
Werder Bremen - Deutscher Meister 1988.
(Foto: picture alliance / dpa)
Manchmal entstehen die großen Mannschaften und Erfolge in Momenten, in denen keiner damit rechnet. In Thomas Schaafs neuem Buch "Die Biografie" wird über die legendäre Nacht von Dalian erzählt, die Trainer Otto Rehhagel verzweifeln ließ, aber für viele die Geburtsstunde eines neuen SV Werder Bremen war.
"Trainer, ich habe nur versucht, das Schlimmste zu verhindern." Es ist diese eine legendäre Nacht, die im Rückblick für viele Werderaner eine magische war. Damals im Frühsommer 1986, als die Bremer nach einem späten Schock in der Bundesliga ihren Traum von der Meisterschaft wieder einmal im letzten Moment beerdigen mussten - und anschließend eine lange verabredete Reise zu einem Turnier nach Fernost antraten. Was damals noch niemand ahnte: Diese Tour sollte die Wende zum Guten bringen!
Kurz zuvor hatte die Mannschaft den Titel erneut erst auf den letzten Metern verloren. Michael Kutzop war es damals, der zum großen Unglücksraben der Spielzeit wurde, als am 33. Spieltag der SV Werder Bremen den direkten Konkurrenten um die Meisterschaft, den FC Bayern München, im Weserstadion empfing. Eine Minute vor Schluss pfiff Schiri Volker Roth damals Elfmeter für Werder. Sollte dieser verwandelt werden, wäre Bremen Meister gewesen. Antreten sollte Michael Kutzop. Und eigentlich war er ein guter Schütze. Doch in diesem Moment sollte es einfach nicht sein. Die Partie endete nach Kutzops Fehlschuss mit 0:0. Am nächsten Spieltag verlor Werder - und der FC Bayern feierte die Meisterschaft.
"Nach dieser Saison bin ich reif für die Schwarzwaldklinik!"
Schon drei Spieltage vor Schluss hatte Otto Rehhagel gesagt: "Nach dieser Saison bin ich reif für die Schwarzwaldklinik!" Nun ließ er sich erst recht einweisen. Andere Werder-Offizielle hatten nach der Niederlage gegen die Bayern versucht, die Angelegenheit mit Humor zu nehmen: "Jetzt steuern wir den Hattrick an. Die dritte Vizemeisterschaft hintereinander." Als genau das nach 1983 und 1985 eingetreten war, herrschte dennoch Trübsal. Und trotz des Galgenhumors war allen klar: Der Mannschaft des SV Werder Bremen war in dieser Situation nach allem zumute, aber nicht nach einem Trip nach Fernost. Und so sagt Thomas Schaaf in seiner gerade erschienenen Biografie (zusammen mit Daniel Cottäus) verständlicherweise: "Das war absolut schrecklich. Keiner von uns hatte mehr Lust auf die Reise, weil die Enttäuschung brutal tief saß."
Doch die Verträge für den "Japan-Cup" der Kirin-Brauerei in Tokio waren lange unterzeichnet und mussten eingehalten werden. Und dann warteten vor Ort auch noch andere Herausforderungen. Das Essen bereitete einigen Reisenden so seine Schwierigkeiten, wie sich Thomas Schaaf lebhaft erinnert: "Bei unserem Zeugwart Günter Ehrke hatten wir Angst, dass er die Reise nicht überlebt, weil er außer Reis und mitgebrachter Schokolade nichts gegessen hat." Und dann wird auch noch hochprozentiger chinesischer Schnaps ausgeschenkt. Mit Folgen für einen Gast der Werder-Runde, wie Schaaf anschaulich schildert: "Einer der Chinesen hat sich das Zeug reingeknallt wie nichts Gutes, sodass seine Birne irgendwann dieselbe Farbe hatte wie der Schnaps. Wir dachten, der explodiert gleich."
Doch trotz dieses erschreckenden und doch eher abschreckenden Anblicks ließ sich die Mannschaft nicht von einem Plan abbringen, den sie ganz offensichtlich schon auf dem Hinflug im Kopf hatte, wie sich Werders damaliger Vizepräsident Klaus-Dieter Fischer in seinem Buch "Du bist Werder Bremen" erinnert: "Wir hatten schon beim Zwischenstopp in Singapur beobachtet, dass unsere Jungs im Duty-Free-Shop alles Trinkbare gekauft hatten: Whiskey, Underberg, Jägermeister, Cognac." Und genau diese Vorräte sollten nun am letzten Abend vor der Weiterreise im komfortablen "Dalian Nanschan Hotel" vernichtet werden, wie Daniel Cottäus in Schaafs ausgesprochen lesenswerten Biografie schreibt.
Dieses Zimmer ist das "Epizentrum des Exzesses"
Es sollte eine abenteuerliche Nacht werden, die im gemeinsamen Zimmer von Schaaf und Torhüter Dieter Burdenski das "Epizentrum des Exzesses" fand. Als der Torhüter irgendwann in diesen benebelten Stunden voller Heiterkeit und Gemeinschaft Müdigkeit verspürte, verließ er den Partyraum und verirrte sich in einem anderen Zimmer. Es war ausgerechnet das (verlassene) Zimmer des Trainers, auf dessen Bett sich Burdenski genüsslich niederließ. Als Rehhagel sah, was sich da vor seinen ungläubigen Augen abspielte, raunzte er dem Werder-Keeper zu: "Herr Burdenski, Sie verlassen sofort mein Bett und gehen in Ihres." Klaus-Dieter Fischer erinnerte sich, dass der Torwart daraufhin nur sagte: "Das geht nicht, da liegen andere Spieler."
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Was folgte, war eine "deftige Standpauke" des Trainers. Adressiert an die Mannschaft - und an den Mannschaftsarzt, der sich von Rehhagel anhören musste: "Von Ihnen als Akademiker habe ich etwas anderes erwartet." Daraufhin habe der Doktor mit einem Satz geantwortet, der, wie Daniel Cottäus schreibt, "längst zur Werder-Folklore geworden ist": "Trainer, ich habe nur versucht, das Schlimmste zu verhindern." Anschließend verließ Otto Rehhagel das Hotel und rannte einsam durch die Nacht von Dalian.
Viele Jahre später hat der langjährige Manager des SV Werder, Willi Lemke, kurz vor seinem Tod im Jahr 2024 gemeint: "Dalian war für mich die Geburtsstunde der Meistermannschaft von 1988." Und Werder-Profi Thomas Wolter sagt in Schaafs frisch erschienener Biografie über diesen ganz speziellen Moment: "Es kann zwar keiner beweisen, aber ich bin der festen Überzeugung, dass diese Nacht ganz wichtig war für die großen Erfolge, die danach noch kommen sollten."
Quelle: ntv.de