner, Leiter der Öffentlichkeitsarbeit bei Daimler, gemeint: "Ich bin ja ein Fußballverrückter. Aber wir haben noch nicht dieses Fußball-Bewusstsein im Betrieb, im Vorstand. Wenn ich heute sagen würde, wir investieren in den Fußball 15 Millionen Mark, könnte ich das nicht durchhalten." Davon konnte nun im Millionenspiel Bundesliga keine Rede mehr sein. Die Liga florierte - und kannte alsbald keine Grenzen mehr!
Aber im Dezember vor dreißig Jahren, als Thomas Gottschalk in seiner "Late-Night-Show" Fußballer wie Stefan Effenberg, Mario Basler (im Zusammenspiel mit Dolly Buster) und Maurizio Gaudino empfing, begann erst der gesellschaftliche und finanzielle Aufstieg des Fußballs - mit allen seinen Verlockungen und Sünden. Heute ist die Bundesliga als Showbühne schon lange etabliert und akzeptiert. Klassische "Sozialarbeiter", wie sie der Bremer Wynton "Kiwi" Rufer damals forderte, um mit dieser "Scheinwelt" klarzukommen, gibt es allerdings für die Profis auch heute noch nicht. Vermutlich in einigen Fällen leider nicht. Ein Christopher Trimmel hätte allerdings auch gar keinen nötig, wie man sieht.
Quelle: ntv.de